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Die autodidaktische Übersetzerin, die Wort für Wort ein literarisches Meisterwerk schuf

Kategorien: Ostasien, Westeuropa, Großbritannien, Südkorea, Bürgermedien, Kunst und Kultur, Literatur
Screenshot from ARIRANG NEWS video on YouTube. [1]

Deborah Smith. Screenshot aus dem Video von ARIRANG NEWS auf YouTube.

Dieser Artikel erschien am 18. Mai 2016 auf PRI.org [2] und wird hier im Rahmen eines Content-Sharing-Abkommens veröffentlicht.

In dieser Woche wurde wieder der Man Booker Prize vergeben, der wichtigste britische Literaturpreis. Die diesjährige Preisträgerin ist die südkoreanische Schriftstellerin Han Kang für ihren Roman „Die Vegetarierin”.

Das Buch handelt von einer Frau, die glaubt, dass sie zu einem Baum wird. Literaturkritiker bezeichneten die Geschichte als „lyrisch und verstörend”. Die Geschichte ist außerdem auch ziemlich erotisch.

Worüber die meisten Menschen im Moment aber reden, ist weniger das Buch, als vielmehr dessen Übersetzerin.

Deborah Smith, die 28-jährige Britin, die hinter der meisterhaften englischen Übersetzung des Romans steckt, hat erst vor sechs Jahren begonnen, Koreanisch zu lernen. Wie schaffte sie es also, das Buch so gut zu übersetzen?

„Wenn Sie wissen möchten, welches Geheimnis dahinter steckt – ich weiß es leider auch nicht”, sagt sie. „Wenn ich jetzt daran zurückdenke, kommt es mir so vor, als hätte ich fast jedes zweite Wort im Wörterbuch nachgeschlagen. Das ist wahrscheinlich etwas übertrieben, aber genauso kam es mir damals vor. Es war wie Bergsteigen.”

Dass sie erst seit so kurzer Zeit Koreanisch sprach, war dabei eher ein Segen, erzählt sie. „Ich wusste, dass ich wirklich alles genau nachprüfen und sehr sorgfältig arbeiten musste”, sagt sie. „Bei einigen Begriffen musste ich mich auch fragen, ob der Eintrag im Wörterbuch wirklich passend war.”

Außerdem sind bei literarischen Werken direkte Übersetzungen oft nicht die beste Variante. „Nur weil ein Begriff die wörtliche Übersetzung ist, heißt das noch lange nicht, dass es der richtige Begriff ist, wenn es um die literarische Wirkung geht”, erklärt sie.

Beim Übersetzen half Smith auch ein Freund, der Koreaner ist und im selben PhD Studienprogramm wie sie ist. Smith erzählt, sie habe diesen Freund mit unzähligen Fragen genervt. (Im Gegenzug für die Hilfe bei der Übersetzung las Smith die Texte Korrektur, die ihr Freund für seine Kurse geschrieben hatte.)

Deborah Smith and Han Kang. Screenshot from ARIRANG NEWS video on YouTube. [1]

Deborah Smith und Han Kang. Screenshot aus dem Video von ARIRANG NEWS auf YouTube.

Das Buch liest sich flüssig in Englisch und besteht sogar einen noch schwierigeren Test: Smith erzählt, dass selbst Menschen, die fließend Koreanisch und Englisch sprechen, nicht erkennen konnten, dass das Buch von einem Nicht-Muttersprachler übersetzt wurde. „Niemand, der nur das Buch gelesen hatte, sprach darüber”, sagt sie. „Erst als die Menschen meine Geschichte in den Medien hörten, begannen sie, darüber zu sprechen. Beim Übersetzen und vor allem bei literarischen Übersetzungen geht es nicht so sehr darum, wie gut man die Ausgangssprache spricht, sondern vielmehr darum, dass man die Zielsprache ausgezeichnet beherrscht.”

Smith erklärt, dass das wichtigste bei ihrer Übersetzung war, die englische Sprache wirklich zu beherrschen und zu wissen, wie man sie einsetzen kann, um den Stil und die Sprache des koreanischen Originals wiederzugeben. Dafür ist sie mehr als gut qualifiziert. Sie liest etwa 200 Bücher pro Jahr. „Das tue ich schon immer”, sagt sie. „Was das anging, war ich mir meiner Sache ziemlich sicher.”

„Die Vegetarierin” war anders als jedes andere Buch, das Smith bisher gelesen hatte. Sie selbst war es, die 2013 einem Verlag vorschlug, das Buch zu übersetzen. „Ich denke, dies ist eins der Bücher, bei denen man wirklich sehen kann, was an moderner koreanischer Literatur so spannend ist. Sie ist ganz anders als [Literatur] in vielen anderen Ländern”, erklärt sie.

Genau das war der Grund, warum sie sich entschloss, dieses Projekt in einer Sprache, die sie nicht perfekt sprach, in Angriff zu nehmen. „Ich denke, genau darum geht es doch beim Übersetzen – etwas in einer Sprache oder Kultur zugänglich zu machen, das neu und noch nicht dagewesen ist.”

Einen Ausschnitt aus der englischen Übersetzung von „Die Vegetarierin” gibt es hier [3]: