Dieser Artikel und die Radioreportage, verfasst von Heidi Shin für The World, erschienen im Original am 29. September 2015 bei PRI.org. Gemäß einer Vereinbarung zur gemeinsamen Nutzung von Inhalten wurde der Artikel hier veröffentlicht.
Wer würde knallenge Jeans tragen, wenn sie verboten wären? So wie es aussieht, würde zumindest eine bestimmte Nordkoreanerin es trotzdem tun.
Danbi und ich schlendern über einen Markt in Südkorea, als sie stehen bleibt, um ein paar enganliegende Jeans zu bewundern. „Die Mädchen zu Hause stehen voll auf solche Hosen” verkündet sie. Mit „zu Hause” meint sie eine Stadt im weit abgelegenen Nordkorea.
Als sie eine Haarspange ausprobiert wirft sie ihr Haar dramatisch zurück und lacht dabei aus vollem Herzen. Dabei erinnert sie sich: „Wir wollten alle unsere Finger durch die Haare gleiten lassen können, in etwa so. So wie wir es in den südkoreanischen TV Shows gesehen hatten. Aber das ging nicht, weil wir in Nordkorea nicht genügend Shampoo hatten. Unsere Finger blieben einfach stecken!”
Danbi ist eine 24-Jährige, die aus Nordkorea geflüchtet ist. Sie schildert ein totalitäres Regime, das ziemlich anders ist als das was wir uns immer vorstellen. Aber andere Überläufer und Leute, die mit Nordkorea Geschäfte machen bestätigen es. Was stimmt ist, dass das Land voller Menschenrechtsverletzungen ist und die Menschen bettelarm sind. Aber Danbi, die diesen Namen nach ihrer Flucht annahm, ist aus einer Stadt nahe der chinesischen Grenze. Diese Grenze wurde erstaunlicherweise durchlässig und so wuchs sie mit einem Fenster zur Außenwelt in einem mutmaßlich abgeriegelten Staat auf.
Sie erzählt weiter, dass sie mit Schmuggelware auf den Schwarzmärkten Geschäfte machte. Schon als Kind sah sie, via eingeschmuggelter USB-Sticks amerikanische und südkoreanische TV-Shows. Als sie in die Mittelstufe kam, wurde ihr in der Schule immer nur eingebläut, dass man Amerikanern nicht trauen kann und dass Südkoreaner arm sind. Sie fing an, daran zu zweifeln.
Also fing sie an, die Schule zu schwänzen und Waren über die nun durchlässige Grenze zu schmuggeln. Sie verkaufte nordkoreanische Pilze an chinesische Händler und brachte kistenweise Reis, Mehl und andere Waren zurück.
Gut, Danbi war vermutlich mutiger und geschäftstüchtiger als der durchschnittliche nordkoreanische Teenager. Aber sie kommt aus der Generation der Jahrtausendwende, die in den neunziger Jahren Kinder waren, als Nordkorea eine verheerende Hungersnot durchmachte. Daher verließen sich junge Leute wie Danbi nicht mehr auf die Diktatoren des Landes und standen ihnen nicht so uneingeschränkt zur Verfügung, wie es einst ihre Eltern taten. Und sie unterliefen auch die Gesetze der Regierung.
Einerseits ist sie selbstsicher und ausgewogen, ihre Stimme wird aber urplötzlich schrill wenn man ihr Fragen über die Landesführung stellt. „Wir sehen ihre riesigen Bäuche, während der Rest von uns hungert. Wir wissen, dass das ungerecht ist”, antwortet sie gereizt, als ihr Tonfall in einen nordkoreanischen Akzent abgleitet.
Wie sehr sich Danbi, wie ein amerikanischer Teenager anhört, macht mich sprachlos. Sie hinterfragt die Obrigkeit und gibt damit an, wie sie als Teenager die Kleiderordnung Nordkoreas umging. Dann erzählt sie von damals, als sie von den Jugend-Spitzeln erwischt wurde, weil sie ein enganliegendes Outfit trug, das natürlich Schmuggelware aus dem Süden war.
„Sie bilden eine Linie auf der Straße, damit man nicht weiter gehen kann. Dann zupfen und reißen sie an deinen Kleidern, während Passanten an einem vorbeigehen. Das machen sie, um dich als schlechtes Beispiel darzustellen.” Jeans wurden als Symbol des amerikanischen Imperialismus angesehen und Mädchen, die beim Jeanstragen erwischt wurden, denen wurden Löcher in die Hose gestanzt, so dass sie die Jeans nicht mehr anziehen konnten. Wenn Haare zu lang waren, wurden sie einem mitten auf offener Straße abgeschnitten.
Wenn man fünf oder sechs Mal aufgegriffen wurde, kam man ins Arbeitslager, außer man hatte Verbindungen und Mittel ein Schmiergeld zu bezahlen, fügt Danbi noch hinzu.
„Heutzutage lassen sich in Nordkorea sehr viele Dinge regeln, wenn man nur genug Geld besitzt. Das Überleben der Bevölkerung hängt von den Schwarzmärkten ab. Alles, beim Schmuggeln angefangen, bis über den Verkauf der Schmuggelware und dann noch die Beamten dazu zu bringen das Ganze zu decken, das alles geht nur mit Geld”, das ist Danbis feste Überzeugung.
Dennoch, leben die meisten Nordkoreaner in schlimmster Armut. Die Stromversorgung ist auf ein paar Stunden täglich begrenzt, Essen und fließendes Wasser sind knapp und die Gefahr ins Arbeitslager zu müssen, oder noch härtere Strafen zu bekommen ist real. Aber Danbi bemerkte was es für einen Unterschied macht, wenn man Zugang zu der Welt da draußen haben kann.
Sie erinnert sich: „Wir hatten Nachbarn mit Verwandten in Südkorea. Urplötzlich ging es ihnen besser, denn ihre Familie fing an Geld nach Hause zu schicken. Einmal meinte meine Mutter sogar im Spaß: ‚Warum haust du nicht einfach ab und schickst uns auch ein bisschen Geld nach Hause?’”
Laut der regierungsunabhängigen Organisation „Liberty in North Korea”, schicken nordkoreanische Flüchtlinge jedes Jahr regelmäßig Geld zurück nach Nordkorea. Es wird erzählt, dass diejenigen, die es sich leisten können regelmäßig mit ihren Familien, mittels Care-Paketen oder via geschmuggelter Handys aus China, in Verbindung sind.
Vor vier Jahren flüchtete Danbi nach Südkorea, nachdem sie erfahren musste, dass die nordkoreanische Regierung gegen sie ermittelt und sie nicht genug Schmiergeld hatte, um sich frei zu kaufen. Nun ist sie mit einem Südkoreaner verheiratet. Was sie am meisten vermisst, ist ihre Familie, die sie zurücklassen musste und das Arbeiten auf den nordkoreanischen Schwarzmärkten.