Der Syrer und Global Voices-Autor Asaad Hanna erklärt uns in diesem Beitrag, wie er das versteht, was in Syrien geschieht und wie er das interpretiert, was Baschar al-Assad bei einer Rede am 26. Juli vor Anhängern in seinem Palast sagte: „Das Vaterland gehört denen, die es verteidigen, nicht denen, die zufällig hier leben und die Staatsbürgerschaft und einen Pass haben“.
Mit jeder Rede, die der syrische Präsident Baschar al-Assad hält, zeigt er einmal mehr, dass er lediglich zu einem Mediensprecher in einem Land verkommen ist, wo er den Ehrenposten des Präsidenten inne hat, ohne tatsächlich über die Macht zu verfügen, es zu regieren. Die Menschen nah und fern gehen alle davon aus, dass die politischen Entscheidungen Syriens in den Händen des Iran und Russlands liegen. Diese beiden Länder haben das syrische Regime treu ergeben unterstützt, um durch das Mittel der Okkupation aus der Ferne internationale Interessen sichern zu können – ganz egal was dadurch mit Syrien passiert.
Russland hat die syrische Entscheidungsgewalt für sich gewonnen, nachdem es jede der von den Vereinten Nationen vorgeschlagenen Resolutionen abgelehnt hat, die das Regime stürzen oder es für die Verbrechen gegen die Bevölkerung zur Verantwortung hätten ziehen können. Als ob das nicht schon genug wäre, bestraft das Regime die syrische Bevölkerung, indem sie gegen die Resolution, Nahrungsmittelhilfe für die besetzten Gebiete bereit zu stellen, ein Veto einlegte.
Von Beginn der syrischen Revolution an hat sich der Iran die militärische Macht schrittweise erarbeitet, indem er die Iranische Revolutionsgarde – Militärexperten und professionelle Scharfschützen – nach Syrien entsandte. Zusätzlich dazu mobilisierte das Land noch zwei weitere Gruppen – die libanesische Hisbollah und die irakische Abu al-Fadhal al-Abbas-Miliz – nach Syrien zu gehen und zuerst die syrische Armee bei ihren Kämpfen zu unterstützen und später die Führung zu übernehmen. Dies war ein Versuch, die syrische Armee auszuschließen und lächerlich zu machen; das zeigt sich auch durch die immer wiederkehrenden Konflikte und Streitigkeiten zwischen diesen beiden Parteien.
Die aktuellste Rede von Baschar al-Assad, in der er sagt “Syrien ist nicht für die, die einen syrischen Pass haben und im Land leben, Syrien gehört denen, die es verteidigen“, hat Empörung unter den syrischen Rebellen hervorgerufen, die die letzten vier Jahre damit zugebracht haben, das Regime und seine Verbrecher zu bekämpfen und ihr Land vor einem Regime zu retten, das Menschenrechte und internationale Konventionen missachtet; ein Regime, dass international verbotene Waffen und Hunger dazu nutzte, die Rebellengebiete zu bezwingen.
Vielleicht wurde diese Aussage nicht einfach durch Zufall oder durch einen Fehler in der Ansprache erwähnt oder in die Rede geschrieben. Tatsächlich könnte es von den Entscheidungsträgern als eine Art Vorbereitung für die Legalisierung ihrer indirekten Herrschaft forciert worden sein, um diese in Zukunft in eine direkte umwandeln zu können.
Assads Worte bedeuten, dass jeder, der unter dem Vorwand “das Land zu verteidigen” kämpft, zukünftig das Recht hat, in Syrien den Ton anzugeben. Aus der Sicht des Regimes, verteidigen die – zusammen mit dem Regime kämpfenden – Iraner, Iraker und Libanesen Syrien und seine nationale Souveränität gegen die Terroristen und den Plan, die Region zu spalten.
Aber vielleicht hat Assad vergessen, dass islamische Fraktionen wie die Nusra-Front oder der IS und andere ebenfalls von sich behaupten, das Land in der Levante zu verteidigen. Auch in diesen Fraktionen kämpfen Tschetschenen, Afghanen und Angehörige der Golfstaaten. Wird Assad dann ihnen das Recht, Syrien zu regieren, zusprechen? Wird er dann immer noch sagen, das Land gehöre ihnen, da sie es verteidigen? Oder gilt diese neue Regel nur für seine Verbündeten?
In der Rede Baschar al-Assads letzten Monats fanden sich viele Anspielungen auf Hassan Nasrallah, den Generalsekretär der Hisbollah. Die wichtigste war wohl, dass sich die Hisbollah nicht aus Syrien zurückziehen wird und dass die Entscheidung innerhalb der Partei gefallen sei, zu bleiben. Ihr Zusammenspiel ist offensichtlich, denn sogar die offiziellen syrischen Staatsmedien berichten selten über “Siege” der syrischen Armee, ohne dass sie den Satz “unterstützt durch den libanesischen Widerstand” weglassen würden. Es scheint so, als ob die Hisbollah sich unter fadenscheinigen Begründungen über alle Gebiete Syriens ausgebreitet hat. Als Erstes behaupteten sie, die heiligen Stätten der Shiiten zu schützen, obwohl die erst gar nicht angegriffen worden waren.
Im Kampf bei al-Zabadani führte die Hisbollah den Angriff an und die Luftwaffe und Artillerie des Regimes zerstörten die Stadt und erstickten sie unter hunderten Fassbomben. Die Rebellentruppen antworteten mit Angriffen auf jene Dörfer in Nordsyrien, in denen sich die Hisbollah verbarrikadiert hatte, um die Partei zum Rückzug zu zwingen und den Druck auf al-Zabadani zu lockern. Hisbollah ging mit der Unterstützung des Iran sofort zu Verhandlungen mit der Gruppe Ahrar al-Scham über, einer islamistischen Gruppierung, die in Syrien kämpft und nur aus syrischen Kämpfern besteht.
Ahrar al-Scham war durch all seine Truppen dazu bemächtigt, die Verhandlungen anzuführen. Diese fanden unter Auschluss des Regimes statt, so als ob es das Regime nicht betreffen würde oder als ob es irgendetwas zu sagen habe in dieser Sache. Diese Verhandlungen scheiterten und Ahrar al-Scham setzte den Angriff und die Ausschreitungen fort. Sie rechtfertigten dies, indem sie behaupteten, dass die iranischen Verhandler vorgeschlagen hätten, den in al-Zabadani festsitzenden Menschen freies Geleit im Austausch gegen eine Lockerung der Angriffe auf Dörfer im Norden zu geben, die sich mehrheitlich für das Regime ausgesprochen hatten. Ahrar al-Scham interpretierte diesen Vorschlag als einen Schachzug des Iran, die syrische Demografie beeinflussen zu wollen, indem al-Zabadani von seiner Bevölkerung, die dort seit tausenden Jahren lebt, gesäubert werden soll, um Platz für eingewanderte Kämpfer der iranischen Revolutionsgarde und der Hisbollah zu schaffen, die mit ihren Familien nach Syrien gezogen sind, um sich dort nach dem Krieg anzusiedeln.
Es ist auch noch wichtig zu erwähnen, dass der Iran nicht das erste Mal Verhandlungen geleitet und solche Vorschläge gemacht hat. Die Verhandlungen 2014 in Homs wurden mit der in Homs festsitzenden Bevölkerung geführt, die dort schon seit zweieinhalb Jahren belagert wurde, einer Zeit, in der sie enorm unter Hunger litt, so sehr, dass sie Gras essen und Regen trinken mussten. Die Verhandlungen endeten damit, dass Menschen ihre Häuser als Teil des Deals verlassen mussten, aber danach nicht mehr in der Lage waren zurückzukehren, obwohl viele Nachbarschaften wieder als sicher eingestuft wurden. In weiterer Folge tauchten Dokumente auf, die beweisen, dass Iraner in Damaskus untergebracht wurden und dass viele größere Anwesen in iranischen Besitz übergegangen waren. Diese Ereignisse werden als Teil des Versuchs gesehen, die Demografie eines Landes zu ändern, das zu keiner Zeit in seiner ganzen Geschichte eine derartige konfessionelle Spaltung oder konfessionell begründete Deportationen erlebt hatte.
Baschar al-Assad hat nicht gelogen, als er sagte, Syrien würde denjenigen gehören, die es beschützen. Er meinte damit eigentlich, dass Syrien jetzt dem Iran und der Hisbollah gehört. Die wahre und versteckte Bedeutung hinter seinen Worten, die er selbst nicht begriffen hat, ist, dass Syrien den Märtyrern gehört, die jeden einzelnen Tag in den Folterkäfigen des Regimes sterben müssen. Für die, die ihr Leben im Kampf für die Freiheit opfern. Syrien gehört den Menschen, die dazu gezwungen wurden, die Waffen zu erheben gegen einen Mörder, der sein Volk jeden Tag mit barbarischen Fassbomben bombardiert.
Und das alles nur weil sie “Nein” zu ihm gesagt haben… Ehre dem, der “Nein” sagte.