Das englischsprachige Original dieses Beitrags ist vom 6. Oktober 2015.
“Das Leben ist bitter, die Zukunft ist ungewiss” ist auf der Heckscheibe eines Kabuler Taxis zu lesen, eines kleinen gelben Toyotas, der politischer Satire in Afghanistan ein neues Gesicht gab, bis es letzten Monat von Facebook verschwand.
Die Botschaft war gleich ironisch wie aufschlussreich, da sie sowohl die kurze und prekäre Existenz anspricht, die das beliebteste imaginäre Taxi der Kabuler genoß, als auch das unbekannte Schicksal Afghanistans. Und beides bestand in Form einer Facebookseite.
Der anonyme Autor der Seite verfasste imaginäre Berichte über das, was er als Fahrer eines fiktionalen Taxis erlebt habe, das namhafte Passagiere – oft hochrangige Regierungsbeamte – “mitgenommen” habe und münzte deren politische Debatten unterwegs zu ihren Fahrtzielen in kernige Beiträge um.
Auch wenn diese Diskussionen tatsächlich niemals stattfanden, waren sie oft doch auf eine unbequeme Art realistisch und gaben einiges über die Männer auf der Rückbank preis.
Da in Afghanistan zurzeit sowohl soziale Medien zunehmend genutzt werden als auch das Vertrauen in traditionelle Medien, die oft politisch Kompromisse eingehen, abnimmt, schaffen satirische Magazine wie Kabul Taxi einen Raum, in dem Afghanen ausdrücken können, dass sie mit dem derzeitigen Kurs des Landes nicht zufrieden sind.
Der Frust der Bürger aufgrund von Korruption, Vetternwirtschaft, Unsicherheit und Arbeitslosigkeit fanden ihren Platz auf dem satirischen Fahrzeugheck. Es brac
hte sie zum Lachen und half ihnen dabei, aufzuschreien. Die zunächst 13.000 Fans der Seite wurden zu 60.000, nachdem die Zeitung Washington Post drei aufeinanderfolgende Beiträge über das Taxi veröffentlicht hatte.
Aber gerade als es so schien, als könne das Kabul Taxi sogar fliegen, trat jemand auf die Bremsen.
Facebook sperrte die Seite, kurz nachdem das Taxi den Berater des Präsidenten Ghani für Staatssicherheit, Hanif Atmar, sowie seinen Kreis von 27 jungen Beratern aufgegabelt hatte, die Kabul Taxi als verzogene Kinder von Warlords (Kriegsherren) und der afghanischen politischen Elite beschrieben hatte.
Der Beitrag mit dem Titel “Hanif Atmars Mantra-Gruppe” kommentierte die hohen Bezüge der jungen Berater und wie sie ernannt werden.
Atmar, der in den 1980er Jahren als Agent für den Geheimdienst des kommunistischen Regimes tätig war, wusste die Satire nicht zu schätzen. Er schickte dem afghanischen Inlandsgeheimdienst, der Nationalen Sicherheitsdirektion (National Directorate of Security, kurz NDS), ein Schreiben und bat sie darum, sich den Fall anzuschauen.
Atmars Hauptbeschwerde war, und damit deutete er auf das Recht des Verfassers des Beitrags, dass die Satire die Identität und Ämter von Beschäftigten des Nationalen Sicherheitsrats auf eine erniedrigende Art und Weise bekannt gäbe, die sie in Lebensgefahr bringen würde.
Ein solcher Vorwurf verdient natürlich Berücksichtigung, aber es scheint viel wahrscheinlicher, dass Atmar den Brief aus dem Gefühl der Ehrverletzung heraus schrieb.
Am 22. und 23. August zitierte der NDS die leitenden Redakteure einer Lokalzeitung zu einer Befragung zu sich, da sie unter dem Verdacht standen, für die Seite verantwortlich zu sein.
Obwohl die Journalisten schließlich gehen durften, wirkte dieser Vorfall auf die sozialen Medien zurück.
Anfang September war Kabul Taxi außer Betrieb.
Ein Facebooknutzer schrieb:
Kabul Taxi is closed but it is idiotic to think it will prevent people to think critically or speak up in today's world with many ways for communication.
Kabul Taxi wurde stillgelegt, aber es ist blödsinnig davon auszugehen, dass das Menschen daran hindern wird, kritisch zu denken oder in der heutigen Welt mit verschiedenen Kommunikationsmitteln die Stimme zu erheben.
Die Schließung der Seite wird möglicherweise von einigen als ein beunruhigendes Zeichen gedeutet, dass sich Facebook dem Willen von Staatsregierungen beugt. Dies hat aber nicht verhindert, dass auf Facebook gleich mehrere Seiten mit ähnlichen Namen und Zwecken eingerichtet wurden, kurz nachdem Kabul Taxi dichtgemacht worden war.
Alle neuen Taxis geben an, von demselben Fahrer gelenkt zu werden. Unter den glaubwürdigeren Thronerben ist eine Seite mit mehr als 96.000 Likes, die den Anspruch erhebt, das “wahre neue Kabul Taxi” zu sein.
Die Seite stellt einen Screenshot einer Email zur Schau und sagt, sie sei von Facebook. In der Email weigert sich das Unternehmen, die Seite wiederherzustellen, mutmaßlich nachdem ein Kontakt mit afghanischen Sicherheitsbeamten stattgefunden haben könnte:
Hallo,
Deine Seite “Kabul Taxi” wurde entfernt, da sie gegen die Nutzungsbedingungen verstoßen hat. Eine Facebookseite ist ein bestimmter Auftritt, der ausschließlich für Geschäfts- oder Werbezwecke genutzt wird. Unter anderem sind Seiten unzulässig, auf denen Hass, Drohungen oder Obszönitäten verbreitet werden. Wir entfernen auch Seiten, die ein Individuum oder eine Gruppe angreifen oder die durch eine unbefugte Person eingerichtet wurden. Wenn deine Seite aufgrund einer der oben genannten Gründe entfernt wurde, wird sie nicht wiederhergestellt. Andauernder Missbrauch der Funktionen von Facebook können zu einem dauerhaften Verlust deines Nutzerkontos führen.
Das Facebook-Team
Ein weiterer Beitrag, den die Seite veröffentlichte stellt eine Animation mit dem Titel “Atmar und Kabul Taxi” dar, in dem der Sicherheitsberatur von einem gelben Taxi gefoppt wird – dem Kabul Taxi. Der Trickfilm endet mit der Bekanntmachung: “Ich bin der Fahrer von Kabul Taxi.”
Die Anzahl der Seiten, die denselben Beitrag teilen, frustriert die afghanischen Facebooknutzer und verwirrt sie, da sie nicht wissen, welche Taxis Fälschungen sind und welche nicht.
Die Lücke, die die Seite hinsichtlich des satirischen Gehalts hinterlässt ist vielleicht zu füllen. Aber was viele vermissen ist der Sturm der Auseinandersetzung, der jeden Beitrag des Originals der Kabul Taxi-Seite begleitet hat.
Sie wird wahrscheinlich nicht wieder auftauchen, wenn nicht der Autor bereit ist, die Konsequenzen dafür zu tragen, seine Identität bekannt zu machen.
Nur einen Monat nach seinem Verschwinden sind die Afghanen bereits voller Wehmut und vermissen ihre liebste Mitfahrgelegenheit und beten dafür, dass sie irgendwo da draußen noch ist und darauf wartet, ihr sie anbetendes Publikum in Gänze zurückzugewinnen.
Kabul Taxi! “It has been a long time, no see!” #Literally pic.twitter.com/qmdKFIGPOl
— Muhib Shadan (@muhibshadan) September 26, 2015
Kabul Taxi! “Ich habe dich seit langer Zeit nicht mehr gesehen!” [Übersetzung des Schriftzugs auf Pashto auf dem Fenster eines Autos in Kabul]: Lange nicht gesehen!