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Stoppt die Zerstörung unserer Gemeinden für Kohle, die wir doch nicht nutzen können

Kategorien: Westeuropa, Deutschland, Bürgermedien, Umwelt, The Bridge
The Rhineland coalfields are Europe's biggest source of CO2. Photo credit: Ende Gelände

Die Kohlefelder im Rheinland: Europas größte CO2 Quelle. Foto von: Ende Gelände

Dieser Artikel basiert auf einem englischsprachigen Beitrag [1] von Emma Biermann , den sie für 350.org geschrieben hatte: Eine Organisation, die eine globale Klimaschutzbewegung aufbaut. Die Wiederveröffentlichung geschieht im Rahmen eines Abkommens mit Global Voices zur gemeinsamen Nutzung von Inhalten.

Im April hatte ich mich einer Gruppe von über 6.000 Menschen angeschlossen, die beim Tagebau Garzweiler [2] im westdeutschen Rheinland eine Menschenkette bildeten. Unsere Kundgebung: Die Abhängigkeit von Kohle zu beenden und den Umstieg auf erneuerbare Energien voran zu treiben – etwas, was bereits gestern hätte geschehen müssen.

Die standhaften Dörfer Borschemich und Immerath, durch die unsere Menschenkette ging, sind nach und nach zu Geisterdörfern geworden. Die Einwohner wurden durch den deutschen Energiekonzern RWE ausgezahlt und die Gemeinden aufgelöst.

RWE expandiert den neuntgrößten Tagebau der Welt. Trotz Verschuldung, trotz Zerstörung der Häuser und Ländereien und trotz bereits bestehender hoher Verschmutzung und Radioaktivität. Und selbstverständlich auch trotz der Tatsache, die mittlerweile sattsam bekannt sein dürfte: Dass wir Kohle nicht einfach weiter verbrennen können, wenn wir den Klimawandel begrenzen wollen.

Herr Schmitz, farmer from the village of Holzweiler, Germany. Photo credit: Emma Biermann

Herr Schmitz, Landwirt aus dem Dorf Holzweiler in Deutschland. Foto: Emma Biermann

Ich weiß nicht mehr, wie unser Gespräch genau begann. Ich glaube, ich habe ihn gefragt, ob der Traktor ihm selbst gehöre. Dem war so. Und der Traktor hatte einen Anhänger, versehen mit Spruchbändern. Sie zeigten die Grenze an, an der die Menschen eine Beendigung des Tagebaus fordern.

Wir trafen uns inmitten einer Gruppe von ungefähr 5.998 Leuten, die gelbe Bänder mit sich trugen. Wir standen zwischen Landbaufeldern, die zwei bis drei Jahre später nicht mehr existieren werden, so wie es heute aussieht. Sein Dorf Holzweiler war im Hintergrund dieser eindrucksvollen Szenerie zu sehen. Und er wusste nicht, ob auch sein eigenes Land aufgewühlt werden wird, um die Kohle zu fördern, die sich darunter befindet.

Der Landwirt Herr Schmitz, den ich an diesem Tag traf, berichtete mir, das Schlimmste sei, einfach nicht zu wissen, was kommen wird. Wie plant man voraus oder geht man mit einer Situation um, wenn man nicht einmal weiß, ob man mit der gesamten Familie umgesiedelt wirt oder nicht? Stärker noch, wie soll das überhaupt in der Praxis geschehen? Wie kann man Landwirten ihre Felder und Anbauprodukte ersetzen? Und wie kann man jemandem sein Zuhause, seine Geschichte und seine Existenzbasis ersetzen? Für ihn sei es womöglich nicht allzu schlimm, sagte er. Doch für seinen Sohn? Was solle der denn tun?

Schließen wir den Tagebau, so gehen hunderte Arbeitsplätze verloren, wird uns gesagt. Doch hier höre ich nicht von Arbeitsplätzen, sondern von ganzen Gemeinden, die verloren gehen. Und es geschieht mit schmutzigen Tricks. Herr Schmitz berichtet mir: RWE besucht die Gemeinden, schon Jahre, bevor ein Abbruch stattfindet. Und man kann sich vorstellen: Anfangs begegnen die Dorfbewohner einem finanziellen Angebot der Entschädigung für die Umsiedlung mit Widerstand. “Doch mit der Zeit werden sie mürbe”, sagt Herr Schmitz. RWE beginnt nämlich, diverse Einrichtungen in der Umgebung abzubauen und damit zu zerstören, was zuvor erreichbar war. Hierdurch entsteht der Eindruck, dass die Arbeiten schon im Gange seien. Irgendwann nehmen ein paar Leute dann das Angebot an. Einige ziehen weg. Lokale Händler verlieren ihre Kundschaft. Und wie kann der Bäcker noch offen bleiben, wenn sich das Dorf langsam auflöst? Sobald die ersten gehen, setzt ein Dominoeffekt ein.

Er zeigt auf ein Gebäude und sagt, das sei einst ein Krankenhaus gewesen. Jetzt ist es leer und verlassen. In diesem Dorf bieten noch stets ein paar hundert Einwohner/-innen Widerstand. Doch es gibt keine Geschäfte mehr, keine Kirche und keine sonstigen lokalen Serviceeinrichtungen. Er sagt, vier weitere Dörfer, die seit hunderten Jahren bestehen, sollen in den nächsten 15 Jahren zerstört werden. Er führt mich zur anderen Seite des Traktors. Dort zeigt ein Banner die Namen dieser vier Dörfer plus den seines eigenen Dorfes, das mit betroffen ist.

On 25th April, more than 6,000 people created a human chain against coal at the open-pit lignite mine Garzweiler in the Rhineland, Germany. Photo credit: Emma Biermann

Am 25. April bildeten mehr als 6.000 Menschen eine Menschenkette, um gegen den Braunkohlentagebau bei Garzweiler im westdeutschen Rheinland zu protestieren. Foto: Emma Biermann

Herr Schmitz hatte bereits vor 30 Jahren an einer solchen Menschenkette teil genommen – beinahe auf den Tag genau. Noch immer bietet er Widerstand. Ich werde traurig, während ich mit ihm spreche. Doch wer weiß. Vielleicht wird sich die Lage ändern und es wird Erfolge geben.

RWE hat 31 Milliarden Euro Schulden: Der Preis für Kohle steigt stets weiter. Ganz zu schweigen von externen Kosten, die noch hinzu kommen. Und es gibt Restriktionen für Kohlenstoffemissionen. Man beziffert, wie viel genau von dem schwarzen Zeug nicht mehr verbrannt werden kann: 90 Prozent von Europas Kohlereserven müssen in der Erde bleiben, wenn wir die globale Erwärmung um 2 Grad verhindern wollen. Und dann gibt es noch eine wachsende Bewegung derer, die bereit sind, Widerstand zu leisten. Am 14. bis 16. August diesen Jahres werden wir in eine 400 Meter tiefe Kohlengrube klettern, um die größten Gräber der Erde zu stoppen [3].