Wie eine Frau auf Chinas furchtbaren Smog reagierte

Chai addresses her audience with a picture from the smog-filled Northeastern city of Harbin in the background.

Chai wendet sich an ihr Publikum vor einem Bild, das den in Smog gehüllten Nordostteil der Stadt Harbin zeigt. Bildschirmabdruck aus ‘China's Haze: Under the Doom’ – ‘Chinas Dunstglocke: Vom Verhängnis bedroht’.

Als berühmte investigative Reporterin verfasste Chai Jing zahlreiche schonungslose Berichte über Chinas Umweltprobleme. Als sie jedoch 2013 schwanger wurde – und dann erfuhr, dass ihr Baby in ihrem Leib einen Tumor hatte – wurde die unaufhaltsame Verschmutzung Chinas für sie zu einer persönlichen Angelegenheit. Sie begann zu überlegen, wie China seine Probleme der Luftverschmutzung lösen könnte.

Chais Baby überlebte dank einer Operation, die letztes Jahr durchgeführt wurde. Doch Chai war durch diese Erfahrung erschüttert und nicht mehr in der Lage, sich über ihre Mutterschaft zu freuen. Sie beschloss, ihre Arbeit bei China’s staatlichem Fernsehsender CCTV zu beenden, um sich um ihre Tochter zu kümmern.

Chai setzte ihre Tätigkeit als Reporterin jedoch fort. Und ihr jüngster Dokumentarfilm über Chinas Smogproblem – ein Thema, das ihren Landsleuten sehr am Herzen liegt und das den politischen Entscheidungsträgern Chinas auch echtes Kopfzerbrechen bereitet – explodierte förmlich in den sozialen Medien Chinas.

Der beinahe zweistündige Dokumentarfilm mit dem Titel ‘Under the Doom’ (Vom Verhängnis bedroht) verbreitete sich sofort nach seiner Freigabe am Samstag rasend schnell in Netz. Am Sonntagmorgen war ‘#Chai Jing’s smog investigation’ (Cgai Li's Smoguntersuchung) das Top-Thema auf Sina Weibo, der chinesischen Variante von Twitter. Der Film hatte zu dem Zeitpunkt bereits über 30 Millionen Aufrufe auf diversen chinesischen Videoportalen verzeichnet. 

Voll düsterer Daten zur Verschmutzung und gespickt mit spannenden persönlichen Erfahrungsberichten, hat dieser – aus eigenen Mitteln finanzierte – Film alle Aufmerksamkeit auf das Problem Smog gelenkt.

“Dies ist meine persönliche Abrechnung mit dem Smog. Ich muss wissen, woher er kommt und ich muss alles herausfinden, was mit ihm zusammen hängt”, sagt Chai den Zuschauern und Zuschauerinnen. Sie fügte hinzu, dass ihre Tochter 2014 ein halbes Jahr lang zu Hause “wie eine Gefangene eingeschlossen werden musste”, nur wegen der Luftverschmutzung.

Der Dokumentarfilm zeigt eine sanft sprechende Chai, die sich an ein Live-Publikum wendet, im Aufbau ähnlich den bekannten TED Talks: regelmäßig werden Animationen eingeblendet, oder Bilder von Qualm ausstoßenden Fabriken und Straßen chinesischer Großstädte mit extrem starkem Verkehrsaufkommen.   

Als Teil ihrer Reportage besuchte Chai auch Fabriken, die die Verschmutzung erzeugen. Sie reiste sogar nach London und Los Angeles, um an Episoden der Smoggeschichte zu erinnern, die Tausenden Menschen das Leben gekostet hatten.

Die Quintessenz dieses Dokumentarfilms ist ein harter, schonungsloser Blick auf Chinas extreme Abhängigkeit von fossilen Kraftstoffen, seine extrem gegenwärtige Schwerindustrie und seine zugleich halbherzige Umsetzung von Gesetzen, die dem Schutz der Umwelt dienen sollten.

Sechzig Prozent des Smogs in China wird durch die Verbrennung von Kohle und Kraftstoffen erzeugt, berichtet der Dokumentarfilm. Er zitiert dabei Berichte, die seitens chinesischer Forschungsinstitute publiziert wurden.

Heute ist China einer der weltweit größten Verbraucher von Kohle, was 70% des gesamten Energieverbrauchs des Landes entspricht. Was jedoch noch schlimmer ist: Laut Chais Dokumentarfilm wäscht China weniger als die Hälfte dieser Kohle, wodurch sie die Fähigkeit des Landes, Verschmutzung zu verringern und die Kraftstoffeffizienz zu erhöhen, weiter beeinträchtigt.

Trotz der Versprechen aus Peking, seine umweltverschmutzenden Industrien hart anzupacken – Beteuerungen, die regelmäßig vom Präsidenten Xi Jinping bekräftigt werden –  wird der Widerstand gegen umwelttechnische Reformen wahrscheinlich noch weiter anhalten.

An einem Punkt im Dokumentarfilm fragt Chai einen Vertreter der chinesischen Umweltbehörden, weshalb die Regierung des Landes seine umweltverschmutzenden Stahlfabriken nicht einfach schließen kann. Der Gefragte antwortet erstaunt: “Scherzen Sie? Eine Stahlfabrik mit einer jährlichen Produktionskapazität von 10 Millionen Tonen bietet rund 100,000 Arbeitern Brot. Es gibt keine Möglichkeit, eine solche Fabrik in der Provinz Hebei zu schließen.”

Der Dokumentarfilm zeigt auch deutlich den Widerwillen seitens der Ölkonzerne in China, betreffs ihrer Kraftstoffe mehr umweltfreundliche Standards einzuführen. In den meisten westlichen Ländern werden solche Standards durch Umweltbehörden bestimmt. Doch in China ruht eine solche Autorität in den Händen riesiger staatlicher Ölkonzerne wie der China National Petroleum Company (CNPC) und Sinopec.

Der chinesische Begriff für Smog (雾霾 ausgesprochen: Wu Mai) besteht aus zwei Zeichen, Nebel und Schleier. Er wird erst in den letzten Jahren von weiteren Kreisen gebraucht. Dies kommt vor allem durch eine wachsende öffentliche Forderung nach besserer Luftqualität sowie durch Medienberichte, die die Öffentlichkeit detailliert auf entsprechende Gesundheitsrisiken aufmerksam machen. 

Die öffentliche Debatte hierüber intensivierte sich im Januar 2013, als ein zentraler Indikator zur Messung der Luftverschmutzung (PM2.5, Feinpartikel in der Luft messend, dessen Referenzwert bei weniger als 2.5 Einheiten liegt), eine unglaubliche Höhe erreichte. PM2.5 wird als besonders gefährlich für die öffentliche Gesundheit gesehen, weil es menschliches Lungengewebe durchdringen kann. Der gemessene Höchstwert in dem Monat betrug beinahe 1000 und damit ein 40-faches des Wertes, den die Weltgesundheitsorganisation (WHO) als unbedenklich für Menschen eingestuft hat.

Der Dokumentarfilm selbst mag nicht bahnbrechend innovativ sein. Doch zum Thema Smog ist er ist die bislang umfassendste TV Reportage von chinesischer Seite. Und seine Erscheinung fällt zeitlich zusammen mit einer erst kürzlich stattgefundenen Umorganisation der Leitung des chinesischen Umweltministeriums, bei der der reformorientierte ehemalige Leiter der Tsinghua Elite-Universität, Chen Jining, an die Spitze des Institutes berufen wurde.

Chen gab laut chinesischer Medienberichte am Sonntag bekannt, dass er den Dokumentarfilm bereits gesehen habe. Und auch, dass er eine Textnachricht an Chai geschickt habe, in der er ihr dankte, öffentliches Bewusstsein für umwelttechnische Belange geschaffen zu haben. 

In weniger als einer Woche, bei den alljährlich stattfindenden Sitzungen des National People's Congress (NPC), wird die Umweltverschmutzung eines der meistdiskutierten Themen sein.

Gegen Ende des Dokumentarfilms schlägt Chai einen kämpferischen Ton an:

One day, tens of thousands of ordinary folks will say no. They will say they are not satisfied, they don’t want to wait and they don’t want to evade responsibility. I have to stand out and do something, and I will do it right now, right here, in the very moment where I am. I am the change.

Eines Tages werden Zehntausende normaler Leute nein sagen. Sie werden sagen, dass sie nicht zufrieden sind und dass sie nicht warten wollen und auch der Verantwortung nicht ausweichen wollen. Ich muss aufstehen und einen Unterschied machen, etwas tun. Und ich werde es hier und jetzt tun, in diesem Moment, dort, wo ich jetzt bin. Ich bin die Veränderung.

Dann blickt sie auf einen im Hintergrund rotierenden Planeten Erde (01:43:56 im Dokumentarfilm) und appelliert als Mutter:

One day I will leave this world but my child will still be living on the planet. That is why this planet concerns me. That is why I stare at it in the same way I stare at you. That is why I will protect it the way I protect you.

Eines Tages werde ich diese Welt verlassen. Doch mein Kind wird dann noch stets auf diesem Planeten leben. Deshalb geht es mich an, was mit dem Planeten geschieht. Und deshalb schaue ich ihn auf dieselbe Art an, in der ich auch Dich anschaue. Darum werde ich ihn auf dieselbe Art beschützen, auf die ich dich schütze.

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