Nach 6 Jahren Gefängnis sagt der iranische “Vater der Blogs”, das Internet habe sich gewandelt – zum Schlechteren

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Ein Zeitungsbeitrag zu Derakhshan von 2007. Von Hossein Derakhshans Flickr-Seite. Einige Rechte vorbehalten.

Haben Sie schon einmal den Ausdruck gehört “unter einer Glocke leben”? Vielleicht dient das als sarkastischer Kontext, aber man stelle sich diese Perspektive vor und multipliziere sie mit sechs Jahren, um den heutigen Zustand des Internets zu kritisieren. Das ist genau das, was der iranisch-kanadische Journalist und Blogger Hossein Derakhshan Mitte Juli mit einem Aufsatz in der Onlinepublikation Matter versucht hat. Der Beitrag mit dem Titel “Das Internet, das wir bewahren müssen: Das bereichernde, diverse und freie Netz, das ich liebte – für das ich jahrelang in einem iranischen Gefängnis saß – es stirbt” ist vollständig ins Deutsche übersetzt auf der Seite von ZEIT Online nachzulesen.

Derakhshan, ein ehemaliger Global Voices-Autor, saß von November 2008 bis November 2014 dafür im Gefängnis, dass er als Blogger tätig war. Er ist bekannt als Irans “Vater der Blogs”. Die Bloggerrevolution, die in den frühen 2000ern über den Iran kam, wird oft mit Verweis auf Derakhshan genannt. In seinem ersten englischsprachigen Beitrag seit seiner Entlassung aus der Haft, befasst sich Derakhshan eingehend damit, wie das Internet transformiert wurde seit der Zeit, als er selbst einer der Autoren mit den meisten Followern des iranischen Internets war. Der Knackpunkt des Aufsatzes ist etwas, was Internetaktivist(inn)en wie die Mitgründerin von Global Voices Rebecca McKinnon, die Vertreterin des Global Voices-Vorstands Jillian York, sowie Zeynep Tufekci bereits seit Jahren kritisieren – und zwar, dass die Macht an Internetunternehmen wie Facebook, Twitter und Googel abgegeben wird.

Heutige Pflichtlektüre: Hossein Derakhshan darüber, wie das Internet sich von Links zu Likes entwickelte, während er für sein Bloggen im Iran im Gefängnis saß.

Derakhshan verwendet die Metapher des Fernsehens, um uns seine Botschaft zu vermitteln und beschreibt unsere derzeitige Internetstruktur als “Fernsehinternet”.

But the Stream, mobile applications, and moving images: They all show a departure from a books-internet toward a television-internet. We seem to have gone from a non-linear mode of communication — nodes and networks and links — toward a linear one, with centralization and hierarchies. The web was not envisioned as a form of television when it was invented. But, like it or not, it is rapidly resembling TV: linear, passive, programmed and inward-looking. When I log on to Facebook, my personal television starts.

Aber der Stream, mobile Apps und Bewegtbilder: All das zeigt eine Loslösung von einem Bücherinternet hin zu einem Fernsehinternet. Wir scheinen uns von einer nicht-linearen Art der Kommunikation – Knoten, Netzwerke und Links – hin zu einer linearen mit Zentralisierung und Hierarchien bewegt zu haben. Das Netz war nicht als Form des Fernsehens konzipiert, als es eingerichtet wurde. Aber ob wir es mögen oder nicht, es ähnelt immer mehr dem Fernsehen: Linear, passiv, vorprogrammiert und selbstbezogen. Wenn ich mich bei Facebook einlogge, beginnt mein persönliches Fernsehen.

Die Dominanz sozialer Medien und der damit verbundenen Strukturen der Konzernkontrolle definiert Derakhshan als die größte Bedrohung für Internetfreiheiten. Und das trotz des hohen Preises, den er für sein Recht, sich im Internet frei zu äußern, bei der iranischen Regierung bezahlen musste. Derakhshan kritisiert zwar nicht die iranische Politik, weist aber schon darauf hin, dass ein Land wie der Iran in dieser Ordnung des neuen “Fernsehinternets” hilflos ist.

Being watched is something we all eventually have to get used to and live with and, sadly, it has nothing to do with the country of our residence. Ironically enough, states that cooperate with Facebook and Twitter know much more about their citizens than those, like Iran, where the state has a tight grip on the Internet but does not have legal access to social media companies.

Wir müssen uns alle irgendwann daran gewöhnen, beobachtet zu werden. Und das hat traurigerweise nichts mit dem Land zu tun, in dem wir leben. Ironischerweise wissen Staaten, die mit Facebook und Twitter kooperieren, weit mehr über ihre Bürger(innen) als beispielsweise der Iran, wo der Staat das Internet fest im Griff hat, aber über keinen rechtlichen Zugang zu Unternehmen sozialer Medien verfügt.

Der Text unterstreicht gängige Bedenken, die unser derzeitiges Internetzeitalter bestimmen und bereits von zahlreichen Analyst(inn)en und Wissenschaftler(inne)n diskutiert wurden. Derakhshans Beitrag ist aber herausragend, da er diese Diskussionen mit seinen eigenen und einzigartigen Erfahrungen in Verbindung setzt, von seiner Verurteilung für seine Internetaktivitäten bis hin zu seinem klar definiertem Standpunkt innerhalb der Evolution des iranischen Internets.

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