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Das anonyme, radikale, südafrikanische Künstlerkollektiv “Tokolos-Stencil” bewahrt mittels Schablonenkunst die Erinnerung an das Minenmassaker von Marikana 2012, kritisiert die kolonialen Monumente und Denkmäler der Apartheid, “terrorisiert die Machthaber” und erinnert SüdafrikanerInnen daran, dass wenn sie Freiheit und Gerechtigkeit fordern, sie bereit sein müssen zu kämpfen.
Tokolos ist ein umgangssprachlicher Begriff und stammt von Tokoloshe, ein neckischer, zwergenhafter Geist der Zulu-Mythologie, der durchsichtig wird, sobald er Wasser trinkt.
Über die Arbeit von Tokolos wird auf dem Bog “Afrika ist kein Land” geschrieben. Hier schreibt die Gemeinschaft:
The Tokoloshe emerges from its secret lair. Like a thief in the night, it creates a mirror image of ourselves in some of the most contrary of places and then instantly vanishes.
These living pictures take us deep into the contradictions of our society. They take us back to our bloody, violent and racist history; they lay bare the smokescreens of popular culture showing us the oppressive reality of this purported democracy; and they create echoes of indignation at injustice while also reflecting on our own role in maintaining such cruelty.
Die Tokoloshe kommen aus ihren Geheimverstecken hervor. Wie ein Dieb in der Nacht erschaffen sie Spiegelbilder von uns selbst in einigen der gegensätzlichsten Plätze und verschwinden sogleich.
Diese lebenden Bilder führen uns tief in die Widersprüche unserer Gesellschaft. Sie nehmen uns mit zurück in unsere blutige, gewalttätige und rassistische Geschichte; legen uns die Nebelschwaden von unserer beliebten Kultur offen und zeigen uns die bedrückende Realität dieser angeblichen Demokratie. Und sie schaffen ein Echo der Empörung über die Ungerechtigkeit, während gleichzeitig die eigene Rolle bei der Aufrechterhaltung dieser Grausamkeit reflektiert wird.
Die “verstörenden” Kunstwerke von Tokolos-Stencil sind in vielen Teilen Südafrikas zu finden, vor allem Kapstadt. Ihre Arbeit erscheint auf Regierungsgebäuden, Büros von politischen Parteien, Autobahnen, an Brücken und öffentlichen Statuen und sogar auf privaten Grundstücken, wie beispielsweise auf der amerikanischen Fast Food Kette McDonald's und einem Ferrari-Autohaus.
Die Gemeinschaft ermutigt SüdafrikanerInnen ihre Arbeit und Graffiti-Bildern herunterzuladen und ihre Kunstwerke an öffentliche Plätze zu sprühen. Demonstranten nutzten ihrer Kunstwerke zur Unterstützung des Streiks von Platinminenarbeiter im Mai 2014 außerhalb des Parlaments.
“Erinnere dich an Marikana” ist die gemeinschaftliche Kampagne, die dazu dient, SüdafrikanerInnen und Behörden zu erinnern, den 16. August 2012 nicht zu vergessen, an dem der südafrikanische Polizeidienst 34 Lonmin-Minenarbeiter umbrachte und mindestens 78 Menschen verwundete. Dieses Ereignis war die tödlichste Gewaltanwendung gegen ZivilistInnen durch die Polizei in der Post-Apartheid-Ära in Südafrika.
Eine der Kunstwerke über Marikana zeigt Nelson Mandela, der mit einem fiktiven, afrikanischen Sprichwort zitiert wird:
Nelson Mandela says “Remember Marikana”
“If Madiba says it, it must be true.” – African Proverb
Nelson Mandela sagt: “Erinnere dich an Marikana.”
“Wenn Madiba [häufige Bezeichnung Mandelas] es sagt, muss es wahr sein.” – Ein afrikanisches Sprichwort
Der “Mann in der grünen Decke” ein Zeichen für “Erinnere dich an Marikana” (siehe unteres Bild) ist das Inbild von Marikanas Arbeiterführer Mgcineni Noki, der von der Polizei im August 2012 umgebracht wurde:
The [African National Congress] ANC must remember what they did to the people of Marikana. [South Africa's Deputy President] Ramaphose, [South Africa's President] Zuma, [South Africa's Police Commissioner] Phiyega and [South Africa's Minister of Police] Mthethwa are complicit in mass murder.
This stencil was done outside the ANC offices in Mowbray, Cape Town.
Der [afrikanische Nationalkongress] ANC muss sich daran erinnern was sie den Menschen von Marikana angetan haben. [Der Vizepräsident Südafrikas] Ramaphose, [der Präsident Südafrikas] Zuma, [der südafrikanische Polizeipräsident] Phiyega und [der südafrikanische Polizeiminister] Mthethwa sind mitschuldig am Massenmord.Diese Schablone ist an der Außenfassade des ANC-Büros in Mowbray, Kapstadt gemalt.
Als die Gruppe eingeladen wurde von der Brundyn+ Gallery, um in der “Bourgeoisie” Kunstgallerie der Initiative #FirstThursdays [Erste Donnerstage] auszustellen, entschieden sie die Gallerieausstellung “Raum der Ausgrenzung” zu stören:
We feel that the entire #FirstThursdays initiative is an exclusionary space meant to help the middle class pretend that their culture is significant and relevant. Instead, First Thursdays merely serves to exclude the poor black underclass. Many of the art installations talk about the poor but rarely if ever do they actually build space of inclusion.
In order to disrupt this space of exclusion, Tokolos deposited an unsanctioned installation of its own: a pota-pota toilet from a Khayelitsha shack settlement. These disgusting plastic laptop toilets are completely unsanitary and yet thousands of people live with them every day. By placing the toilet in the middle of Hipster Heaven, we hope we disrupted the space and made visible, even if for only a few minutes, those who are generally unseen.
Wir fühlen, dass die gesamte Initiative #FirstThursdays ein exklusiver Raum ist, der dazu dient, dass die Mittelklasse vortäuschen kann ihre Kultur sei relevant und bedeutend. Stattdessen dient #FirstThursdays lediglich dazu, die arme schwarze Unterklasse auszuschließen. Viele Kunstwerke besprechen die Armen, allerdings eröffnen sie dabei selten den Raum der Einbeziehung.
Um diesen Ausschluss zu durchbrechen, stellte Tokolos eine eigene, unerlaubte Installation auf: Eine Pota-Pota Toilette [Bezeichnung für tragbare Toiletten] aus einer Barackensiedlung in Khayelitsha. Diese ekelerregenden Plastiktoiletten sind komplett unhygienisch und trotzdem leben noch Tausende von Menschen täglich mit ihnen. Bei der Platzierung der Toiletten in der Mitte des “Hipster-Himmels”, hofften wir, dass wir den Raum störten und diejenigen Menschen sichtbar machten – wenn auch nur für einige Minuten – die meist ungesehen sind.
Die Gemeinschaft nutzt zudem ihre Kunst um die “Zonen der Entmenschlichung” Südafrikas zu kennzeichen:
Khayelitsha, a human dumping ground of about 1 million people was built by the apartheid government and continues to be maintained by the current neoliberal ‘democratic’ regime.
The townships are hell on earth. They are a space that dehumanises all those who live in it.
Khayelitsha, eine menschliche Deponie von über einer Millionen Menschen ist von der Apartheidsregierung gegründet worden und wird vom derzeitigen neoliberalen ‘demokratischen’ Regime weiterhin erhalten.
Die ‘Townships’ sind die Hölle auf Erden. Es ist ein Raum, der alle entmenschlicht, die dort leben.
Ein Schablonenzeichen erklärt das Langa ‘Township’ [Township bezeichnet die während der Apartheid eingerichtete Wohnsiedlungen für die farbige Bevölkerung] zur Zone der Entmenschlichung:
Langa is the oldest township in Cape Town. It was built to control and contain migrant Xhosa speaking blacks from outside Cape Town who came in search of work. Langa still serves this purpose which is why it only has two entrances – easy for the army to block off and control. The Langa Temporary Relocation Area is a dumping place for blacks who have been evicted from other land. Even though it is associated with the N2 Gateway Housing Project, few of the people dumped there with the promise of housing in the project ever receive houses.
Langa ist das älteste ‘Township’ in Südafrika. Es wurde gegründet, um zu kontrollieren und besteht überwiegend aus schwarzen, Xhosa sprechenden Gastarbeitern, die nach Kapstadt kamen um Arbeit zu finden. Langa erfüllt noch immer diesen Zweck, daher hat es auch nur zwei Eingänge – Sperrungen und Kontrollen werden so einfach für die Armee. Der vorübergehende Langa-Umsiedlungsort ist ein Entsorgungsort für Schwarze, die aus ihrem eigenen Land vertrieben wurden. Auch wenn es in Verbindung mit dem ‘N2 Wohnungszugangsprojekt’ gebracht wird, sind es nur wenige von den Menschen, die dort abgeladen wurden, die nach dem Versprechen auf eine Wohnung im Projekt auch eine Wohnung erhielten.
Joe Slovos Zone der Entmenschlichung in Kapstadt:
This is Joe Slovo shack settlement as visible from the N2 Freeway in Cape Town. It is one of hundreds of shack settlements of different sizes throughout Cape Town.
It exists out of necessity – because our land and housing policy is one continued dispossession of poor blacks who, with nowhere else to go, are crammed into tiny pieces of land in hellish townships.
Das ist die Barackensiedlung Joe Slovo, die von der Autobahn N2 in Kapstadt zu sehen ist. Es sind Hunderte von Baracken in verschiedenen Größen rund um Kapstadt.
Es existiert notgedrungen, weil unser Land und unsere Wohnungspolitik eine Fortsetzung der Enteignung von armen Schwarzen ist, die nirgendwo sonst hin können, zusammengepfercht in höllische ‘Townships’ auf kleinen Landstücken.
Die Gemeinschaft hat sich das Wort “Terrorismus” zu eigen gemacht und fordert sogar volle “Verantwortlichkeit für den terroristischen Akt gegen die weiße Vorherrschaft in Südafrika in der Nacht vom 20. Oktober 2014″:
Die Gemeinschaft nutzte ein Coca-Cola Warenhaus in Kapstadt, um mit der Aufschrift “Coke ist Blut aus Gaza” ihre Unterstützung der Palästinenser auszudrücken.
Während der Wahlen forderte die Gemeinschaft SüdafrikanerInnen auf, für einen “freien Mangel an Bildung” zu wählen:
In Privatschulen:
Wynberg Boys’ High School. Like all private schools is NON-POOR ONLY.
#rememberyourpriviledge [sic]
Jungengymnasium Wynberg. Wie alle Privatschulen ist es “nur für Nicht-Arme.”
Auf Postern der Bürgermeisterin von Kapstadt, Patricia de Lille, zur neuen Drogensensibilisierungskampagne steht:
“My name is Patricia de Lille and I have an elitism problem. I don’t use drugs but my anti-poor policies create hundreds of new addicts every day.”
If the City of Cape Town really wanted to address the the drug problem, they would realise that the city that works for a few is the problem [Cape Town's slogan is “The City That Works For You”].
Mein Name ist Patricia de Lille und ich habe ein elitäres Problem. Ich nutze keine Drogen, aber meine Politik gegen Armut schafft Hunderte von Abhängigen jeden Tag.
Wenn Kapstadt wirklich dieses Drogenproblem beseitigen wollte, müssten sie realisieren, dass die Stadt – die nur für wenige arbeitet – das eigentliche Problem ist. [Angelehnt an Kapstadts Slogan: “Die Stadt, die für dich arbeitet”].
Tokolos Störung der Statue von Cecil John Rhodes an der Universität von Kapstadt, erinnert SüdafrikanerInnen an den Kolonialismus und das Massaker in Marikana, was ein Teil der Geschichte von Enteignung und Ermordung von armen Schwarzen ist:
“Cecil John Rhodes’ statue overlooking the Green Mile is a reminder of a man who held imperialist and racist views, but who also donated the [stolen] land on which UCT is built. Is it appropriate to give his memorial a place of honour on the UCT campus? Are we risking setting aside history? And should recognition of a gift extend into perpetuity?
Die ‘Cecil John Rhodes’-Statue blickt über die grüne Meile und ist eine Erinnerung an einen Mann mit einer imperialistischen und rassistischen Weltanschauung, aber auch an jemanden, der das [gestohlene] Land spendete, auf dem die UCT gebaut wurde. Ist es angemessen, diesem Andenken einen Ehrenplatz auf dem Campus der UCT zu geben? Riskieren wir, die Geschichte beiseite zu legen? Und sollte die Anerkennung eines Geschenkes in die Ewigkeit ausgedehnt werden?