Angesichts eines weitreichenden Überwachungsgesetzes schwankt die französische Bevölkerung zwischen Schrecken und Gleichgültigkeit

Anti-surveillance demonstration in France. Photo via Amnesty International.

In der Folge des Angriffs auf Charlie Hebdo und trotz der vehementen Opposition von Bürgerrechtsgruppen verabschiedete das französische Parlament im Mai 2015 ein Gesetz, das es der Regierung erlaubt, die Telefonanrufe und E-Mails mutmaßlicher Terroristen ohne vorausgehende Autorisierung durch einen Richter zu überwachen. Das Gesetz verlangt von Internetanbietern ebenfalls, dass sie sogenannte „Black Boxes” installieren, welche Metadaten von Millionen Internetnutzern ermitteln und analysieren. Es zwingt die Anbieter außerdem dazu, diese Daten Geheimdiensten zur freien Verfügung zu stellen. Das Gesetz erlaubt Geheimdienstagenten ebenfalls, in den Häusern mutmaßlicher Terroristen Mikrophone, Kameras und Keystroke Logger zu installieren. Mit Hilfe dieses Gesetzes kann die Regierung Überwachungsaktionen autorisieren, für die es allenfalls vage definierte Ursachen gibt wie zum Beispiel „wichtige außenpolitische Interessen” und die Verhinderung „organisierter Kriminalität”.

Bürgerrechtsgruppen einschließlich Amnesty International, Article 19, der Kommission zum Schutz von Journalisten sowie Global Voices Advox schlossen sich einem Brief der führenden französischen digitalen Rechtsgruppe La Quadrature du Net an, welcher am 30. September veröffentlicht worden war, an französische Parlamentsabgeordnete adressiert war und diesen eine Reihe von Änderungen des Gesetzes vorschlug. Sie schrieben:

Mit diesem neuen Gesetz steht das Parlament kurz davor, unangemessene Maßnahmen zur Überwachung internationaler Kommunikation zu genehmigen. Auf Grundlage des Prinzips einer groß angelegten Sammlung von Daten versucht das Gesetz jene Verstöße gegen Grund- und Menschenrechte zu legitimieren, die Edward Snowden über die Praktiken von Geheimdiensten, wie denen der USA und denen Großbritanniens, aufdeckte. Da ein Großteil des weltweiten Internetverkehrs französische Tiefseekabel nutzt, würde dieses Gesetz Frankreich auf die Liste der Länder mit weitreichenden Überwachungsmöglichkeiten katapultieren.

Trotz scharfer Kritik von Bürgerrechtsgruppen hat das Gesetz nur minimalen Widerstand von der Öffentlichkeit und der politischen Klasse erfahren. Der französische Präsident François Hollande instruierte anschließend den Verfassungsrat, das Gesetz nochmals zu überprüfen, nachdem es im Juni definitiv verabschiedet worden war. Dies ist das erste Mal, dass ein Präsident eine Überprüfung durch das Gerichtswesen anordnete, bevor er das Inkrafttreten eines Gesetzes genehmigte. Die französische Webseite Les Moutons enragés erklärte diesen Prozess, indem sie einen detaillierten Bericht von Nextimpact zusammenfasste:

…le Conseil constitutionnel avait censuré un des articles du projet de loi gouvernemental, celui encadrant la surveillance internationale. Pourquoi cette censure ? Principalement, parce que la disposition législative renvoyait à décret en Conseil d’État le soin de définir les modalités d’exploitation, de conservation et de destruction des renseignements collectés. Un joli cas d’incompétence négative [puisque cette matière est réservée par la constitution au législateur]

[…] Après une longue période d’incertitude, le gouvernement a annoncé la semaine dernière le dépôt surprise d’une proposition de loi pour combler cette lacune. […] par ce biais, il évite le passage par un projet de loi, qui l’aurait obligé à publier une étude d’impact. Une étape potentiellement douloureuse où il aurait dû détailler le coût de ces mesures notamment.

Déjà, les articles sont beaucoup plus denses que la partie censurée par le Conseil constitutionnel. C’était prévisible puisque le gouvernement a dû (faire) replacer dans la future loi des dispositions qu’il tentait de publier dans un décret secret.

…der Verfassungsrat legte Einspruch gegen einen der Artikel in der Regierungsvorlage zu internationaler Überwachung ein. Warum? Vor allem, da das Gesetz eine Regelung in Form einer Verordnung enthielt, die die Bedingungen zur Nutzung, Aufbewahrung und Vernichtung der gesammelten Informationen spezifiziert. Ein Paradebespiel gegenläufiger Inkompetenz [laut dem französischen Grundgesetz betrifft dies nur das Parlament].

[…] Nach einer langen Phase der Unentschlossenheit verkündete die Regierung letzte Woche überraschend die Einführung eines Gesetzes, um die Lücke zu füllen […] und somit die Verabschiedung des Gesetzes zu umgehen, für welche die Erstellung einer Folgenabschätzung notwendig gewesen wäre. Dies ist jedoch unter Umständen ein mühsamer Schritt, der vor allem das Aufdecken der Kosten dieser Maßnahmen beinhaltet hätte.

Die Artikel sind in Wirklichkeit wesentlich involvierter als der vom Verfassungsrat beanstandete Teil. Dies ist kaum überraschend, da die Regierung jene Bestimmungen ersetzen musste, die sie zuvor versucht hatte in einem Geheimdekret zu verabschieden.

Einen detaillierten Überblick über die Klauseln dieses zusätzlichen Gesetzes zur internationalen Überwachung finden Sie in einem umfangreichen Bericht, der am 9. September in dem französischen Magazin l'Obs veröffentlicht worden war.

Bürgerrechtsgruppen traten nach der umfassenden Validierung des Gesetzes sofort erneut auf den Plan. Amnesty International in Frankreich verurteilte das Gesetz als „einen schweren Schlag gegen die Menschenrechte”.

Die Gruppe La Quadrature du Net verkündete am 15. September auf ihrer Webseite:

Ein riesiges Überwachungssystem dieser Art nimmt am internationalen Spionagewettlauf teil und macht Frankreich zu einem Feind grundlegender Freiheiten. Da dieses Gesetz eindeutig  eine bloße Legalisierung von geheimen Praktiken ist, die seit 2008 gang und gäbe sind, ist es nun an der Zeit, dass die Öffentlichkeit und ihre Vertreter die allgemeine Meinung über diesen Rüstungswettlauf des 21. Jahrhunderts klar zum Ausdruck bringen.

Auf juristischer Ebene ist durch die koordinierten Anstrengungen der European Digital Rights (EDRI), einer Gruppierung aus Brüssel, eine Klage bei den französischen Gerichtshöfen erhoben worden.

Am 3. September 2015 verkündeten die gemeinnützigen Internetanbieter (englisch ‘Internet Service Providers’, kurz ‘ISPs’) French Data Network (FDN) und FDN Federation (FFDN) sowie die Interessenvertetung digitaler Rechte,  La Quadrature du Net, die Erhebung zweier Anfechtungsklagen im französischen Staatsrat, gegen die Überwachungsaktivitäten des französischen Auslandsgeheimdiensts, der Generaldirektion für äußere Sicherheit (DGSE).

Die Mobilmachung angesichts des Gesetzes gewinnt an Fahrt, allerdings mit etwas Verspätung.

Dann lasst uns um der Demokratie willen hoffen, dass wir einen französischen ‚Snowden’ kriegen.

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