GV Face: Was hältst Du von dem Wort “Terrorismus”?

Wann sollten wir eine Gewalttat als “Terrorismus” bezeichnen und wann sollten wir einen Kämpfer “Terrorist” nennen?

Namen und Bezeichnungen sind etwas, das wir bei Global Voices sehr ernst nehmen. In unseren redaktionellen Richtlinien steht: “Sei Dir der Bezeichnungen bewusst, die Du für Personen, Menschen und Gruppen verwendest. Hinterfrage Begriffe, Namen, Fotos oder Praktiken, die von anderen Medien oder Regierungen genutzt werden – benutze ausschließlich Bezeichnungen, die mit unseren Richtlinien und Werten übereinstimmen.”

Unser Redaktionsteam hat eine Diskussion gestartet über die Vermeidung der Begriffe Terror, Terrorismus oder Terrorist. Diese Bezeichnungen sollten nur in Zitaten verwendet werden oder wenn sie einer Quelle zugeordnet sind, da:

  • keine allgemeingültige Definition existiert. Die vorhandenen Definitionen sind sehr weit gefasst.
  • sie oft missbraucht werden. Der Begriff “Terrorismus” wird oft politisiert. Z.B. scheint er im Westen nur in Verbindung mit Muslimen verwendet zu werden. Des Weiteren nutzen Regierungen ihn um abweichende Meinungen zu kriminalisieren, wie im Falle der äthiopischen Zone 9 Blogger.
  • wir gemäß der redaktionellen Richtlinien von GV vorsichtig mit Bezeichnung umgehen.

Wir haben uns darauf geeinigt, dass “Beschreibungen von Handlungen aussagekräftiger sind als Adjektive“. Und, dass wir darauf achten sollten, Regierungen und Gruppen, die Bezeichnungen für sich nutzen um Darstellungen oder Wahrnehmungen zu kontrollieren, nicht in die Hände zu spielen.

Im Anschluss an die Diskussion drückte einer unserer ältesten Mitarbeiter aus Peru, Juan Arellano, seine Bedenken darüber aus, dass die Entscheidung diese Bezeichnungen nicht zu benutzen, das Gedenken an die Todesopfer von terroristischen Taten nicht ausreichend würdigt. Dabei nannte er den Leuchtenden Pfad, die kommunistische Partei Perus, als Beispiel.

In diesem Abschnitt von GV Face eröffnen wir in der GV Community eine Diskussion über Bezeichnungen und Sprachpolitik, insbesondere in Bezug auf das Wort “Terrorismus”.

Juan Arellano diskutiert gemeinsam mit der GV Nachrichtenredakteurin, Lauren Finch, unserer Redakteurin für den Bereich Brasilien, Taisa Sganzerla, dem libanesischen Blogger und MENA Mitarbeiter, Joey Ayoub, dem Runet Echo Redakteur, Kevin Rothrock, sowie unserer Social Media Redakteurin und Mitarbeiterin im Bereich Lateinamerika, Elizabeth Rivera.

Um die Diskussion zu beginnen, spielten wir ein kleines Spiel mit Wortassoziationen des Begriffs “Terrorist”. Die Antworten waren: ISIS, Gewalt gegen Zivilisten, herzzerreißend, Dunkelheit, Massenmord, Panikmache und Politik.

Hier einige Ausschnitte der Konversation.

Ich fragte Joey, warum er beim Schreiben nicht den Begriff Terrorismus verwendet. Seine Antwort (02:30- 3:10):

I am very uncomfortable with the word terrorism. And it is not that I don’t believe that it  exists. It obviously does and the definition of terrorism is more or less straightforward. But it is used so often in such obviously dishonest ways, that it has lost all meaning for me. And it is not that the Paris attacks were not terrorism, they obviously were, they meet every definition of it. There are so many acts that are terrorism, but they will never be called terrorism, because of the political implications of doing so. It is a word that has lost it meaning, if it ever had one specifically.

Das Wort Terrorismus bereitet mir Unbehagen. Es ist nicht so als würde ich denken, dass es nicht existiert. Es existiert offensichtlich und die Definition von Terrorismus ist mehr oder weniger eindeutig. Aber es wird so oft auf derart offensichtlich unehrliche Art und Weise benutzt, dass es für mich alle Bedeutung verloren hat. Es ist nicht so, als wären die Anschläge in Paris kein Terrorismus gewesen, das waren sie offensichtlich, sie decken jede Definition ab. Es gibt zahlreiche Taten, die terroristisch sind, aber niemals als solche bezeichnet werden, aufgrund der politischen Auswirkungen, die eine solche Bezeichnung mit sich bringt. Es ist ein Wort, dass seine Bedeutung verloren hat, wenn es denn jemals eine besondere Bedeutung hatte.

Unsere neue Nachrichtenredakteurin Lauren Finch erklärt, wie sie mit der Sprachpolitik im Bezug auf das Wort Terrorismus bei der Bearbeitung von Geschichten aus verschiedenen Teilen der Welt umging (3:45-5:20): 

The cases where it is a no-brainer that we are going to use the word terrorism or terrorist or terror attack is when it is an official charge or if it is a quote. Someone has been brought up on terror charges or a government official said ‘this was a terror attack, what happened yesterday’. What doesn’t quite make sense, especially for the GV community or audience, because we are so diverse, we are from all around the world, and it is really hard to take for granted some sort of common background knowledge between all of us from many different backgrounds and experiences, is “what terrorism is?” It differs depending on history and country and context. So it is hard to use it, out of the blue to call something a terrorist act without attributing it to something else because we don’t know what definition the author is going on. Is it the definition in Ethiopia? The definition in Peru? The different definitions used by three different government departments in the US? It is really hard to assume that we are all working with the same definition of terrorism, and they differ across the world. Some have to do with a political goal in mind. Some have to do with violation of human rights. Some have to do with threat of violence, not actual violence. Attribution is the key, at least when we are working with Global Voices authors.

Die Fälle bei denen es eindeutig ist, dass wir die Wörter Terrorismus, Terrorist oder Terroranschlag benutzen, sind offizielle Anklagen oder Zitate. Wenn jemand wegen eines Terroranschlags angeklagt wurde oder ein Regierungsmitglied erklärt: “Was gestern passiert ist, war ein Terroranschlag.” Die Frage, die nicht wirklich Sinn macht, besonders für die GV Community und die Leserschaft, weil wir so vielfältig sind und aus allen Teilen der Welt kommen, und weil es sehr schwierig ist von einem bestimmten Maß an gemeinschaftlichem Hintergrundwissen bei uns auszugehen, da wir alle verschiedene Hintergründe und Erfahrungen haben, ist “was ist Terrorismus?” Die Antwort ändert sich je nach Geschichte, Land und Kontext. Daher ist es schwierig es zu benutzen. Etwas einfach als Terroranschlag zu beschreiben, ohne es mit etwas Anderem in Verbindung zu bringen, ist problematisch, da wir nicht wissen welche Definition der/die AutorIn benutzt. Ist es die Definition in Äthiopien? Ist es die Definition in Peru? Die verschiedenen Definitionen, die von drei unterschiedlichen Ministerien der Vereinigten Staaten genutzt werden? Es ist schwierig davon auszugehen, dass wir alle mit derselben Definition von Terrorismus arbeiten, da sie nicht universell ist und sich von Land zu Land unterscheidet. Manche sind mit einem politischen Ziel verbunden. Andere schließen Menschenrechtsverletzungen mit ein. Wieder andere Definitionen beinhalten die bloße Bedrohung von Gewalt, nicht eigentliche Gewalt. Die Zuordnung der Geschehnisse ist der Schlüssel, zumindest wenn wir mit Autoren und Autorinnen von Global Voices zusammenarbeiten.

Juan Arellano erklärt warum er denkt, dass im Falle des Leuchtenden Pfades keine Zuordnungen nötig seien (13:48- 14:30):

 I lived through years of terrorism in Peru. I was never directly affected. But I read and watched the news as it was happening. So it was a close experience. I understand that there is an abuse of the term of the word. Environmental activists are mislabeled here as well. We are not strangers to the global conversation about terrorism. I want to talk about the Shining Path in Peru. There is no debate about why we call them terrorists.

Ich habe die Jahre des Terrorismus in Peru miterlebt. Ich war nie direkt betroffen. Aber ich las und schaute Nachrichten während es passierte. Daher war es eine nahegehende Erfahrung. Ich verstehe, dass die Bedeutung dieses Wortes oft missbraucht wird. Umweltaktivisten und -aktivistinnen werden hier ebenfalls falsche Bezeichnungen zugeordnet. Die globale Konversation über den Terrorismus ist uns nicht fremd. Wenn ich über den Leuchtenden Pfad in Peru sprechen möchte, gibt es keine Diskussion darüber warum wir sie Terroristen nennen.

Er fügte hinzu [42:50- 43:30]:

Just yesterday this happened. There is a website in Peru run by expats, they published an article about the expulsion of a former terrorist Lori Berenson, a US citizen after serving her [terrorism] sentence. She was called an activist [in the headline] and this caused a lot of indignation amongst its readers. After that the website corrected the language and issued an apology.

Erst gestern ist folgendes passiert. Es gibt eine peruanische Internetseite, die von Auswanderern betrieben wird. Sie veröffentlichten einen Artikel über die Abschiebung der ehemaligen Terroristin Lori Berenson, einer US-Amerikanerin, die ihre Haftstrafe (wegen Terrorismus) verbüßt hatte. Sie wurde (in der Überschrift) als Aktivistin bezeichnet, was zur Empörung der Leserschaft führte. Daraufhin korrigierte die Internetseite ihre Ausdrucksweise und gab eine Entschuldigung heraus.

Ich fragte Elizabeth, ob sie denkt, dass der Gebrauch des Wortes umstritten sei. Ihre Antwort (17:38- 18:30): 

I think the term is controversial for sure. Controversial in the present. And controversial to describe things what happened in the past. Again, it is all about politics, right?  For example, in Chile, right now there is a controversy to use that term for the Mapuches, an indigenous community in the south of Chile, who are claiming rights of their land and autonomy. Sometimes the more extreme of the Mapuche go into the landowner houses and burn them. And many people call them terrorists. But there is a huge controversy about that. Are they defending their right? Or are they being terrorists? It depends on who you talk to.

Ich denke, dass der Gebrauch definitiv umstritten ist. Umstritten in der Gegenwart. Und umstritten, wenn es um die Beschreibung vergangener Geschehnisse geht. Nochmals, alles dreht sich um Politik, oder? In Chile ist es momentan zum Beispiel umstritten den Begriff für die Mapuche, einem indigenen Stamm im Süden Chiles zu benutzen, die Rechte auf ihr Land und Autonomie einfordern. Es kommt auch vor, dass die Extremeren unter den Mapuche die Häuser der Landbesitzer in Brand setzen. Viele nennen sie Terroristen. Dies ist aber höchst umstritten. Verteidigen sie ihr eigenes Recht? Oder handelt es sich hier um Terroristen? Das hängt davon ab mit wem man spricht.

Taisa fügte hinzu (37:40 – 38:40):

We should definitely be very careful using the word. Kevin raised an interesting point about how the word is emotionally-satisfying. It is politically charged, but it became a thing itself. People use it to express their rage. And we have to be careful, even as journalists, even as Global Voices, not to sound too detached, not to sound too hygienic, too careful. At the same time, we have to take into consideration the context, attribution I think is a good way.

Wir sollten auf jeden Fall sehr vorsichtig sein im Umgang mit dem Wort. Kevin machte eine interessante Bemerkung darüber, dass das Wort emotional zufriedenstellend ist. Es ist politisch beladen, aber es wurde zu etwas Eigenem. Menschen benutzen es um ihre Wut auszudrücken. Und wir müssen vorsichtig sein, selbst als Journalisten und Journalistinnen, selbst als Global Voices, nicht zu abgeklärt zu klingen, nicht zu hygienisch, zu vorsichtig. Gleichzeitig müssen wir aber auch den Kontext berücksichtigen. Ich denke es ist gut und hilfreich Geschehnisse einzuordnen.

Nachdem Lauren vorgeschlagen hatte, dasselbe Maß an Sorgfalt, das wir für den Begriff “Verrat” benutzen, auch für “Terrorismus” anzuwenden, fügte Kevin zustimmend hinzu (39:50 – 42:00):

It would be weird to use a modifier on an individual or even organization to call them a “thief.” It would just be odd. You wouldn’t introduce a character like that in a story. It’s a strange pronoun or adjective. It’s probably best to stick with attribution, whatever some sort of formal body has identified them as, or if you are quoting people, they are going to be using terrorism left and right. Use some sort of qualifier. There is a trade-off there and the language could become sterilized and authors need to be mindful. They need to look at a text and when it is done, if it looks like a white paper or like a memo on an event and you are trying to connect with people. I am not saying, ‘throw in terrorist everywhere’. But that it might mean that you have distanced yourself too much from the piece. You are informing people but that it isn’t prohibition on being emotionally engaging.

Or using descriptions of violence? (I interrupted)

Sure. We are breaking it out to be that it is bold to use the term terrorism, but in reality it would be a lot more work to spell it out.

Es wäre eigenartig ein Bestimmungswort zu benutzen, wenn man von einer Person oder einer Organisation spricht und sie als “Dieb” zu bezeichnen. Es wäre einfach merkwürdig. So würde man einen Charakter in einer Geschichte nicht einleiten. Es ist ein komisches Pronomen oder Adjektiv. Es ist wahrscheinlich am Besten die Dinge unabhängig davon als was ein bestimmtes offizielles Organ einen Menschen oder eine Gruppe identifiziert hat einzuordnen. Das gleiche gilt für das Zitieren von Personen, die das Wort Terrorismus ununterbrochen und willkürlich benutzen. Am Besten ist es eine Art Kennzeichnung zu benutzen. Man muss hier gut abwägen. Die Sprache könnte hier zu steril, zu nüchtern werden und Autoren sowie Autorinnen müssen dabei sehr aufmerksam bleiben. Sie müssen bei ihrem fertigen Text darauf achten, ob er nicht zu sehr einem Weißbuch ähnelt oder bloß eine Kurzmitteilung eines Ereignisses darstellt, da man schließlich eine Verbindung zu der Leserschaft sucht. Ich möchte damit nicht sagen “werft überall Terroristen ein”. Aber den Begriff vollkommen zu meiden, könnte bedeuten, dass man sich zu sehr von seinem Schriftstück distanziert. Menschen zu informieren bedeutet nicht gleichzeitig, dass es verboten ist sie auf einer emotionalen Ebene anzusprechen.

Oder Gewalttaten zu beschreiben? (unterbrach ich)

Sicherlich. Wir sagen es sei gewagt den Begriff Terrorismus zu benutzen, in Wahrheit wäre es aber mit viel mehr Arbeit verbunden es auszuschreiben.

 

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