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Darf ich vorstellen? Luisa Revilla – die erste Transgender-Frau in der peruanischen Politik

Kategorien: Peru, Bürgermedien, Politik, Rechte der Lesben, Schwulen, Bisexuellen und Transsexuellen (LGBT)

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Dieser Beitrag wurde im englischen Original [1] von Héctor Lozano González [2] verfasst und im Online-Magazin Tea After Twelve [3] veröffentlicht. Der Artikel wurde gemäß Veröffentlichungsvereinbarung und mit Genehmigung für Global Voices angepasst und neu veröffentlicht.

Ihren Namen hörte ich zum ersten Mal während eines landesweit ausgestrahlten Interviews, kurz nachdem sie die Kommunalwahlen gewonnen hatte: Luisa Revilla – die erste Transgender-Politikerin in Peru. Es war, gelinde gesagt, eine einzigartige Nachricht in einer Zeit, in der die Bürgerrechte von Homosexuellen in Peru Anlass für eine anhaltende Debatte im Kongress boten. Luisa Revilla war allerdings mehr damit beschäftigt, ihre erste politische Funktion als Ratsmitglied in der Gemeindeverwaltung von La Esperanza [4] wahrzunehmen, einem Bezirk am Rande der zweitgrößten peruanischen Metropole Trujillo. Ich rief sie an und bat sie um ein persönliches Treffen für ein Interview.

Die Gegend, in der Luisa gearbeitet hat, ist eine informelle Siedlung am Rande der Stadt. Auf der Suche nach bezahlbarem Wohnraum lassen sich immer mehr Leute in den noch nicht erschlossenen Gebieten auf den Berghängen rund um die Stadt nieder. Daraus haben sich neue Siedlungen entwickelt, die jedoch keinen Zugang zur städtischen Infrastruktur haben und demzufolge weder über eine Straßenanbindung noch über eine verlässliche Wasser- und Stromversorgung verfügen. Diese Grundversorgung in die Marginalsiedlungen zu bringen ist derzeit eines von Luisas Hauptanliegen in ihrem politischen Wirken.

Das Zuhause, nach dem sie sich schon als Kind gesehnt hat

Luisa empfängt mich bei sich zuhause: einem Haus, in dessen Bau sie ihr ganzes Herzblut gesteckt hat, und das in einer Gegend, in der es nichts außer Sand und ein paar Hütten aus Holz und Stoff gab. Heute ist es fertig und für sie ist es das Zuhause, nach dem sie sich schon als Kind gesehnt hat. Unten befindet sich ihr Geschäft für Videospiele, das sie bereits seit fünfzehn Jahren betreibt. Luisa konnte sich diesen Traum erfüllen, weil sie für die zweijährige Zusammenarbeit mit einem Freund aus Nordamerika eine großzügige Entlohnung erhalten hatte. Dieser Freund war es auch, der sie dazu ermutigte, ihr Leben so zu leben, wie es sich für sie richtig anfühlt: nämlich als Frau.

Nachdem ihr Vater sie in jungen Jahren verlassen hatte, sahen sich Luisa und ihre Mutter gezwungen, ein Leben zu führen, das sie selbst als „Zigeunerleben“ beschreibt: „Wir zogen häufig um, immer auf der Suche nach Wohnungen, in denen wir uns trotz der Armut gut um uns selbst kümmern konnten”, erinnert sie sich.

“I felt sad that I did not have a ‘traditional’ family; with someone to defend me against the abuse and atrocities directed against me on account of my sexual orientation during my childhood, adolescence, and youth. I was a sex worker in Lima at the age of sixteen…”

“You turned to prostitution?” I inquire.

“No! To ‘sex work’,” she corrects me.

“What is the difference between ‘sex work’ and prostitution?”

“It is the same, only it sounds more elegant to say ‘sex work’,” she explains, laughing at the clarification. “It was because lack of guidance at home. I really admired the girls who engaged in this. You learn to survive. You learn that both good and bad people exist. But I realized that this world was not for me. It was horrible… horrible. It was the lowest I have ever sunk. I felt dirty, filthy, and unworthy. I listened to my heart and returned to Trujillo, where I entered the seminary of the Catholic missionary congregation of the Redemptorist Brothers.”

„Es hat mich traurig gemacht, keine ,traditionelle‘ Familie zu haben; jemanden, der mich gegen die Anfeindungen und Grausamkeiten verteidigt hätte, die ich während meiner Kindheit, Jugend und als junge Erwachsene aufgrund meiner sexuellen Orientierung ertragen musste. Mit sechzehn war ich Sexarbeiterin in Lima…”

„Sie sind Prostituierte geworden?”, frage ich nach.

„Nein! ,Sexarbeiterin‘”, korrigiert sie mich.

„Wo ist der Unterschied zwischen ,Sexarbeiterin‘ und ,Prostituierte‘?”

„Es ist dasselbe, aber ,Sexarbeiterin‘ klingt eleganter”, erklärt sie und lacht dabei über die Erklärung. „Zuhause fehlte mir einfach eine klare Richtung. Ich bewunderte die Mädchen aus dieser Branche wirklich. Man lernt, zu überleben. Man lernt, dass es gute und schlechte Menschen gibt. Aber mir wurde klar, dass diese Welt nichts für mich ist. Es war schrecklich… schrecklich. Nie bin ich tiefer gesunken. Ich habe mich dreckig, schmutzig und wertlos gefühlt. Ich hörte auf mein Herz und kehrte zurück nach Trujillo, wo ich dem theologischen Seminar der missionarischen Kongregation des Heiligsten Erlösers beitrat.”

Auf dem Weg in die Politik: „Hier bin ich!“

Mit 44 musste Luisa, die als Luis Alfredo Revilla Urcia zur Welt kam, ihre Art, sich zu kleiden und zu sprechen, anpassen, je nachdem, wo sie sich gerade während des Wahlkampfes befand. Dennoch ist es nach mehr als 200 Tagen im Amt offensichtlich, dass ihr Einzug in die Politik weder Zufall noch kontroverse Provokation war. Sie ist derzeit Generalsekretärin des Bürgermeisters, Ratsmitglied und Projektleiterin bei JUVES, einem Gremium zur Verbesserung der Sicherheitslage in der Gemeinde.

Elidio Espinoza, Bürgermeister von Trujillo und der Mann, der Luisa ermutigt hat, sich als Ratsmitglied zur Wahl zu stellen, erinnert sich daran, wie er sie gebeten hat, sich ihm anzuschließen:

“It was the day when the district committees of La Esperanza were to take their oath.”

„Es war an dem Tag, an dem die Amtsträger des Bezirks La Esperanza ihren Amtseid leisten sollten.“

Bei dieser Veranstaltung stellt jede politische Partei ihre Arbeitsgruppen für die bevorstehenden Wahlen vor. Nur allzu oft fühlen sich die Vertreter von kleineren Parteien allerdings durch die Mitglieder der einflussreicheren politischen Gruppen eingeschüchtert. So geschah es auch mit den Unterstützern von Elidio Espinoza:

“Many of those summoned found themselves deterred by pressure from our political adversaries.” Only three participants attended, including Luisa. “As soon as I saw her, I offered her the opportunity to join the party and to occupy one of the leadership positions. Without a second thought, she responded to the offer with enthusiasm: ‘Here I am!’”

„Viele der Einberufenen wurden durch den Druck durch politische Gegner abgeschreckt.“ Nur drei Teilnehmer erschienen bei der Veranstaltung, darunter auch Luisa. „Als ich sie sah, bot ich ihr direkt die Möglichkeit an, der Partei beizutreten und eine Führungsrolle zu übernehmen. Ohne weiter darüber nachzudenken, antwortete sie enthusiastisch: ,Hier bin ich!‘”

Eine Politikerin, die sich für die einfachen Leute einsetzt

Hinten in ihrem Büro entdecke ich einige Perücken in verschiedenen Farben. Ich hatte anfangs gedacht, ihr Haar sei von Natur aus lang, bemerke aber jetzt, dass ich falsch lag. Luisa ist eine große, kräftige Frau. Sie trägt eine Baseball-Kappe und ein schwarzes, sportliches Outfit; nicht gerade das übliche Outfit eines Ratsmitglieds.

„Ich mag es nicht, im Büro zu sein”, erklärt sie, als wir das Büro verlassen und einen Spaziergang durch La Esperanza machen. „Ich mag die Arbeit vor Ort, die Action, den direkten Kontakt mit den Leuten: Es gibt Vieles zu tun.” Als sie mir ihren Bezirk zeigt, kann ich die Wirkung ihrer Arbeit und ihrer persönlichen Anwesenheit sehen: Die Leute erkennen sie, hören ihr zu und sind bereit, alle Probleme, denen sie sich gegenübersehen, anzupacken. Auf den städtischen Baustellen ist deutlich erkennbar, dass sie wirklich jeden Tag daran arbeiten, Straßen zu errichten, um den Leuten Zugang zu Wasser, Strom und dem öffentlichen Verkehr zu ermöglichen. Es wird eine Sport- und Freizeiteinrichtung, ein Markt und eine Schule gebaut. Eine Fernstraße soll nicht nur Autos, sondern vor allem auch Entwicklung bringen.

Transgender-Politikerinnen schreiben Geschichte

Luisa hat Geschichte geschrieben. Sie ist unbeabsichtigt Teil einer Gruppe von Transgender-Frauen geworden, die eine wesentliche Rolle in der Medienwelt und in politischen Ämtern in Lateinamerika einnehmen. Die erste im Bunde war Zuliana Araya Gutiérrez (früher Enrique genannt), die im Jahr 2012 als erste Transgender-Frau in den Gemeinderat von Valparaíso, Chile, einzog. Im selben Jahr wurde eine Kubanerin namens Adela (früher José Agustín Hernández genannt) Abgeordnete in den Kommunalversammlungen der Volksmacht, den sogenannten Asambleas Municipales del Poder Popular, für ihre Geburtsstadt Caibarién.

Diese drei Frauen zeigen, dass sexuelle Orientierung und Geschlechterrollen ihre Position in der Gesellschaft weder bestimmen noch beeinträchtigen. Ganz im Gegenteil: Es ist offensichtlich, dass sie in ihren jeweiligen Bezirken eine außergewöhnlich gute Verbindung zu den Ärmsten in der Bevölkerung haben. Wenn wir dieses Phänomen als eine soziale Rechtfertigung für die LGBT-Gemeinschaft betrachten, so wäre es nicht verwunderlich, bald schon eine Vierte zu der Liste dieser Pionierinnen hinzufügen zu dürfen. Es ist weithin bekannt, dass zum Beispiel die Anwältin Tamara Adrián sich möglicherweise dieses Jahr, also 2015, für die Nationalversammlung von Venezuela zur Wahl stellen wird. [Update: Tamara Adrián hat bei der Wahl einen Sitz in der Nationalversammlung gewonnen. [5]]

“What do you think about the bill supporting civil unions between same-sex partners in our country?” I ask Luisa.

“I think that I must support the proposal because I am a member of these minorities. However, I do not think that it is essential.”

Her answer surprises me. “Why do you not consider it important?”

“For me, the real victory will be the day that my identification card recognizes me as a woman. Luisa instead of Luis.”

“Have you ever had an operation of any kind?”

“No… I am a woman in the body of a man, but I will not undergo surgery. I like my body. Everything you see is natural and I would never mutilate myself. I do not need a sex reassignment to know that I am a woman. I feel like a woman and think like a woman.”

„Was halten Sie von dem Gesetzesentwurf zur Unterstützung von eingetragenen Partnerschaften zwischen gleichgeschlechtlichen Partnern in unserem Land?“, frage ich Luisa.

„Ich denke, dass ich diesen Entwurf unterstützen muss, da ich zu dieser Minderheit gehöre. Allerdings glaube ich nicht, dass dieses Gesetz unbedingt notwendig ist.”

Ihre Antwort überrascht mich. „Warum halten Sie dieses Gesetz für nicht so wichtig?”

„Für mich wird der wahre Sieg an dem Tag sein, an dem ich auf meinem Ausweis als Frau anerkannt werde: Luisa anstelle von Luis.”

„Haben Sie sich jemals operieren lassen?”

„Nein… Ich bin eine Frau im Körper eines Mannes, aber ich werde mich nicht operieren lassen. Ich mag meinen Körper. Alles, was Sie sehen, ist echt und ich würde mich niemals verschandeln lassen. Ich brauche keine Geschlechtsumwandlung, um zu wissen, dass ich eine Frau bin. Ich fühle mich wie eine Frau und ich denke wie eine Frau.”

Als Luisa ihren Eid zum Amtseintritt als Ratsmitglied bei einer öffentlichen Veranstaltung leistete, präsentierte sie sich als Mann, doch sie stellte unverzüglich öffentich klar, dass sie als Frau anerkannt werde, wobei sie sich bei ihrem Schwur auf Toleranz und Gleichbehandlung berief.

Sie folgt diesem Weg noch heute, indem sie als Transgender-Frau in ihrem Bezirk für das Recht aller eintritt, so akzeptiert zu werden, wie sie sind.

Dieser Beitrag wurde im englischen Original [1] von Héctor Lozano González [2] verfasst und im Online-Magazin Tea After Twelve [3] veröffentlicht. Der Artikel wurde gemäß Veröffentlichungsvertrag und mit Genehmigung für Global Voices angepasst und neu veröffentlicht