Von der Willkür der Menschenschmuggler, in die Zange der Kredithaie: Das zusätzliche Leid der Migranten

La familia de Abel Majzul en Guatemala, quienes tuvieron que afrontar los gastos e intereses del pago del viaje del único hombre de la familia a Estados Unidos. Foto: Diario19.

Die Familie von Abel Majzul in Guatemala, die ihr einziges männliches Familienmitglied für ein besseres Leben in die USA geschickt hatte, musste die anfallenden Kosten und Zinsen alleine bewältigen. Foto von Diario19.

Dieser Bericht wurde von Rodrigo Soberanes für Diario19.com verfasst. Der Bericht gehört zum Rahmenplan der Investigative Reporting Initiative in the Americas des International Center for Journalists (ICFJ) in Partnerschaft mit CONNECTAS. Er wurde hier im Zuge einer redaktionellen Vereinbarung veröffentlicht.

Schwer war der Abschied vom einzigen Mann der Familie, als er von Guatemala in die USA auswanderte. Aber es war nicht die einzige Schwierigkeit die Familie Majzul zu ertragen hatte. Sie mussten auch mit der Tatsache zurechtkommen, dass er in Geldschulden verwickelt war, die jeden Monat mehr wurden — eine Zeitbombe, die nur entschärft werden konnte, wenn alles genau nach Plan verlief.

Hätten sie sich nicht dazu entschieden einen Kredit aufzunehmen, wäre die einzig andere Option gewesen es auf eigene Faust zu versuchen. Das hätte bedeutet auf mexikanischen Frachtzügen zu reisen und zu hoffen unterwegs nicht ermordet zu werden oder einen Unfall zu haben.

Abel Majzul arbeitete zwei Jahre, in denen er Geldsendungen nach Hause schickte und somit einen Teil seiner Schulden abbezahlte. Aber letztendlich wurde er deportiert, die „Bombe” explodierte und traf ihn und seine Familie. Wegen der unerschwinglichen Verzinsung fanden sie sich in einer unerwartet schlimmen Lage wieder, die sie sich so nicht vorgestellt hatten, bevor sie sich auf das Wagnis des American Dreams einließen.

Abel ist einer von vielen, die diese Reiseroute eingeschlagen haben: Sie verschulden sich bei einem ortsansässigen Kreditgeber, um den Menschenschlepper, den sogenannten Kojoten, der sie über die Grenze bringt, bezahlen zu können. Es ist in diesem Land zum Normalfall geworden, sich bis zum Hals zu verschulden, von 4.000 bis zu 9.000 Dollars (ca. 3.700-8.300 Euro). Es ist ein Spiel mit hohem Risiko bei dem sie nicht nur ihre eigene Zukunft riskieren, sondern auch noch das Bisschen, das sie sich in den letzten Jahren schwer erarbeitet haben. Dies wird in einem Bericht deutlich, der auf der Plattform für lateinamerikanischen Journalismus namens CONNECTAS veröffentlicht wurde.

Von Abels Mutter, Florinda Majzul, die in Patzún im Gebiet von Chimaltenango, Guatemala lebt, wissen wir, dass Abel Majzul Schulden in Höhe von 40.000 Quetzal (ca. 4.800 Euro) hat. Weil er beim unterschreiben des rechtsungültigen Vertrages zugestimmt hat monatlich 10 Prozent Zinsen zu zahlen, erhöht sich diese Summe monatlich um weitere 480 Euro.

„Die Leute müssen ihre Schuldenverträge im Land lassen. Sie sind dazu gezwungen mit mündlicher Bürgschaft ihr Land und ihr Haus zu überschreiben, anstatt besser eine Hypothek aufzunehmen”, erklärt der Geschäftsmann Vinicio Solís aus Patzún.

Genau das tat auch die Familie von Abel Majzul. Seit vier Jahren plagt seine Schwestern und seine Mutter Florinda die Sorge ihr kleines Haus zu verlieren. Nach Angaben des Amtsgerichts von Chimaltenango gehört ihr Haus nun dem Geldverleiher, der sie noch dazu wegen Bedrohung und widerrechtlicher Aneignung angezeigt hat. Nun stehen sie einer Anweisung des Gerichts gegenüber, ihr Grundstück räumen zu müssen.

In diesem Haus, wo das Dach aus Blech und die Türen aus alten Holzstücken bestehen, das keine zementierten Böden oder Verputz hat, in diesem Haus spricht die Familie Cakchiquel, eine der [meistgesprochenen] Maya-Sprachen. Auch tragen sie nur traditionelle Kleidung und ihre Ernährung besteht überwiegend aus Mais und anderen Getreidearten. Fleisch und Milchprodukte sind ein seltener Luxus.

Ein Stapel Papiere, den Frau Majzul gesammelt hat, zeigt wie diese Vereinbarungen zwischen den Geldverleihern und den Einwanderern funktionieren. Hier bewahrt sie auch einen notariell beglaubigten Vertrag auf, der von einem Rechtsanwalt aus Patzún ausgestellt wurde. Er besagt, dass das Haus für 40.000 Quetzals (ca. 4.830 Euro) an einen Kredithai „verkauft” wurde. Diese Verschuldung ist die Fessel, welche die Familie gefangen hält. Das Gewicht, das auf ihren Schultern lastet wird von Jahr zu Jahr immer größer.

Das Dokument, das im Dezember 2006 unterzeichnet wurde, besagt:

Por el presente instrumento público han convenido en celebrar contrato de compraventa de derechos posesorios sobre el inmueble”.

Mit der vorliegenden öffentlichen Urkunde haben sie sich mit einem Kaufvertrag dazu einverstanden erklärt, ihre Eigentumsrechte über das Grundstück abzutreten.

Das beschriebene Grundstück ist das Haus mit zwei Zimmern von Florinda Majzul, in dem ihre beiden Töchter und ihre Enkel leben.

Die Geschichte hinter Frau Majzuls Dokumenten geht weiter mit einem riesigen Stapel an Bankeinzahlungen, die zwischen Juni 2007 und Januar 2008 gemacht wurden. Alle gingen zur Banco de Desarrollo Rural (Landesentwicklungsbank) auf das Konto des Geldverleihers, zusammengerechnet insgesamt 75.400 Quetzals (ca. 9.040 Euro).

Diese Bankeinzahlungen wurden von den Geldsendungen gemacht, die Abel Majzul verschickte während er in den USA arbeitete. Aber der Kredithai betrachtet sie als ungültig.

42 Prozent der Bevölkerung Guatemalas lebt auf dem Land und laut der sozial engagierten Organisation Vida Digna (Würdevolles Leben) gibt es gerade hier immer mehr Geldverleiher und Sparkassen, die armen Leuten Kredite anbieten, die normalerweise nicht berechtigt wären ein Bankdarlehen zu bekommen.

Laut Alejandra Gordillo, der Direktorin von Conamigua, die für die Verteidigung solcher Betroffenen verantwortlich ist, ist der Fall der Familie Majzul und der Konflikt mit den Geldleihern einer von tausenden ähnlichen Fällen.

Es sind Geldverleiher, die sich als örtliche Bank ausgeben. Sie arbeiten dort, wo die Banken nicht hinkommen: „Sie arbeiten für ein paar Wochen und dann sind sie wieder verschwunden”, sagt ein Gemeindehelfer aus dem Quetzaltenango Gebiet, der seine Identität verdeckt halten will.

Florinda und ihre beiden Töchter suchen Arbeit auf dem Land, wie so viele der Ureinwohner von Patzún. Auf dem Land verdient ein Mann 40 Quetzals (ca. 4,85 Euro) am Tag, wohingegen eine Frau nur 20 Quetzals (ca. 2,42 Euro) am Tag verdient. Mit solch einem Budget, können sie sich keine zusätzlichen Abzahlungen an die Geldverleiher leisten.

Seit nunmehr sechs Jahren sammeln sie diese Einzahlungsbelege, die jetzt wie Ersatzpapiere sind für die Dokumente, die Familie Majzul laut Vertrag abgeben musste. Andere Leute, die solche Unterlagen nicht besaßen um sich zu verteidigen, landeten auf der Straße — oder im Gefängnis.

„Wir hatten Leute, die im Gefängnis waren, nur weil sie in ihrem eigenen Haus lebten”, so die Direktorin von Conamigua.

Juan Barragán wohnt auf der anderen Seite von Patzún. Erst kürzlich kam er aus dem Gefängnis frei, weigert sich aber über seinen Fall zu sprechen. „Er ist einer von denen, die ins Gefängnis kamen, weil sie in ihrem eigenen Haus wohnten”, erzählt die Direktorin von Conamigua, die auch als Barragáns gesetzliche Verteidigerin fungierte. Anrufe mit anderen Betroffenen werden nur widerwillig gemacht oder man verweigert sich total.

Diese Fälle an die Öffentlichkeit zu bringen, gibt anderen Betroffenen nicht ihr Haus zurück, so deren Argument. Sie meinen: „Das macht nur noch mehr Probleme.” „Ich bekomme Angst wenn ich ihn sehe, ich gerate in Panik. Wenn ich ihn sehe bekomme ich Magenschmerzen”, beschwert sich ein Bürger von Patzún über seinen Geldverleiher.

Kein Wunder, dass sie verängstigt sind. Die Arbeit der Kojoten, die die Kunden für die Kredithaie einfangen, ist ein wichtiger Bestandeil der Kreditverhandlungen. „Die Geldverleiher machen gemeinsame Sache mit den Kojoten und den Drogenhändlern”, versichert uns der Gemeindeleiter.

„Der Großteil der Geldverleiher, die solch einen Service bereitstellen, stehen in Verbindung mit Notaren und Kojoten und manche hängen sogar mit dem organisierten Verbrechen zusammen”, sagt Alejandra Gordillo. In San Pedro Sula, Honduras wurde ein Kojote befragt, der nur einschlägig als „José” bekannt ist. Hierbei erklärte er: „Wir alle müssen einen ganz bestimmten Boss haben und man muss mit einem Kartell zusammen arbeiten. Das kann man nicht alleine machen.”

Alejandra Gordillo schätzt, dass der Geldverleiher der Majzuls einer von „hunderten” in Guatemala ist und dass er an die 250 Grundstücke von Kunden, denen er Geld geliehen hat, an sich gerissen hat. Dennoch, sagt sie, gibt es keine genaue Auflistung, denn diese Eigentümer sind nicht auf seinen Namen vermerkt, sondern unter Decknamen.

Um den gesamten Bericht lesen zu können, klicken Sie bitte auf folgendes Banner:

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