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Israelischer Dozent zeigt der Welt: “So sieht ein Feminist aus”

Kategorien: Nahost & Nordafrika, Israel, Bildung, Bürgermedien, Frauen & Gender, Good News, Jugend, Kunst und Kultur
(This photo that launched a million "likes" on Imgur, May 11, 2015)

Dieses Foto vom 11.05.2015 hat schon eine Million “Likes” auf Imgur: “Eine Studentin brachte ihr Kind mit, weil sie keinen Babysitter hatte. Auf einmal fing das Kind während des Unterrichts zu weinen an und seine Mutter, der das sehr peinlich war, stand schon auf und wollte gehen. Da nahm ihr Dozent das Kind einfach auf den Arm, tröstete es und machte mit dem Unterrichten weiter.”

Der berühmteste Feminist Israels ist diese Woche Dr. Sydney Engelberg, Dozent an der Hebräischen Universität von Jerusalem. Er wurde schlagartig zur Internet-Berühmtheit, nachdem sich ein Foto von ihm im Netz verbreitet hatte, auf dem er während des Unterrichtens ein Baby tröstet.

Aufgrund der allgemeinen Wehrpflicht für Männer und Frauen und dem quasi obligatorischen anschließenden Jahr Auszeit zum Reisen fangen Israelis im weltweiten Vergleich spät an zu studieren. Deswegen sind viele Studentinnen und Studenten bereits verheiratet und haben Kinder.

Das Foto wurde am 11. Mai 2015 zuerst auf Imgur [1] veröffentlicht und es wurde seitdem allein auf dieser Plattform bereits über eine Million Mal geteilt. Ein erneuter Post [2] auf dem persönlichen Facebookprofil von Engelbergs Tochter hat bereits 50.000 Likes bekommen.

In einem der Imgur-Kommentare schreibt Cbarbz [3]

I can't even begin to imagine how much that probably meant to her [the student mother] – knowing that someone valued her education and supported her that much.

Ich kann mir kaum vorstellen, wie viel ihr [der Studentin und der Mutter des Kindes] dies bedeutet haben muss – zu wissen, dass ihre Ausbildung jemandem so wichtig ist und dass jemand sie so sehr unterstützt.

EveryonesHiro schließt sich an: [4]

Good for him for understanding how hard it is for her to be a student and a mother and that she's trying to better herself for her son.

Es ist toll, dass er versteht, wie schwer es für sie ist, Studentin und Mutter gleichzeitig zu sein und dass sie nicht zuletzt ihrem Sohn zuliebe eine gute Ausbildung haben will.

Dass sich die Geschichte so schnell verbreitet hat und dabei so begeistert aufgenommen worden ist – was selten ist für einen Artikel über Israel – zeigt, dass die Internetgemeinde in ihr sowohl ein Bild menschlicher Fürsorge an sich als auch ein lange vermisstes, wirklich aus dem Leben gegriffenes Beispiel für Feminismus und die alltägliche Unterstützung von Frauen sieht. Das in einer öffentlichen Einrichtung geschossene Foto zeigt, dass beides existiert und gewährt einen Blick in eine Welt, in der Frauen in ihrem Alltag und in ihren Verantwortlichkeiten ganz natürlich von der gesamten Gesellschaft unterstützt werden; eine wahre Verkörperung des Sprichwortes: “Es braucht ein ganzes Dorf, um ein Kind großzuziehen.”

Sydney Engelberg, der selbst fünf Enkelkinder hat und seit 45 Jahren Sozialpsychologie lehrt, sagte Yahoo! Parenting [5]:

The reason is that education for me is not simply conveying content, but teaching values. How better than by role modeling?

Der Grund, warum ich das gemacht habe, ist, dass Bildung für mich nicht nur reine Wissensvermittlung, sondern auch die Vermittlung von Werten ist. Und wie könnten Werte besser weitergegeben werden als dadurch, dass man sie vorlebt?

Auf die Frage, ob häufig Kinder in seinen Veranstaltungen wären, antwortet er:

It is certainly not uncommon, but I wouldn’t say it is the norm. It does seem to be much more acceptable in Israel, which is a very family oriented society and culture.

Es ist sicher nicht ungewöhnlich, aber ich würde auch nicht sagen, dass es der Normalfall ist. Für mich scheint dies in Israel aber besonders unkompliziert zu sein, da Gesellschaft und Kultur sehr familienorientiert sind.

Jonathan Kaplan, stellvertretender Rektor der zur Hebräischen Universität gehörenden Rothberg International School, erklärt, inwiefern die Leitlinien der Universität die israelischen Werte widerspiegeln:

Israel is a very familial society, and it is not at all strange for young mothers to bring children to classes. Babies are often brought to weddings or formal occasions, and during school holidays it is not uncommon to see children running through the halls of office buildings or university departments.

Israel ist eine familiäre Gesellschaft und es ist überhaupt nicht ungewöhnlich, dass junge Mütter ihre Kinder mit in den Unterricht bringen. Babys werden auch oft zu Hochzeiten oder formellen Anlässen mitgenommen und während der Schulferien ist der Anblick von auf Bürofluren umherrennenden Kindern nicht unüblich.

Auf der Facebookseite “New Wave Feminists” diskutieren Frauen darüber, ob es gut und familienfreundlich ist, das Mitbringen von Kindern in den Unterricht zu erlauben oder ob es zu sehr ablenkt. Kelly Smith schreibt dazu: [6]

I was pregnant in high school. [Had] to give a final speech in class. Climbing onto the stool in front of the room was a challenge. There was some whispering, I was embarrassed. The teacher simply offered to deliver if needed. Everyone laughed and calmed down. Best encouragement ever… No need to make a big deal, just be supportive and move on.

Ich wurde während meiner Highschoolzeit schwanger. Eines Tages musste ich vor der gesamten Klasse eine Rede halten. Es war eine Herausforderung für mich, nach vorne ans Pult zu kommen. Einige Schüler tuschelten und ich habe mich geschämt. Der Lehrer bot daraufhin einfach an, falls nötig, mein Kind auf die Welt zu bringen. Alle haben gelacht und die Anspannung hat sich gelöst. Das war einfach eine tolle Ermutigung… Keine große Sache draus machen, Unterstützung zeigen und weitermachen.

Auf derselben Seite fügt Judy Caldor Linderman hinzu [7]:

I had an English Prof that told me to let my 14 month old wander around the room. A great guy. That was almost 30 years ago when i was working on my second BS. Guess it paid off since that kid just finished his masters degree.

Ich hatte einen Englischdozenten, bei dem mein 14 Monate alter Sohn einfach im Unterrichtsraum herumlaufen durfte. Ein toller Typ. Das war vor fast 30 Jahren, als ich gerade meinen zweiten Hochschulabschluss gemacht habe. Denke, es hat sich gelohnt – mein Sohn hat gerade seinen Master gemacht.

Prof. Rivka Carmi, M.D., President of Ben-Gurion University of the Negev. Photo credit: Dani Machlis

Prof. Rivka Carmi, M.D., Präsidentin der Ben-Gurion-Universität des Negev. Foto: Dani Machlis

Doch nicht nur die kinderfreundlichen Leitlinien der Hebräischen Universität verdienen Aufmerksamkeit. Prof. Rivka Carmi, M. D. (Doctor of Medicine) ist sowohl die erste Frau, die eine israelische Universität leitet, als auch die erste, die der israelischen Hochschulrektorenkonferenz vorsitzt. Als sie ihre Stelle als Präsidentin antrat, verkündete Carmi [8], dass die Förderung der Gleichstellung von Männern und Frauen im Universitätssystem eines ihrer vorrangigen Ziele werden solle:

The whole system is really tailor-made for men. Women have different needs, different lifestyles, and different roles that are not being at all taken care of in the system.

Das System ist komplett maßgeschneidert für Männer. Frauen haben andere Bedürfnisse, andere Lebensstile und andere Rollen, die in diesem System nicht beachtet werden.

Unter Carmis Leitung wurde die Ben-Gurion-Universtät die erste Universität Israels, die auf dem Campus Stillräume und eine Kinderbetreuung einrichtete (letztere haben drei israelische Universitäten). Außerdem traf sie weitere wichtige Maßnahmen, die den “Elfenbeinturm” Universität frauen- und familienfreundlicher machen sollen, unter ihnen die Bereitstellung von Fördergeldern und die allgemeine Unterstützung von Frauen dabei, Forschung und Familie besser zu vereinbaren.

Die Facebookseite der israelischen Studierendenvertretung zeigt, dass israelische Dozenten besonders kinderfreundlich sind. Auf ihr werden Fotos aus dem ganzen Land hochgeladen [9], die Dozenten mit den Kindern von Studierenden zeigen.

Hier z. B. wird ein Baby mithilfe einer gelben Gummiente getröstet [10] (Dozent unbekannt).

(Source: Israeli Student Union, Facebook)

Quelle: Facebookseite der israelischen Studierendenvertretung

Dieser Dozent eines sehr frauenlastigen Kurses passt ebenfalls auf das Kind einer seiner Studentinnen auf. Ein Kommentar bezeichnet dies treffend als “Männer-Multitasking” [11].

(Source: Israeli Student Union, Facebook)

Und dann ist da noch dieses Foto von Hadass Arussi, das sie folgendermaßen beschreibt [12]:

מכללת בית ברל, המרצה שלי אורית גילור, לקחה את הבת שלי ל'גרעפס’ לאחר הנקה!

Auf dem Beit-Berl-College nahm meine Dozentin Orit Gilor meine Tochter auf den Arm und ließ sie Bäuerchen machen, nachdem ich sie gestillt hatte.

(Source: Hadass Arussi on Israeli Student Union page, Facebook)

Quelle: Hadass Arussi auf der Facebookseite der israelischen Studierendenvertretung