Junger Bolivianerin wird jahrelang ein Dolmetscher verweigert, Verurteilung zu lebenslanger Haft in Argentinien

Facade of the Criminal Court in Quilmes, Argentina, where Reina Maraz was sentenced to life imprisonment. Photo by Andar Agency used with authorization.

Vor dem Strafgericht in Quilmes (Argentinien), wo Reina Maraz zu lebenslanger Haft verurteilt wurde. Foto von Andar Agency freigegeben.

Am Dienstag, den 28. Oktober 2014 wurde Reina Maraz in Argentinien wegen des Mordes an ihrem Ehemann zu lebenslanger Haft verurteilt. Zu diesem Zeitpunkt hatte sie bereits seit drei Jahren im Gefängnis gesessen, ohne jemals vor einen Richter gebracht worden zu sein.

“Warum verurteilen sie mich, wenn ich doch gar nichts getan habe?”, fragte Maraz ihre Quechua Dolmetscherin, Frida Rojas, als diese ihr die Worte des Strafgerichts (TCO) in Quilmes aus dem Spanischen übersetzt hatte, berichtet der Journalist Horacio Cecchi in seiner Chronik für die argentinische Zeitung Página 12.

Das Strafgericht unter Vorsitz der Richterinnen Silvia Etchemendi, Marcela Vissio und Florencia Butierrez befand die 26-jährige, die im November 2010 wegen Mordes in einem besonders schweren Fall an ihrem Ehemann Limber Santos verurteilt wurde, einstimmig für schuldig.

Einige Tage vor ihrer Verhaftung hatte Maraz ihren Ehemann als vermisst gemeldet. Obwohl sie damals schwanger war, kam sie ins Gefängnis, ohne allerdings zu wissen, was genau ihr vorgeworfen wurde. Sie spricht kaum Spanisch und versteht die Sprache auch fast nicht.

Erst als sich die Provinzkomission für die Erinnerung (CPM), eine NGO, die für Menschenrechte kämpft, für sie einsetzte und den Einsatz eines Dolmetschers für die junge Frau forderte, konnte sie 2012 Einzelheiten zu ihrem Fall in Erfahrung bringen.

Die CPM übte so lange Druck auf den Obersten Gerichtshof aus, bis dieser sich offiziell einverstanden erklärte, einen Dolmetscher beim Verfahren zuzulasen. Die Gerichte in der Provinz Buenos Aires verfügen über keine Liste registrierter Dolmetscher für indigene Sprachen, obwohl tausende indigener Einwanderer in der Region leben.

Mit Hilfe ihrer Dolmetscherin konnte Maraz erstmals ihre Version der Geschichte erzählen. Sie berichtete von ihrer Situation als Migrantin, die aus einem entlegenen Dorf in den bolivianischen Anden stammt und von der häuslichen und sexuellen Gewalt vor allem durch ihren Ehemann Limber Santos und “Tito” Vilca, einem Nachbarn der als ihr Komplize gegolten hatte. Vilca starb vor einigen Monaten im Gefängnis an Leberzirrhose, berichtet die CPM in ihrem Blog.

Maraz gab an, von ihrem Nachbarn missbraucht worden zu sein, nachdem ihr Mann sie als Bezahlung angeboten hatte, um seine Schulden bei Vilca zu begleichen.

Mitte Oktober forderte die Staatsanwaltschaft lebenslange Haft und berief sich auf eine Aussage von Maraz’ ältestem Sohn, der im Alter von fünf Jahren mit Hilfe des sogenannten Gesell Domes befragt worden war, eines Einwegspiegels in Form einer Kuppel unter welchem man Kinder beobachten oder befragen kann, ohne sie zu stören.

Die Leiterin der Abteilung für strategische Prozesse bei der CPM, Margarita Jarque, sagte, sie bedaure, dass das Urteil der Anklageschrift der Staatsanwaltschaft Recht gab, ohne auf die darin enthaltenen Fehler einzugehen. Die argentinische Internetplattform Website 8300 berichtete:

El tribunal no ha escuchado ni incorporado la voz de Reina, su relato. Resulta inexplicable una sentencia basada exclusivamente en una cámara Gesell que durante el debate oral tres peritos especialistas cuestionaron de manera fundada y la consideraron como una prueba no válida.

Das Gericht schenkte weder Reina noch ihrer Geschichte Gehör. Unerklärlicherweise stützte sich das Urteil einzig und allein auf den Gesell Dome, einen Test, der während der mündlichen Verhandlung von drei Experten als unzuverlässig eingestuft wurde.

Auch in den sozialen Netzwerken sorgte der Fall für Empörung. Irene Valiente schrieb auf ihrer Twitter-Seite:

Der Fall der Reina Maraz ist beschämend: Einer Quechua, Opfer von #violenciamachista, wurde drei Jahre lang eine Dolmetscherin verweigert und nun wurde sie zu lebenslanger Haft verurteilt.

Die CPM veröffentlichte eine Stellungnahme des Künstlers und Menschenrechtlers Adolfo Perez Esquivel, der 1980 den Friedensnobelpreis gewonnen hatte: 

“Arm, indigen und eine Frau zu sein, scheint ein Fluch zu sein und auch dieses Gericht diskriminiert sie,” so Perez Esquivel über das Urteil gegen Reina Maraz.

Cesar Javier Garzón ‏schrieb auf seiner Twitter-Seite:

Justizia ist blind und taub: Lebenslange Haftstrafe für Reina Maraz.

Auch die rechtlichen Hindernisse, die Maraz in den Weg gelegt wurden, wurden kommentiert. Der Autor des Blogs Ramos Generales y otras yerbas schrieb:

Quiero imaginar el interrogatorio de la justicia a Reina Maraz y me doy cuenta que ni siquiera han indagado en lo mínimo, ni las circunstancias o contexto.

Sus Señorías no son solo ciegas, huelen a podrido.

Ich versuche mir vorzustellen, wie die Richterinnen Reina Maraz befragt haben und mir wird klar, dass sie weder die grundlegenden Tatsachen [des Falls] noch die Umstände oder den Kontext untersucht haben.

 Die ehrenwerten Richterinnen sind nicht nur blind, sondern auch durch und durch veraltet.

José María Mastronardi, Maraz´ Anwalt, kündigte an, gegen das Urteil in Berufung zu gehen.

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