Was bauen wir auf: Communitys oder Netzwerke?

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Hinweis von Rising Voices: Der folgende Beitrag ist im Original auf dem Blog FabRiders veröffentlicht worden und stammt von Dirk Slater. Er gehört zu einer Serie von Gesprächen, an denen Rising Voices teilnahm. Der Beitrag ist unter der CC BY-SA 4-Lizenz verfügbar.

Hier bei FabRiders profitieren wir stark von unserer Fähigkeit, unsere Expertise mit einem Netzwerk von Menschen zu teilen, die sich mit dem Aufbau von Technologiekapazitäten beschäftigen. Über dieses Netzwerk haben wir Solidarität entwickelt und enge Freundschaften aufgebaut. Vor einiger Zeit bat uns LevelUp, sie darin zu unterstützen, darüber nachzudenken, wie die Personen besser eingebunden werden können, die ihre Ressourcen zur Förderung von Schulungen für digitale Sicherheit teilen und diese nutzen. Das führte dazu, dass wir tiefgreifender über “praxisbezogene Communitys” nachdachten und ein kleines Forschungsprojekt mit Kristin Antin starteten, um Erfolgsmethoden besser zu verstehen und zu ergründen, wie diese Erfolgsmethoden funktionieren (siehe auch unten: “Aufbau eines gesunden praxisbezogenen Netzwerks”). Wir hatten das Glück im Austausch mit Eddie Avila von Rising Voices zu stehen sowie mit Hanane Boujemi von HIVOS, Allen Gunn (Gunner) von Aspiration, Heather Leson des Humanitarian Open Street Map Team (HOT) und Duane Raymond von FairSay, die uns zu einer Vielzahl von Einblicken verhalfen. Dieser Beitrag fasst zusammen, was wir herausgefunden haben und richtet sich hauptsächlich an Menschen, die versuchen, online Räume für Individuen zu schaffen, in denen Wissen und Expertise ausgetauscht werden können.

Warum “Netzwerk” ein besserer Rahmen als “Community” sein könnte

Ein Großteil unserer Arbeit besteht darin, Gemeinschaften zu stärken und zu befähigen, einschließlich derer unter uns, die an der Schnittstelle von Menschenrechten und Technologie arbeiten. Daher ist es wenig überraschend, dass wir uns für die Strukturen, in denen wir rund um unsere Arbeit interagieren, häufig auf den Begriff Community beziehen, ihn damit identifzieren und verwenden. Das mag aber unserem Bemühen, den Austausch von Wissen und Expertise zu fördern, einen Bärendienst erweisen. In unserem begrenzten Forschungsprojekt haben wir herausgefunden, dass wir zu häufig auf den Begriff “Community” zurückgreifen, wenn wir den Austausch von Expertise unter Gleichrangigen meinen und, dass uns das vom eigentlichen Zweck und der gesunden Funktion dieser Arten von Räume ablenkt.

Der Begriff “praxisbezogene Community” wurde bereits vor der Zeit des Internets geprägt. Sie zu bilden, bleibt weiterhin sehr beliebt, nicht nur mit Praktikerinnen und Praktikern, sondern auch mit Geldgeberinnen und -gebern. Trotz alledem sind viele praxisbezogene “Communitys” eigentlich nur “Netzwerke”. Die beiden Begriffe sind dank der Ausdrücke “soziale Netzwerke” und “Online-Communitys” weiter verflacht, insbesondere im Nachklang des “Web 2.0″ und der zunehmenden Möglichkeit, Informationen und Gleichgesinnten zu vernetzen und zu teilen. Wenn diese Netzwerke nicht wie Communitys funktionieren, dann verlieren die Organisatorinnen und Organisatoren, die sie betreiben und ihre Finanziers das Interesse daran, sie weiter zu unterstützen. Bestenfalls werden sie möglicherweise zu Massenemaillisten, über die Organisationen versuchen, Werbung zu machen oder Publikationen und Veranstaltungen einer größeren Öffentlichkeit näher zu bringen.

Eine hilfreiche Definition von Community stammt von Paul James und seiner Schrift zum Thema Nachhaltige Communitys, Nachhaltige Entwicklung: Andere Wege für Papua-Neuguinea. Sie beschreibt eine Community als:

a social unit of any size that shares common values, or that is situated in a given geographical area (e.g. a village or town). It is a group of people who are connected by durable relations that extend beyond immediate genealogical ties, and who mutually define that relationship as important to their social identity and practice.

eine soziale Einheit jedweder Größe, die gemeinsame Werte teilt oder die in einem bestimmten geographischen Gebiet (beispielsweise einem Dorf oder einer Stadt) liegt. Es ist eine Gruppe von Personen, die über dauerhafte Beziehungen verbunden sind. Diese dauerhaften Beziehungen gehen über unmittelbare genealogische Verbindungen hinaus und die Personen definieren gegenseitig diese Beziehung als wichtig für ihre soziale Identität und Praktik.

David Spinks schreibt, dass für einen “Gemeinschaftssinn” vier Faktoren nötig sind:

  • Membership – the feeling of belonging or of sharing a sense of personal relatedness
  • Influence – members feeling that they have influence over the community and the community having influence over the members
  • Integration and Fulfillment of Needs – by joining a community a member gets what they hoped to by joining
  • Shared emotional connection – members will have a history of experiences together and the belief that there will be more experiences in the future
  • Mitgliedschaft – das Gefühl, zu einem Sinn persönlicher Zugehörigkeit zu gehören oder diesen zu teilen
  • Einfluss – Mitglieder spüren, dass sie Einfluss auf ihre Gemeinschaft haben und dass die Gemeinschaft Einfluss auf ihre Mitglieder hat.
  • Integration und Erfüllung von Bedürfnissen – Indem ein Mitglied einer Gemeinschaft beitritt, erhält er oder sie das, was er oder sie sich bei einem Beitritt erhofft hat.
  • Geteilte emotionale Verbundenheit – Mitglieder teilen eine gemeinsame Geschichte von Erfahrungen und glauben daran, dass es in der Zukunft weitere Erfahrungen geben wird.

Während wir bestrebt sind, Räume zu schaffen, die diese Faktoren verkörpern, entwickeln Personen, die zu einer “praxisbezogenen Community” gehören, eher einen Gemeinschaftssinn, der stärker in Verbindung zu ihrem geografischen Standort steht oder zu gemeinsamen Charakteristiken (wie beispielsweise sexueller Orientierung, Geschlecht, Ethnie und so weiter). Ihre Bereitschaft, Expertise zu teilen und zu entwickeln geht eher darauf zurück, dass sie diese Communitys stärken wollen, als dass sie daran teilhaben wollen oder zu Communitys beitragen möchten, die sich dem Austausch von Expertise verschrieben haben. Daher ist es möglicherweise angemessener, den Begriff “praxisbezogenes Netzwerk” zu verwenden als “praxisbezogene Community”.

Der englischsprachige Wikipediaeintrag für “praxisbezogene Netzwerke” beschreibt gut, warum die Unterscheidung zu Community wichtig ist:

In regards to defining a ‘network of practice’ “the term network implies a set of individuals who are connected through social relationships, whether they be strong or weak. Terms such as community tend to denote a stronger form of relationship, but networks refer to all networks of social relationships, be they weak or strong…. What distinguishes a network of practice from other networks is that the primary reason for the emergence of relationships within a network of practice is that individuals interact through information exchange in order to perform their work, asking for and sharing knowledge with each other.

As indicated above, networks of practice incorporate a range of informal, emergent networks, from communities of practice to electronic networks of practice…. Communities of practice are a localized and specialized subset of networks of practice, typically consisting of strong ties linking individuals engaged in a shared practice who typically interact in face-to-face situations. At the opposite end of the spectrum are electronic networks of practice, which are often referred to as virtual or electronic communities and consisting of weak ties. In electronic networks of practice, individuals may never get to know one another or meet face-to-face, and they generally coordinate through means such as blogs, electronic mailing lists, or bulletin boards.

Der Begriff Netzwerk impliziert eine Gruppe von Individuen, die über soziale Beziehungen in Verbindung stehen, seien diese Beziehungen stark oder schwach. Begriffe wie Community tendieren dazu, eine stärkere Form der Beziehung zu bezeichnen. Netzwerke beziehen sich aber auf alle Netzwerke sozialer Beziehungen, sind sie nun schwach oder stark. […] Was ein praxisbezogenes Netzwerk von allen anderen Netzwerken unterscheidet ist, dass der Hauptgrund für das Entstehen von Beziehungen innerhalb eines praxisbezogenen Netzwerks der ist, dass Individuen über den Austausch von Informationen in Interaktion stehen, um ihre Arbeit auszuführen und dabei nach dem Wissen anderer fragen und ihr Wissen miteinander teilen.

[…] Wie oben bereits angedeutet, umfassen praxisbezogene Netzwerke eine Reihe von informellen, entstehenden Netzwerken, von praxisbezogenen Communitys bis hin zu elektronischen praxisbezogenen Netzwerken. […] Praxisbezogene Communitys sind auf einen Ort eingegrenzt und eine spezielle Teilmenge von praxisbezogenen Netzwerken, die typischerweise aus starken Verbindungen bestehen, über die Individuen verbunden sind, die sich einer gemeinsamen Praktik hingeben und dabei typischerweise in direkten Situation von Angesicht zu Angesicht interagieren. Auf der entgegengesetzten Seite des Spektrums befinden sich elektronische praxisbezogene Netzwerke, die oft als virtuelle oder elektronische Communitys bezeichnet werden und die auf schwachen Verbindungen beruhen. In elektronischen praxisbezogenen Netzwerken lernen sich Individuen möglicherweise niemals kennen oder werden sich nicht persönlich treffen. Sie koordinieren sich in der Regel über Hilfsmittel wie Blogs, Emaillisten oder Pinnwände.

Es ist auch wichtig, darauf hinzuweisen, dass Communitys immer Menschen einschließen, während Netzwerke auch Maschinen beinhalten können. Daher spricht es Individuen eher an, einer “Community” beizutreten als einem “Netzwerk”, da eine starke emotionale Verbindung und Unterstützung eher überzeugen als ein reiner Knotenpunkt zu sein. Wir sollten aber trotzdem nicht die Erwartungen haben, dass eine Gruppe von Personen, die zusammenkommen, um Expertise auszutauschen, eine Community formen und vor allem, dass sie selbsterhaltend sein werden. Mitglieder eines Netzwerks sind weder dafür ausgestattet noch motiviert, ihre Ressourcen für ihre eigene Dauerhaftigkeit einzusetzen. Denn sie werden sich eher darauf fokussieren zu ihren eigenen Communitys beizutragen. Erwartungen, dass sie sich selbst erhalten werden, werden also höchstwahrscheinlich nicht erfüllt werden. Damit sei aber nicht gesagt, dass diese Netzwerke nicht notwendig und wichtig sind. Denn sie sind es, da sie die Fähigkeit bieten, Verbindungen zu erstellen, über die Wissen geteilt werden kann, das die Communitys, denen wir dienen möchten, stärkt.

Es ist also vorteilhafter, sich auf das Elemtent der “Praxisbezogenheit” zu konzentrieren als darauf, ob wir sie Communitys oder Netzwerke nennen. Sicherlich muss es ein Element der Gemeinsamkeit von Kontexten zwischen Mitgliedern eines Netzwerks geben, aber ein größerer Schwerpunkt sollte darauf liegen, den Austausch von Expertise zu unterstützen.

Ein gesundes “praxisbezogenes Netzwerk” aufbauen

Wir haben uns verschiedene Online-Plattformen angeschaut, wo Gleichgesinnte ihre Expertise oder Methoden und Ressourcen austauschen und haben einige Schlüsselfaktoren identifiziert, die zu ihrem Erfolg beitragen:

  • Zielgerichteter und ausdrücklicher Zweck, der es den Teilnehmenden klar macht, für wen das Netzwerk ist und wofür es genutzt werden soll
  • Leiterinnen und Leiter, die Personen, die den größten Anteil an der Existenz des Netzwerks haben und die den Austausch von Pratiken als einen Schlüssel sehen, um ihre Arbeit machen zu können. Leiterinnen und Leiter werden dabei unterstützen, Regeln und eine Kultur innerhalb des Netzwerks durchzusetzen. Sie werden eher Fragen stellen und anderen antworten sowie offen ihre Expertise zur Verfügung stellen. Sie sind mit einer hohen Wahrscheinlichkeit auch in der Rolle von “wohlwollenden Herrscherinnen und Herrschern”, die die Teilnahme anderer anstoßen, anstacheln und würdigen werden, neben der Durchsetzung der Regeln. Diese wohlwollenden Herrscherinnen und Herrscher werden die Anreize der Teilnehmenden gut verstehen, ihre Zeit und ihr Wissen in das Netzwerk einzubringen. Sie werden diese Anreize wirksam einsetzen, um die Teilnahme zu fördern. (Zu Anreizen gehören: Die Community als eine vertrauensvolle Quelle für Rat und Ideen, als ein Vorreiter oder eine Vorreiterin in diesem Bereich gesehen zu werden, um anderen zu helfen, um der Community etwas zurückzugeben, um zu lernen und so weiter)
  • Klare und zugänglich Regeln und Leitfäden, die zur Verfügung stehen und sanft durch die wohlwollenden Herrscher und Herrscherinnen und die Führungsebene durchgesetzt werden. Leitfäden ermöglichen es Teilnehmenden zu interagieren, während man ihnen sagt, wie sie es tun sollen und klärt, was dabei angemessen ist.
  • Eine Verbindung, die ein tieferes Verständnis der Kontexte, Ziele und Herausforderungen der Teilnehmenden erlaubt und die eine Basis für einen Austausch bietet. Der beste Weg, um für eine Verbindung zu sorgen sind offensichtlich Treffen von Angesicht zu Angesicht. Aber es gibt auch andere Wege, dies zu erreichen, die von Chaträumen zu Foren und Konferenzgesprächen über das Internet bis hin zu stärker strukturierten Fallstudien reichen.
  • Ein Vertrauen, dass die anderen Teilnehmenden die eigenen Beiträge nicht missbrauchen, veruntreuen oder missachten. Ein weiterer wichtiger Faktor ist, dass die Teilnehmenden darauf vertrauen, dass die Information und der Rat, den sie aus dem Netzwerk empfangen, von guter Qualität ist.
  • Routinierte Kommunikation, so wie der Beitrag bestimmter Inhalte (zum Beispiel freitägliche Stellenausschreibungen) und die Suche nach Wissen über das Stellen von Fragen. Beiträge, die Expertise als eine Antwort auf eine Anfrage teilen, sind oft die mit dem grölßten Nutzen innerhalb des gesamten Netzwerks.

Jedem “praxisbezogenen Netzwerk” müssen immer noch Zeit und Ressourcen gewidmet werden. Genauer gesagt benötigen sie Organisationen und Individuen, die motiviert sind und die Existenz des Netzwerks als ein wesentliches Element ihrer langfristigen Strategien betrachten. Absolut entscheidend ist der Fokus darauf, was man mit der Schaffung dieses Raums erreichen will. Das ist weitaus bedeutsamer als wie man ihn nennt.

Sicher sollte der Gebrauch des Begriffs “Community” angeregt werden im Sinne eines Anspruchs. Man kann und sollte vielleicht auch danach streben, ein Netzwerk mit den Qualitäten einer Community aufzubauen. Möglicherweise muss man es sogar als Community bezeichnen, damit sich die Menschen dafür interessieren, beizutreten. Denn die Reaktion auf den Aufruf, einer Community beizutreten wird besser sein, als wenn man zum Beitritt zu einem Netzwerk aufruft. Man muss die Fähigkeiten und Motivation der Menschen verstehen, an diesem Raum teilzuhaben und dabei ist die Entwicklung eines gesunden und ambitionierten “praxisbezogenen Netzwerks” ein deutlich realistisches Ziel.

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