Der ehemalige Mitarbeiter der Süddeutschen Zeitung Sebastian Heiser erhebt schwere Vorwürfe gegen die Zeitung. Auf seinem Blog veröffentlicht er seine Erfahrungen als Mitarbeiter für das Ressort Sonderthemen. Darin beschreibt er, dass die redaktionellen Schwerpunkte stark von den Interessen der Anzeigenkunden geprägt seien. Er geht sogar noch einen Schritt weiter und behauptet, die Zeitung verbreite Anleitungen zur Steuerhinterziehung.
Die Süddeutsche Zeitung ist die größte überregionale Qualitätszeitung Deutschlands mit einer Auflage von 397.000 Exemplaren und einer Reichweite von ca 1,3 Mio. Lesern. Die Zeitung schreibt auf ihrer Webseite “Die SZ zeichnet sich durch meinungsfreudigen und unabhängigen Journalismus aus. Sie legt Wert auf kritische Redakteure und kritische Leser.” Heiser war von Anfang Januar bis Ende März 2007 bei der Süddeutschen Zeitung im Ressort Sonderthemen beschäftigt. Das Ressort Sonderthemen beinhaltet Themen wie Beruf und Karriere, Immobilien, Energie oder Finanzen. Die Inhalte des Ressorts werden nicht mit dem Verweis auf ein Advertorial versehen; daher sollten sie also so wie der Rest der Zeitung journalistischen Qualitätsansprüchen wie der Unabhängigkeit von Werbekunden entsprechen.
Nun, acht Jahre nach seiner Kündigung veröffentlichte Heiser Protokolle aus Redaktionssitzungen und Aufnahmen, die er heimlich mitgeschnitten hat.
Für Heiser gab es zwei wesentliche Unterscheide von seiner Arbeit zu korrektem Journalismus: Die Themenauswahl nach Geld und eine freundliche, relativ unkritische Grundhaltung. Heise behauptet, dass die Süddeutsche Zeitung die Themen nicht nach Relevanz der Inhalte sondern nach der Attraktivität für Anzeigenkunden auswählt. Zudem beschuldigt er die Zeitung, dass kritische Formulierungen in den Texten nicht erwünscht wären.
Bei dem Journalismus-Imitat in meinem Ressort wird nicht nach Relevanz entschieden, sondern nach Geld. Rein kommen die Themen, für die Anzeigen geschaltet werden. Die Daumenregel: Für jede viertelseitige Anzeige (Kosten damals: rund 20.000 Euro zuzüglich Mehrwertsteuer) erscheint eine Seite über dieses Thema.
Besonders kritisch sieht Heiser die Tatsache, dass er den Lesern in einem Artikel Informationen zu Schweizer Nummernkonten gibt um Steuerbelastungen zu senken. Rückblickend reflektiert Heiser,
Es ist eine unverhohlene Werbung für Steuerhinterziehung. Gedruckt von der Süddeutschen Zeitung, weil sie dafür eine gut bezahlte Anzeige von der Tiroler Sparkasse erhält. Und ich bin dafür zuständig, die Texte auf dieser Seite zu schreiben oder von anderen Mitarbeitern zu bestellen und zu redigieren. Wie bin ich hier nur reingeraten?
“Schleichwerbung ist eine Form von Korruption”
In den sozialen Medien findet man unter dem Hashtag #szleaks ganz unterschiedliche Reaktionen auf Heisers Enthüllungen. Einige Nutzer beschreiben es als “naiv” zu erwarten dass eine Beilagen-Redaktion objektiv berichtet und dies Routine in den meisten Redaktionen sei.
Wer ist so naiv und erwartet bei #sonderthemen-Beilagen in Zeitungen knallharte politische Recherchen? #szleaks http://t.co/LPUhIA3CFj
— ThorstenG.Schneiders (@tgs2001) 17. Februar 2015
Und jetzt zeige man mir eine “Beilagen-Redaktion” bei der das anders läuft. Beilagen waren schon immer für Anzeigenkunden gemacht. #szleaks
— Jannis Kucharz (@netzfeuilleton) 19. Februar 2015
Andere jedoch zeigen sich empört über die Enthüllungen. Twitter Nutzer Uwe Krüger schreibt, dass dieser Zustand keine Normalität sein sollte:
#szleaks Schleichwerbung ist eine Form v. Korruption. Wenn viele das f. normal halten, zeigt das nur, wie pervertiert d. Maßstäbe schon sind — Uwe Krüger (@ukrueg) 20. Februar 2015
Er fügt hinzu, dass viele Leser diese Zusatzseiten als gewöhnliche redaktionelle Inhalte beurteilen:
Die Fallhöhe von #szleaks bemisst sich m.E. daran, ob der “flüchtige Durchschnittsleser” die Seiten als nicht-redaktionell erkennen konnte.
— Uwe Krüger (@ukrueg) 19. Februar 2015
Laut einem Interview mit dem Nachrichtenportal Newsroom plant die Süddeutsche Zeitung keine Stellungnahme zu den Vorwürfen Heisers. Newsroom schreibt, dass Wolfgang Krach, stellvertretender Chefredakteur der Süddeutschen Zeitung betont, dass die Vorwürfe Heisers nicht haltbar seien. Krach argumentiert weiter, dass die Zeitung weder Anleitungen zur Steuerhinterziehung gab und Heiser niemals seine Texte der Anzeigenabteilung vorlegen musste.
Krach macht im Gespräch mit Newsroom.de aber deutlich, dass seiner Zeitung keine Vorwürfe zu machen seien. „Warum entstehen Beilagen, warum veröffentlichen wir Sonderseiten? Es ist wie bei jeder anderen Zeitung in Deutschland, die Anzeigenabteilung kommt auf die Redaktion zu und schlägt ein Thema vor. Was wir dann journalistisch daraus machen, welche Themen in diesen Beilagen gesetzt werden, das entscheidet die Redaktion“, betont Wolfgang Krach. Er verweist dabei auch auf die „illegalen Mitschnitte“: „Hören Sie sich die Bänder genau an, dann wird klar, dass an den Vorwürfen nichts dran ist.“
Heiser hatte auf seinem Blog auch heimliche Audiomitschnitte aus Redaktionssitzungen veröffentlicht. Einige Beobachter kritisieren, dass dies ethisch nicht vertretbar sei. Heisers jetziger Arbeitgeber, die Tageszeitung, beschuldigte Heiser vergangene Woche durch eine Keylogging Software die Daten von 16 Kolleginnen gestohlen zu haben. Laut einem Bericht der Zeitung wird geplant, strafrechtlich gegen Heiser vorzugehen.
Ähnliche Vorwürfe von Peter Oborne gegenüber des britischen Telegraph
Der ehemalige Mitarbeiter der britischen Zeitung The Telegraph, Peter Oborne, erhebt ähnliche schwere Vorwürfe gegen die Zeitung. Er behauptet, die Leserinteressen und Qualitätsjournalismus stehen nicht mehr im Vordergrund der Zeitung. The Telegraph ist eine große Qualitätszeitung in Großbritannien mit einer Auflage von ca 500.000 Exemplaren.
Auf opendemocracy.net schreibt Oborne von einem “Betrug der Leser”. Er geht besonders auf die Tatsache ein, dass die Zeitung die Londoner Großbank HSBC geschützt hatte. Die HSBC ist ein Anzeigenkunde der Zeitung, der sich 2012 nach einer kritischen Recherche der Zeitung zurückgezogen habe. Oborne sagt, dass es seitdem keine kritische Berichterstattung über die Bank gegeben habe.
Kürzlich stand die Bank erneut in der Kritik aufgrund der Verwicklung in Steuerhinterziehungen in der Schweiz. Während andere größere britische Zeitungen hierüber berichteten, konnte man in den Telegraph lange nach einem Bericht suchen.
The Telegraph’s recent coverage of HSBC amounts to a form of fraud on its readers. It has been placing what it perceives to be the interests of a major international bank above its duty to bring the news to Telegraph readers. There is only one word to describe this situation: terrible.
Die Berichterstattung über die HSBC kommt einem Betrug an den Lesern gleich. Anscheinend haben die Interessen einer internationalen Großbank Vorrang vor der Verpflichtung wichtige Nachrichten an die Leser zu liefern. Es gibt nur eine Möglichkeit diese Situation zu beschreiben: Schrecklich.
Wenige Reaktionen in den traditionellen Medien – Angst vor Glaubhaftigkeits-Verlust
#szleaks wird vor allem in den sozialen Medien und auf einigen Onlineportalen diskutiert, jedoch gibt es kaum Reaktionen der traditionellen Medien auf Heisers Behauptungen. Twitternutzer Wolfgang Ainetter bemerkt:
#szleaks Was schreibt die @SZ zu den schweren Vorwürfen eines Ex-Mitarbeiters in Sachen Schleichwerbung?NICHTS #fail pic.twitter.com/0GcBAPvIdk
— Wolfgang Ainetter (@WAinetter) 17. Februar 2015
Auch über die Anschuldigungen an den Telegraph wird in den internationalen Medien vergleichend wenig berichtet. Jedoch findet man in deutschen Medien deutlich mehr Berichte, als über die Anschuldigungen an die Süddeutsche Zeitung. Ironischerweise veröffentlicht auch die Süddeutsche Zeitung einen Bericht über Oborne, die zuvor zu ähnliche Vorwürfen in ihrer Zeitung selbst nicht Stellung nehmen wollte. Die Deutsche Berichterstattung richtet sich eher an Heisers Methoden, als an die Glaubwürdigkeit der Medien oder den Anschuldigungen selbst.
Auch wenn die beiden Fälle nicht komplett vergleichbar sind, sie adressieren doch das gleiche Thema: Glaubwürdigkeit. Im Zuge der antimuslimischen Proteste in Deutschland, wurden die deutsche Presse von den Demonstranten als Lügenpresse bezeichnet und viele Anhänger der Bewegung und ihre Organisatoren verweigerten den Kontakt zu Journalisten. Auf den Demonstrationen hallt die Parole “Lügenpresse-Halt die Fresse” aus den Mengen. “Lügenpresse” ist das Unwort des Jahres 2014 und hat in Deutschland eine Debatte über die Glaubhaftigkeit der Medien ausgelöst, die von mehr und minderer seriösen Medienkritik geprägt ist.
Anschuldigungen an eine große deutsche Qualitätszeitung könnte neuen Wind in die Diskussion bringen. Stefan Winterbauer schreibt auf dem Online-Portal Meedia schreibt:
Gleichzeitig bekommen Anhänger von Verschwörungstheorien im Internet eine immer größere Bühne, auf der hemmungslos über eine vermeintliche Gleichschaltung von Mainstreammedien debattiert wird. Vorwürfe, wie sie hier erhoben werden, sind Wasser auf die Mühlen der Medienkritiker. Sie zielen auf das höchste Gut der Zeitungen, ihre Glaubwürdigkeit. Mal ganz abgesehen von den Wirrköpfen, die bei jeder sich bietenden Gelegenheit “Lügenpresse” rufen: Sobald Leser das Gefühl bekommen, Zeitungen schreiben Anzeigenkunden nach dem Mund, gibt es keinen Grund mehr für teure Abos.
Winterbauer beendet seine Beobachtungen, indem er die Medien dazu auffordert mit solch einer Kritik besser umzugehen und so ihre Glaubwürdigkeit noch weiter zu stärken:
Zeitungen, die sich solchen Vorwürfen ausgesetzt sehen, wie jetzt die Süddeutsche und der Telegraph, sollten entschlossen, ausführlich und konkret Stellung beziehen und ihre Arbeitsweisen möglichst transparent machen. Bezeichnend ist zum Beispiel auch, dass die Süddeutsche gar keinen eigenen Pressesprecher mehr hat. Eine gute Idee wäre es auch, Kritiker einzuladen zu einer öffentlichen Diskussion. Ja – shocking! – dies womöglich auch noch im eigenen Blatt, auf der eigenen Website zum Thema machen. Auf diese Weise kann Glaubwürdigkeit sogar noch gestärkt werden. Eine solche Strategie des offenen Visiers und der Transparenz funktioniert aber natürlich nur, wenn die Medien tatsächlich nichts zu verbergen haben.
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