Iranische Minderheiten bewältigen Spannungen mithilfe des Internets

Ein Afghane, der auf einer Baustelle in Shiraz, Iran, arbeitet. Da es sonst wenig andere Arbeitsplätze gibt, finden Afghanen häufig nur auf Baustellen Arbeit. Dennoch werden sie oft dafür verspottet, den einheimischen Iranern Jobs wegnehmen. Foto von Simon Monk (CC BY-NC-ND 2.0).

Dieser Post wurde geschrieben von James Marchant, einem Forscher von Small Media. Der Post basiert auf dem Forschungsbericht National Fabric: Iran’s Ethnic Minorities.

Was ihre Klagen an die Zentralregierung angeht, blicken die meisten Minderheitengruppen im Iran auf eine lange und unruhige Geschichte zurück. Manche Aktivisten nutzen bestimmte Internet-Plattformen, um diesen Konflikten Gehör zu verschaffen, andere wiederum setzen sich für die Bewältigung dieser Konflikte ein.

Der starke Zulauf, den all diesen Kampagnen und kulturellen Organisationen erfahren, kommt daher, dass die iranische Regierung in den letzten zehn Jahren unzählige Internet-Plattformen von Minderheitengruppen, auf denen legitime kulturelle und politische Meinungen geäußert wurden, geschlossen hat.

Als der Atom-Deal vom 14. Juli in den Nachrichten war, teilte Yama, ein im Iran lebender Afghane, über Facebook seine Freunde über das Ende einer langen Zeit der Sanktionen und Isolation im Iran. Er schrieb:

I’m from Afghanistan—I send my congratulations for the nuclear deal to all dear Iranians!

Ich komme aus Afghanistan möchte allen Iranern meinen Glückwunsch zum Atom-Deal aussprechen!

Kaum eine Stunde später äußerte sich ein User namens Kian zu der wohlgemeinten Geste von Yama:

It does not concern you. Iran will never be your homeland. You are guests here—if unwelcome ones.

Das betrifft dich überhaupt nicht. Der Iran wird nie dein Heimatland sein. Ihr seid hier Gäste – unwillkommene Gäste.

Jahrzehntelange Konflikte und Kämpfe in Afghanistan haben zu einer der längsten und schwersten Flüchtlingskrisen weltweit geführt. Als Folge leben heute Hunderttausende Afghanen im Iran (die höchste Zahl wurde 1991 mit drei Millionen erreicht). Afghanische Flüchtlinge und Migranten wurden in den Niedriglohnsektor des Iran gedrängt und ILO-UNHCR berichtet, dass ein Großteil der im Iran lebenden Afghanen im Baugewerbe und im Fertigungsbereich beschäftigt ist. Dieser Zustrom billiger Arbeitskräfte erregte den Unmut einiger iranischer Gewerkschaftsaktivisten und populistischer Politiker, die alles tun, um den öffentlichen Ärger auf afghanische Migranten und Flüchtlinge umzulenken, die den Iranern Arbeit ‘wegnehmen’.

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Der Iran gehört zu den Ländern mit der größten kulturellen und sprachlichen Vielfalt im Mittleren Osten. Jahrzehntelange Misshandlungen von Minderheitengruppen haben die ethnischen Spannungen verstärkt.

Zur öffentlichen Feindseligkeit gegenüber der afghanischen Gemeinschaft kommt die harte Behandlung von offizieller Seite hinzu. Die Regierung verwehrt den Afghanen den Zugang zu öffentlichen Orten, von Schwimmbädern bis hin zu Friedhöfen. Die Afghanen leben über das ganze Land verteilt, am Rande der Gesellschaft, und waren bis vor kurzem noch bestrebt, sich angesichts dieser Ungerechtigkeit zu organisieren und dagegen aktiv zu werden. Doch langsam ändert sich ihre Lage, und auch die der zahlreichen ethnischen Minderheiten im Iran.

Digitale Flüchtlingslager werden aufgebaut

Der neue Bericht von Small Media, National Fabric: Iran’s Ethnic Minorities, zeigt, wie die afghanische Gemeinschaft und auch viele andere Minderheiten moderne Technik nutzen, um dort zusammenzukommen und gegen die Diskriminierung durch die Gesellschaft und durch staatliche Sanktionen anzugehen. Die Afghanen haben unter anderem Facebook-Kampagnen gestartet, wie etwa “We’re Ashamed For the Afghan Children in Iran” (‘Es ist eine Schande, was mit afghanischen Kindern im Iran passiert’), die den Afghanen einen Raum gibt, um die erlebten Ungerechtigkeiten aufzulisten und rassistische Beamte und Polizisten namentlich zu nennen und anzuprangern.

Andere Stellen unterstützen afghanische Flüchtlinge auf ihrem Weg durch den Iran und nach Europa: “The Afghan Question” liefert aktuelle Infos zu Problemen bei Versorgung und Sicherheit beim Passieren der Grenzen sowie Beschreibungen der europäischen Asyl- und Rückführungspolitik. Beide Seiten haben mehr als 20.000 Facebook Fans und dienen als Sprachrohr für das Engagement zahlreicher afghanischer Nutzer und Gleichgesinnter, die das Leiden der Flüchtlinge im Iran auch als ungerecht empfinden. Die zunehmende Kollaboration zwischen afghanischen Flüchtlingen und iranischen Aktivisten ist vielleicht ein erster Schritt in Richtung einer Bürgerbewegung, die sich für die Rechte der Migranten einsetzt.

Die vielen ethnischen Minderheiten im Iran leben zumeist in unterentwickelten Randgebieten des Landes.

Lebendige Sprachen

Am Rande der iranischen Gesellschaften greifen Minderheiten auf technologische Mittel zurück, um Sprachen wiederzubeleben, die durch die jahrelange staatliche Politik der Assimilierung und Persianisierung gefährdet sind. Während Sprachen wie Aserbaidschan-Türkisch und Kurdisch schon vor langer Zeit aus den Klassenzimmern verbannt wurden, machen Aktivisten intensiven Gebrauch von Social-Media-Plattformen und versuchen so eine Renaissance der Minderheitensprachen und ihrer Literatur zu bewirken.

Das Ziel der Aserbaidschan-türkischen Gemeinschaft ist es, das im iranischen Aserbaidschan gesprochene Türkisch von einem umgangssprachlichen Dialekt zu einer Sprache der Wissenschaft und der Literatur auszubauen. Webseiten wie etwa “Bilimsesi” (‘Der Klang der Wissenschaft’) zeigen, wie Sprecher des iranischen Türkisch persische Fachwörter durch türkische ersetzen sollen, um der Vormachtstellung des Persischen als der einzigen Sprache der Wissenschaften und der Hochschulen entgegenzuwirken. Andere Seiten möchten Aserbaidschan-Türkisch unter den jungen Sprechern wiederbeleben. Dazu zählen Instagram-Seiten wie “Dil-Xoshlux“, die sich mit Memen und Witzen für die Verwendung des Türkischem im Alltag einsetzen.

Sprachlicher Aktivismus beiseite. Die meisten Aserbaidschan-türkischen Aktivisten interessieren sich gar nicht für das Thema Abspaltung oder für einen radikalen, gesamttürkischen Nationalismus. Auf Facebook-Seiten wie “Sattar Khan” wird die Iran-türkische Identität gefeiert und es stehen mehrsprachige Portale für türkisch- und nicht-türkischsprachige Iraner zur Verfügung, auf denen sie über Menschenrechte und über die Perspektiven für eine tolerante, multi-ethnische Demokratie im Iran diskutieren können. Nur selten findet ein Austausch mit aserbaidschanischen Aktivisten in der Republik Aserbaidschan statt. Die User unterhalten sich hauptsächlich über die Situation im Iran und haben nichts mit Irredentismus oder Separatismus zu tun.

Der langsame Aufbau einer Nation

In Kurdistan haben Social-Media-Aktivisten eine weltoffenere Ausrichtung. Durch den politischen Einfluss und den grenzüberschreitenden Charakter des kurdischen Nationalismus werden die allermeisten kurdischen Social-Media-Seiten auch von kurdischen Gemeinden im Iran, in der Türkei, im Irak und in Syrien genutzt. Auf den meisten Seiten sind die Inhalte in sämtlichen kurdischen Dialekten verfügbar, sodass User aus der gesamten größeren Region Kurdistans an Diskussionen zur kurdischen Identität, Geschichte, Politik und Kultur teilnehmen können.

Obwohl die iranischen Kurden jetzt schon seit Jahrzehnten Zugang zur kurdischen Literatur und kurdischem Satellitenfernsehen haben, sind sie größtenteils Kulturkonsumenten. Die strikten staatlichen Kontrollen kurdischsprachiger Medien hat dazu geführt, dass die iranischen Kurden bemüht waren, viele wichtige Beiträge zur Entwicklung des kurdisch-nationalistischen Diskurses beizusteuern und dass stattdessen kurdische Stimmen aus dem Irak und der Türkei überwiegen. Seiten wie “Nodshe“, “Mahabad” und “Kermanshah Music” sowie Veröffentlichungsplattformen wie “Bokan Literary Committee” bieten iranischen Kurden jetzt die Möglichkeit, wieder zu Kulturproduzenten zu werden und ihren Beitrag mit Kurden aus der gesamten größeren Region Kurdistans zu teilen.

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Was ihre Klagen an die Zentralregierung angeht, blicken die meisten Minderheitengruppen im Iran auf eine lange und unruhige Geschichte zurück. Manche Aktivisten nutzen bestimmte Internet-Plattformen, um diesen Konflikten Gehör zu verschaffen, andere wiederum arbeiten hart daran, diese Konflikte zu entschärfen.

Risse im iranischen Nationengewebe

Obwohl die Regierung unter Rouhani ihr Versprechen, kurdischsprachigen Unterricht in iranisch-kurdischen Schulen und Universitäten anzubieten, gehalten hat, warten die türkische, die arabische und die belutschische Gemeinschaft noch immer auf ähnliche Reformen. Jedoch bleiben kulturelle Organisationen wie das Institut Ahwazi Arab Al-Hiwar geschlossen und einige der Gründungsmitglieder wurden auf Rouhanis Befehl hin hingerichtet.

Die ethnischen Minderheiten im Iran bleiben im Belagerungszustand, aber ihr kreativer Einsatz von Technologie hat es ihnen ermöglicht, aktive und starke Online-Gemeinschaften zu entwickeln und neue Plattformen zur Förderung der Kultur sowie zum Ausdruck des Widerstands gegen die iranischen Maßnahmen zur Persianisierung aufzubauen. Wenn die Regierung den Minderheitenkonflikt endgültig beenden will, besteht die einzig sinnvolle Lösung darin, die sprachliche Autonomie und die kulturellen Ausdrucksformen der Minderheitengemeinschaften anzuerkennen. Solange das nicht erreicht ist, werden die Minderheiten ihre Klagen weiterhin im Internet kundtun und die Risse im dichten iranischen Nationengewebe drohen sich langsam weiter zu vertiefen.

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