Der Mangel an Toiletten in Indien hat schwerwiegendere Auswirkungen als nur auf die Hygiene

Nachdem die angebliche Vergewaltigung und grauenvolle Ermordung zweier Schwestern das Gewissen der Nation aufrüttelten, wurde eine landesweite “Eine Toilette für jedes Haus” Kampagne von dem berüchtigten Dorf in Uttar Pradesh aus ins Leben gerufen. Foto von Deepak Malik. Copyright Demotix (31/8/2014)
Fast der Hälfte der 1,2 Milliarden Einwohner Indiens, insbesondere der Landbevölkerung, fehlt es an Toiletten mit Wasserspülung im eigenen Haus, sodass sie ihre Notdurft im Freien oder in unhygienischen Trockengruben verrichten müssen. Dies betrifft mehr als 72% der Menschen in ländlichen Regionen.
Im Bericht über die Grundlagenerhebung der Regierung von 2012 durch das Ministerium für Trinkwasser und sanitäre Anlagen meldeten Bundesstaaten wie Odisha (88%), Bihar (79%), Jharkhand (72%), Jammu und Kashmir (75%), sowie Telangana (74%) eine hohe Prozentzahl individueller Haushalte ohne Toiletten, was letztendlich zu verstärkten sozialen Problemen in Indien führt.
Am 4. Juli 2015 nahm sich eine 17jährige Jugendliche in Dumka, Jharkand, offenbar das Leben, weil sie sich schämte, ihre Notdurft draußen zu verrichten und ihre Eltern ihre wiederholten Bitten um den Bau einer Toilette abgelehnt hatten. Im vergangenen Jahr wurden zwei Mädchen im Teenageralter im Katra Badaun Distrikt, Uttar Pradesh, nach einer vermuteten Massenvergewaltigung an einem Baum aufgehängt gefunden. Berichten zufolge waren die Mädchen nachts nach draußen gegangen, um sich zu erleichtern, und waren nicht zurückgekehrt.
Das öffentliche Verrichten der Notdurft ist einer der Hauptgründe für die sexuelle Belästigung von heranwachsenden Mädchen und Frauen. Durch die Entwaldung ist es schwieriger geworden, geeignete Orte hierfür auf dem Land zu finden. Junge Mädchen und Frauen versuchen, sich Gehör zu verschaffen, um die öffentliche Aufmerksamkeit auf dieses Thema zu lenken.
Am 15. August 2014 forderte Premierminister Narendra Modi in seiner ersten Rede zum Unabhängigkeitstag eine “Swachh Bharat Abhiyan” (Aktion für ein sauberes Indien) und legte hierbei den Fokus auf die Wichtigkeit, angemessene sanitäre Einrichtungen in jeder indischen Schule einzurichten. Er sagte:
This is a shame for a country that has global aspirations and that the lack of sanitary conveniences is demeaning to women.
Es ist eine Schande für ein Land, das globale Ambitionen hat. Das Fehlen von sanitären Einrichtungen ist erniedrigend für die Frauen.
Einige Regionen Indiens haben sich diese Rede mehr zu Herzen genommen als andere. Nach diesem Plan soll die öffentliche Verrichtung der Notdurft in Ludhiana bis 2017 in 100 Dörfern abgeschafft sein. Vorherige Kampagnen wie “Nirmal Bharat Abhiyan” versuchten, eine “Nachfrage nach Toiletten” zu schaffen, blieben jedoch größtenteils ohne Erfolg.
Modis Initiative hat dieses dringende Problem zurück in die öffentliche Debatte in die Mitte der Gesellschaft gebracht. Die Reaktionen auf Social Media Seiten belegen dieses wachsende Bewusstsein:
#ShamelessBJD 88%household in Odisha don't have toilet. http://t.co/B1aJRgWqdh
— Srilok Nath Ratha (@snrath) June 30, 2015
88% der Haushalte in Odisha haben keine Toilette.
Peeing in public lands 109 in jail for 24 hrs. Not very viable cure in India where 635 million have no access to toilet.— Silva Paananen (@SilvaPaananen) June 27, 2015
109 Personen landen für 24 Std. im Gefängnis für Urinieren auf öffentlichem Grund. Keine sehr praktische Lösung in Indien, wo 635 Millionen keine Zugang zu Toiletten haben.
Während einer vom Zentrum der Universität Chicago orgainisierten Konferenz in Neu Delhi plädierte Nitya Jacob, Leiter der Abteilung für Wasser und Kanalisation der NGO WaterAid dafür, Wasser, Kanalisation und Hygiene (WASH) im täglichen Leben der Inder “in den Mainstream zu bringen”. Die Menschen tendieren dazu, ihre Notdurft trotz gut konstruierter Toiletten draußen zu verrichten, weil es als gesünder gilt. Zugang zu sauberem Wasser zu ermöglichen ist eine weitere Herausforderung, welche Beachtung erfordert. Experten sind daher skeptisch, ob der Bau neuer Toiletten ausreichend ist, um eine Veränderung in den sanitären Gewohnheiten in Gemeinden zu bewirken.
In einem Artikel für die Huffington Post Indien weist Jacob, gemeinsam mit Amitangshu Acharya, dem Programmdirektor der Asienabteilung von Avko, einer Firma die Software für humanitäre Hilfs- und Entwicklungsprojekte entwickelt, auf einen weiteren Aspekt dieses Problems hin:
Most engineers in government departments are men, while women are the demographic that predominantly support the building of toilets. Male engineers tend to focus more on technical accuracy than on women's (and other users’) need for design that caters to their privacy and menstrual hygiene management needs.
Die meisten Ingenieure in Regierungsressorts sind Männer, wohingegen Frauen die Bevölkerungsgruppe sind, die überwiegend den Bau von Toiletten befürwortet. Ingenieure neigen dazu, sich mehr auf technische Genauigkeit zu konzentrieren als auf das Bedürfnis von Frauen (und anderen Nutzern) nach einem Design, das ihrer Privatsphäre und ihren hygienischen Bedürfnissen während der Menstruation gerecht wird.
Sie fügen weiter hinzu, dass die errichteten Toiletten aufgrund minderer Qualitat unpraktisch zu benutzen sind:
The angle of the toilet pan is not steep enough, or the pipe that connects the pan to the pit is not sloped properly, or the pit collapses on its own weight.
Der Winkel der Toilettenschüssel ist nicht steil genug oder das Rohr, welches die Schüssel mit der Fallgrube verbindet, hat den falschen Winkel, oder die Grube bricht unter ihrem eigenen Gewicht zusammen.
Die schlechte Einstellung zur Hygiene in Indien ist stark beeinflusst vom diskriminierenden Kastensystem. Aufgrund einer fehlenden Kanalisation wurde die niedrigste Kaste, die “Unberührbaren” zur manuellen Reinigung (Entfernung menschlicher Ausscheidungen per Hand) bestimmt, eine Angewohnheit, die unter den oberen Kasten bis heute weit verbreitet ist.
Sameer Kamat macht auf dieses Thema aufmerksam:
There are documented cases of manual scavenging even in big towns/villages. For example in a sample survey in Delhi in 2008, 13 people working as manual scavengers were identified. Another example is Meerut, one of the prime towns of UP, only 60kms from the National Capital. During a Sample Survey in Meerut in 2010, 392 Manual Scavengers were documented.
Es gibt dokumentierte Fälle von manueller Reinigung sogar in großen Städten/Dörfern. Zum Beispiel wurden 2008 in einer Stichprobenerhebung in Delhi 13 Menschen, die als manuelle Reiniger arbeiteten, identifiziert. Ein anderes Beispiel ist Meerut, eine der wichtigsten Städte von UP (Uttar Pradesh), nur 60 km von der Hauptstadt entfernt. Während einer Stichprobenerhebung wurden 2010 in Meerut 392 manuelle Reiniger dokumentiert.
Jacqueline Cieslak, Doktorandin, forscht über den Zusammenhang zwischen Religion und Toilettennutzung in Indien und schreibt über die innovativen Methoden, die angewendet werden, um die Menschen vom öffentlichen Urinieren abzuhalten:
[…] the practice of affixing pictures of gods on the walls of public buildings in India to prevent men from urinating on them. This is a kind of proxy faith in other people’s beliefs and their readiness to change their behaviour for those beliefs — in other words, one doesn’t have to believe in Hindu gods to believe that people who do believe in them won’t urinate on them.
[…] die Praxis, Bilder von Gottheiten an den Wänden von öffentlichen Gebäuden in Indien aufzuhängen, um Männer davon abzuhalten, auf sie zu urinieren. Dies ist eine Art von Stellvertreter-Glauben in den Glauben anderer Leute und ihre Bereitwilligkeit, ihr Verhalten für diese Überzeugungen zu ändern – in anderen Worten, man muss nicht an Hindugötter glauben, um anzunehmen, dass die Menschen, die an sie glauben, nicht auf sie urinieren werden.
In Anbetracht der Tatsachen kann man folglich daraus schließen, dass eher die höheren Klassen von den Vorteilen dieses Programms Gebrauch machen. Daher ist es notwendig, ein Bewusstsein in der Gesellschaft für die Wichtigkeit der Latrinenhygiene zu schaffen und nicht nur bei Individuen, um eine Änderung der öffentlichen Wahrnehmung herbeizuführen. Dies würde jedoch den Einsatz von größeren finanziellen Mitteln zur “Bewusstseinsbildung” als lediglich für die “Schaffung einer Nachfrage nach Toiletten” im “Swachh Bharat Abhiyan” Programm erfordern und müsste mit einer gewissenhaften Kontrolle kombiniert werden, um die Resultate zu evaluieren.
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