Internetzensur in Pakistan: Es geht um mehr als nur YouTube

"Access is My Right" campaign poster by Bytes4All. Artwork by Anny Zafar.

Poster zu der Kampagne “Zugang ist mein Recht” von Bytes4All. Illustration von Anny Zafar.

Dieser Beitrag erschien ursprünglich bei The News und wird hier mit Genehmigung wiederveröffentlicht.

“Der Tag nach Zias Tod, war der erste Tag, an dem ich es zum ersten Mal seit fünf Jahren schaffte, einen Festnetzanschluss zu bekommen. Davor war es schwierig für mich, mit meinen Kollegen in Kontakt zu bleiben. Das hat meine Berichterstattung so viel schwieriger gemacht”, erinnerte sich die inzwischen verstorbene langjährige Aktivistin und Journalistin Najma Saddeque, als ich in ihrem Büro sitze, um über das Women’s Action Forum zu reden.

“Das war der beste Weg, die Arbeit einer Journalistin zu erschweren; es war gar keine direkte Zensur notwendig. Man musste sie einfach nur bei ihrer Arbeit behindern”, so Saddeque.

Es war die Zeit, als seltsame leere Felder anstelle von Berichten auftauchten, die als ungeeignet für die Öffentlichkeit erklärt worden waren; eine Zeit, in der jeder Nachrichtenbeitrag streng überwacht und gründlich überprüft wurde.

Haben sich die Dinge Jahrzehnte später zum Besseren gewendet? Es scheint so, doch wir sind nicht weit davon entfernt, wieder zum Erzählen von Halbwahrheiten zurückzukehren, einer verwässerten, genau überprüften Version der Realität. Da ist zum Beispiel der Angriff auf die Informationsfreiheit im Internet, der stetig schlimmer wird. Wie auch bei den klassischen Medien gibt der Staat vor, dass dies zum “Schutz” der Öffentlichkeit und der nationalen Identität geschehe.

Als Rechtsgruppen und Bürgerinnen und Bürger wegen der Sperrung von YouTube gegen den Staat vor Gericht zogen, teilte der Vorsitzende Richter Mansoor Ali Shah ihre Bedenken hinsichtlich der Ambiguität des Staates. Das Recht auf Informationen könne nicht im Namen der nationalen Sicherheit, Moral oder Religion eingeschränkt werden. Und sollte es doch notwendig sein, müssten die auferlegten Einschränkungen “angemessen” sein.

Warum wurde der Zugang zu YouTube gesperrt?

Gibt es eine Möglichkeit, unerwünschte Inhalte zu sperren und gleichzeitig den Zugang zum Rest der Website sicherzustellen? Welche Schutzmaßnahmen gibt es für ein ausländisches Unternehmen, wie beispielsweise Google, in einer solchen Situation? Wie müsste ein Unternehmen handeln, um die pakistanischen Gesetze einzuhalten?

Der Zugang zu YouTube wurde aufgrund eines blasphemischen Videos gesperrt, das auf der Plattform veröffentlicht worden war. Es gab keine Möglichkeit, Zugang zum Rest der Website zu schaffen und gleichzeitig nur dieses eine Video zu sperren. Dazu wäre eine Zweiteilung der sicheren HTTPS-Ebene im Internet erforderlich gewesen – eine Maßnahme, die selbst die pakistanische Telekommunikationsbehörde strikt ablehnte. Und nein, in Pakistan besteht weder Haftpflichtschutz für Intermediäre, noch bestehen ausreichend Gesetze, durch die die Regulierung von Inhalten im Internet geregelt wird. Wenn überhaupt, gründete die Internetregulierung in Pakistan bisher auf Ad-hoc-Entscheidungen, die fern jeglicher Transparenz und Rechenschaftspflicht getroffen wurden.

Als die Frage der Aufhebung der Sperrung des Zugangs zu YouTube ausführlich diskutiert wurde, wandte sich Richter Mansoor Ali Shah an Google, um in Erfahrung zu bringen, was notwendig wäre, um eine lokalisierte Version von YouTube in Pakistan zu schaffen. Die Antwort: ein klar geregeltes Verfahren zum Löschen von Inhalten, ein Rechtsrahmen sowie ein starkes Geschäftsinteresse für Google.

Nun haben wir sie also: Pakistan hat eine “lokalisierte” Version von YouTube. Sollte das Unternehmen jetzt eine gerichtliche Anordnung mit der Aufforderung den Zugang zu bestimmten Inhalten zu sperren, erhalten and genehmigen, wird es dem anscheinend nachkommen.

Drei Jahre nach der ursprünglichen Sperrung gab es in rechtlicher Hinsicht jedoch keine wirklichen Änderungen, bis auf die Tatsache, dass die Interministerielle Kommission zur Evaluierung von Websites (Interministerial Committee for Evaluation of Websites) – eine orwellsche Behörde, die vermutlich dafür zuständig war, Inhalte im Internet zu löschen – auf Anordnung des Premierministers aufgelöst wurde. Darüber hinaus drängt das Ministerium für Informationstechnik darauf, eines der schlimmsten Gesetze zu Cyberkriminalität in der Region zu verabschieden.

Das Oberste Gerichtshof hingegen prüft derzeit die Nutzlosigkeit der Sperre und die überstürzte Umsetzung durch den Staat. Dieser Fall alleine könnte alles ändern für die freie Meinungsäußerung in Pakistan, indem staatlich sanktionierte Zensur unter dem Deckmantel der Regulierung gründlich überprüft wird.

Doch wird es dazu kommen? Nicht, wenn die Regierung die Erzählung noch verworrener macht, indem sie eine große Show veranstaltet und ein großes Unternehmen zum Nachgeben bringt. Nicht, wenn Google selbst eine lokalisierte Version in Pakistan in Betracht ziehen würde, trotz seines früheren Engagements für transparente und rechenschaftspflichtige Rechtsrahmen.

Die pakistanische Telekommunikationsbehörde hat das Oberste Gericht informiert, dass die Regierung die Sperrung des Zugangs zu YouTube rasch aufheben sollte, da das anstößige Video nicht länger unter der .pk-Version der Seite abrufbar sei. Dass der einzige Grund für die Sperrung das Vorhandensein des Videos selbst gewesen sei.

Doch hier geht es um wesentlich mehr als nur die Aufhebung der Sperre von YouTube. Ein drei Jahre andauernder Kampf und die Forderung nach Selbstregulierung hinsichtlich staatlich sanktionierter Sperren sind rasch zum Stillstand gebracht wordeb. Derzeit gibt es Raum für eine Diskussion über die Vorzüge der Zensur in Pakistan und die Lächerlichkeit und Sinnlosigkeit von Internet-Filtern. Diese Debatte findet vor dem Obersten Gerichtshof statt. Dies ist unsere Chance, diese Diskussionen öffentlich zu führen, die Gesetze zu prüfen und uns gegen hartes Durchgreifen zu wehren. Es ist eine Möglichkeit, Raum zurückzufordern und uns gegen Hürden zu wehren, die unseren Zugang zu Informationen behindern.

Es gibt noch mehr Fragen: was geschieht, wenn das Gesetz zu Cyberkriminalität verabschiedet wird? Wird Google aufgefordert werden, Nutzerinformationen zur Verfügung zu stellen? Werden strafrechtliche Maßnahmen gegen politisch Andersdenkende ergriffen werden? Werden Menschen aufgrund eines mangelhaften Gesetzes angeklagt und bis zu sieben jahre inhaftiert werden? Wer wird die Unternehmen für die Lokalisierung in einem Land zur Verantwortung ziehen, in dem das Ministerium für Informationstechnik ein Gesetz einbringt, durch das Bürgerinnen und Bürger kriminalisiert statt geschützt werden?

Es gibt manche Menschen, die die Entscheidung begrüßen, möglicherweise deswegen, weil die Seite nun für diejenigen zugänglich ist, die nicht technisch versiert genug waren, Proxies zu nutzen. Aber für viele von uns ging es nie nur um YouTube. Es ging – und geht immer noch – um die Kontrolle des Staates über unsere Moral, Religiosität und nationale Identität.

Egal ob mit oder ohne YouTube, es liegt an jedem Einzelnen von uns, zu entscheiden, ob wir kritisch denken und unser Recht auf freien Zugang zu Informationen einfordern oder eine vom Staat geschaffene Version akzeptieren wollen.

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