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Karibik: Kampf gegen die Stigmatisierung psychischer Erkrankungen

Kategorien: Karibik, Jamaika, Bürgermedien, Gesundheit, Jugend, Religion
A depiction of how depression feels, taken from the Depression/The Blues flickr page; used under a CC BY-NC 2.0 license. [1]

Bildliche Darstellung darüber, wie sich eine Depression anfühlt, aus The Depression/The Blues flickr Seite; mit Nutzungserlaubnis CC BY-NC 2.0.

Der eindeutige Selbstmord [2] des amerikanischen Schauspielers Robin Williams hat in der karibischen Bloggerszene eine Diskussion über Depression und anderen Formen psychischer Krankheiten ausgelöst. Williams’ tragischer Tod hat viele Blogger dazu veranlasst andere an ihren eigenen Erfahrungen teilhaben zu lassen, um Aufmerksamkeit auf das Thema zu lenken und um anderen zu helfen.

Seit jeher sind in der Karibik psychische Krankheiten ein Tabu-Thema. Die psychiatrischen Behandlungsmethoden, die noch aus den Zeiten der Kolonial­herrschaft stammen, was im Grunde bedeutet psychisch Kranke in “Irrenhäuser” zu verbannen, hat die Sachlage nicht verbessert. Tatsächlich sind viele der in der Mitte des 19. Jahrhunderts entstandenen Irrenanstalten, die mehr Gefängnis sind als Zufluchtsort, immer noch in Betrieb. Viele kranke Menschen werden hier wegge­schlossen und vom Rest der Gesellschaft isoliert, damit die Allgemein­bevölkerung nicht mit dem Problem “psychische Krankheit” konfrontiert werden muss.

Nicht mal als letzten verzweifelten Ausweg würde die karibische Gesellschaft einen Suizid billigen, insbesondere, wenn Religion eine Rolle dabei spielt. Allerdings ändert sich langsam die Einstellung gegenüber psychischen Krankheiten und einige regionale Regierungen investieren nun mehr für Nervenheilanstalten [3]. Die jamai­kanische Bloggerin, Bianca Welds, hat ein Projekt gestartet, bei dem sie ihre Mitbürger auffordert andere an ihren Erlebnissen und Erfahrungen mit psychischen Erkrankungen teilhaben zu lassen. Hierdurch möchte sie erreichen, dass gegen die allgegenwärtige Stigmatisierung angegangen wird:

Brauche Jamaikaner, die ihre psychische Krankheitsgeschichte öffentlich teilen wollen. Gebt bitte eure Kontaktdaten an, um am Projekt teilzunehmen https://t.co/kv75qWFYE0 [4]

Der jamaikanische Schriftsteller, Brandon Allwood [6], der nun in Kanada studiert, schrieb eine lange Abhandlung über seine Erfahrungen mit Depression und Angstzuständen:

The first time I tried to kill myself, I was 15. I lunged through a window in my 5th form classroom and was pulled back by some of my classmates — who subsequently made much fun of the whole debacle. A few weeks later I tried clumsily to swallow a bunch of tablets – Excedrin Extra Strength to be precise.  I had a massive stomach ache afterwards, but death was (sadly) nowhere close.

Ich war fünfzehn, als ich versuchte mich das erste Mal umzubringen. Ich wollte mich aus dem Fenster meines Klassenraums stürzen, wurde aber von ein paar Klassenkameraden zurückgezogen, die natürlich danach ihren Spaß hatten an der ganzen Aufregung. Ein paar Wochen später versuchte ich unbeholfen jede Menge Tabletten zu schlucken, Excedrin Extra Strength [Anm. der Übersetzerin: Ein Präparat gegen Migränekopfschmerz, das Acetylsalicylsäure, Coffein und Paracetamol enthält], um genau zu sein. Danach hatte ich zwar starke Magenschmerzen, aber ich war (leider) alles andere als tot.

Allwood stellte fest, dass Depression oft als ein Leiden der vermögenderen Bevölkerung angesehen wird (von denen viele aufgrund ihres helleren Hauttons als “browning” [7] bezeichnet werden), dennoch leiden natürlich auch ärmere Leute unter Depressionen. Auch behauptet er, dass sich die jungen Leute durch Jamaikas veraltetes Schulsystem übermäßig unter Druck gesetzt fühlen, was die Problematik noch verschlimmert:

We must begin to ‘de-brown’ mental illness in Jamaica. Ironically, mental illnesses such as depression and anxiety are more likely to occur in people who are poor(er?) and more disadvantaged in society. At some point we have to question why all the mental illness events and walks and days are seemingly supported by the same kind of people—‘brown’ and ‘uptown’ […] Why it is that the cost for getting help for mental illness is so high. Why it is that there are no support systems in primary and secondary schools to help students deal with the ever-increasing pressure of an archaic exam-centric educational system with a multiplicity of other problems that have a severe impact on them.

Wir müssen damit anfangen zu verstehen, dass psychische Erkrankungen alle Bevölkerungsschichten betreffen können. Ironischerweise kommen ja psychische Krankheiten und Angstzustände öfter bei armen (ärmeren?) Leuten und von der Gesellschaft benachteiligten Leuten vor. Irgendwann sollten wir uns auch ein paar Fragen stellen, warum werden all diese Veranstaltungen und Märsche zugunsten psychischer Erkrankungen anscheinend immer von denselben Leuten unterstützt, nämlich den sogenannten “Brown People” und denen aus “besseren Kreisen” […] Wieso sind die Behandlungskosten für psychische Erkrankungen so hoch?  Warum gibt es weder ein Betreuungssystem in der Grundschule noch in den weiterführenden Schulen? Es würde den Schülern helfen, mit dem immer stärker werdenden Leistungsdruck eines vorsintflutlichen, prüfungsorientierten Schulsystems fertig zu werden. Nebenbei gibt es noch eine Vielzahl anderer Probleme, die die Schüler stark beeinflussen.

Allwoods Post, der manchmal sehr persönlich ist, fand im Internet großen Anklang. In seinem vielleicht ausdrucksstärksten Absatz, fordert er die Gesellschaft auf, psychische Krankheiten ernster zu nehmen.

Taking your own life is not a trivial matter. It is something that people usually think about for some time before making an attempt. In my own case, when I tried to hang myself from the pull up bar in my room five weeks ago, I thought not of myself but of my friends and family. I thought that I would be doing them a favour by leaving them with a memory of a good friend, and not having them deal with the dark horrible person I thought I had become. I felt like I hit a wall in my personal life with financial and school troubles, and I was absolutely tired of being a burden on the universe. For me it was a selfless thought, a heroic act and even though I am being treated now for my depression, I still regret having been too tall for the noose to do its job.

This is not a call for the government; it is a call for us all to seriously look at our attitudes towards mental illness. How we support our children, siblings, parents, friends and colleagues who are affected by the gamut of mental ailments. It is about us, as a people, being more open to the idea that sometimes we actually do need help and that ‘help’ is not always a case of cultural imperialism or ‘uptown’. It is an open call, for anyone who want[s] to be a better human being, to understand that people who struggle with mental illness need support and love.

Sich das eigene Leben zu nehmen, ist nicht irgendeine Kleinigkeit. Die meisten denken normalerweise, bevor sie einen Versuch wagen, lange darüber nach. In meinem Fall, als ich vor fünf Wochen versuchte mich an der Klimmzugstange, die in meinem Zimmer ist, zu erhängen, dachte ich nicht an mich selber, sondern an meine Freunde und meine Familie. Ich dachte, ich würde ihnen einen Gefallen damit tun, wenn ich sie mit der Erinnerung an einen guten Freund verlasse. Besser als, dass sie sich mit der trübseligen, grässlichen Figur herumärgern müssten zu der ich, so glaubte ich, geworden war. Ich hatte das Gefühl mit meinem Privatleben, den finanziellen Problemen und schulischen Schwierigkeiten gegen eine Wand zu laufen und ich hatte genug davon mich wie eine Last für das gesamte Universum zu fühlen. Ich sah es als einen selbstlosen Gedanken an, als eine heldenhafte Tat und obwohl ich jetzt wegen meiner Depression in Behandlung bin, bedauere ich es, dass ich zu groß war und dass, das mit der Schlinge nicht funktioniert hat.

Das hier ist keine Aufforderung an die Regierung, es ist vielmehr eine Aufforderung an uns alle, unsere Einstellungen gegenüber psychischen Krankheiten ernsthaft zu überdenken. Wie wir unseren Kindern, Geschwistern, Eltern, Freunden und Kollegen, die vielleicht von einer der vielen verschiedenen psychischen Erkrankungen betroffen sind, helfen können. Es geht hierbei um uns, als ein Volk, das offener mit dem Gedanken umgehen sollte, dass wir manchmal eben Hilfe brauchen und das “Hilfe” nicht immer ein Fall von Kulturimperialismus oder “besseren Kreisen” ist. Es ist ein öffentlicher Aufruf, für jeden, der ein besserer Mensch sein möchte, der versteht, dass Menschen, die unter psychischen Erkrankungen leiden, Unterstützung und Liebe brauchen.

Blogger lobten Allwood bei Twitter für seine Offenherzigkeit:

@brandonallwood [8] Du bist Dir vielleicht noch nicht über das Ausmaß bewusst, aber das wird sehr vielen, sehr viel helfen. Ein einfaches “Danke” reicht hierfür nicht aus.

 @brandonallwood [8] zu zuhören, wenn er über seine Erfahrungen mit Depression und Selbstmord auf nationaler Ebene spricht ist..wow. Deine Kraft ist unermesslich. I love u

Kate Chappell sprach [11] im Jamaika Journal von der Sichtweise eines Menschen, der ein psychisch krankes Familienmitglied hat. Sie lässt uns teilhaben an ihrer Geschichte, wie sie mit der Krankheit und den Selbstmordversuchen ihrer Schwester zu kämpfen hatte.

You can’t just cheer someone up who is assaulted so gravely by serious mental illness. What seared my soul in the worst way was how dead her eyes appeared. How void of spirit her body was. How flat her voice sounded. In those moments, when my eyes met her lifeless ones, two emotions coursed through me: terror and rage. ‘Why can’t you just feel better?’ I would scream within. ‘Why can’t you just take a shower and go for a walk? Is life really that bad?’ Of course, I never said this to her, and I never really meant it.

Jemanden, der so ernsthaft von einer psychischen Krankheit befallen ist, kann man nicht einfach aufmuntern. Was sich am schlimmsten in meine Seele eingebrannt hat war, wie tot ihre Augen aussahen. Wie seelenlos ihr Körper war. Wie matt sich ihre Stimme anhörte. In diesen Momenten, wenn meine Augen auf ihre leblosen Augen trafen, keimten zwei Gedanken in mir auf: Schrecken und Wut. “Warum kannst Du nicht einfach gesund werden?” Innerlich wollte ich schreien.  “Warum kannst du nicht einfach duschen und einen Spaziergang machen? Ist das Leben wirklich so schlecht?” Natürlich habe ich das niemals zu ihr gesagt und ich hatte auch nie die Absicht es zu tun.

Chappel hat sich schließlich mit dem Zustand ihrer Schwester abgefunden: 

I learned to love her. I learned to accept her as she was, as well as my own panic and fear, both of which sparked this brutal judgment. I learned how to love a person whose spirit has been so sapped that they can barely tend to their most basic physical needs. I learned about loyalty and commitment and choice. And I learned gratitude. Every day she made it through another 24 hours, I was grateful. In turn, I learned to appreciate those around me, from those I love dearly to strangers on the street.

Ich habe sie lieben gelernt. Ich habe gelernt sie so zu akzeptieren, wie sie war, genauso wie meine eigene Panik und Angst, diese beiden Gefühls­reaktionen haben meine brutale Einstellung geformt. Ich lernte wie man eine Person lieben kann, deren Geist so ausgelaugt war, dass sie sich kaum um ihre eigenen körperlichen Grundbedürfnisse kümmern kann. Ich habe Loyalität, Hingabe und Entscheidung kennengelernt. Und ich habe gelernt, dankbar zu sein. Ich war dankbar für jeden Tag den sie hinter sich gebracht hat. Ich wiederum, lernte dadurch alle um mich herum zu schätzen, angefangen bei denen die ich innig liebe, bis hin zu Fremden auf der Straße.

Abschließend folgerte sie:

As human beings, most of us possess a natural aversion to discussing such a mystifying, counterintuitive action as ending our own life. We instinctively strive to preserve ourselves at all costs, so when a fellow human being does not act in accordance with this fundamental drive, it causes fear and confusion. But this is precisely why we should address this reality: the pain does not have to be endured alone, and the abolishment of a solitary struggle could prevent some loss. Our society is ceaseless in its attempt to eradicate physical pain; we should apply the same to mental illness.

Die meisten von uns Menschen besitzen eine natürliche Abwehrhaltung, wenn es darum geht über solche rätselhaften und unverständlichen Dinge zu sprechen, wie über Selbstmord. Wir versuchen instinktiv, koste es was es wolle, am Leben zu bleiben, wenn dann ein Mensch nicht genauso wie wir mit diesem fundamentalen Willen zu überleben umgeht, dann verursacht das Angst und Bestürzung. Aber genau deswegen sollten wir uns mit folgender Realität auseinandersetzen: Der Schmerz muss nicht alleine ausgehalten werden und die Annahme einiger “alles alleine durchstehen zu können” sollte beiseite geräumt werden, das könnte einige Todesfälle verhindern. Unsere Gesellschaft versucht unaufhörlich körperlichen Schmerz auszumerzen; für psychische Erkrankungen sollten wir uns genauso einsetzen.

Mutige Blogger, wie Allwood und Chappell, hoffen, wenn noch mehr betroffene Leute ihre Erfahrungen teilten würde es der Problematik helfen sich von ihrem Stigma zu befreien, indem sie die öffentlichen Ansichten reformierten, die immer noch auf manche Art und Weise schädlich für die seelische Gesundheit sind. Wenn die Menschen lernen könnten offener über Depression und andere Erkrankungen zu sprechen, würden sie bemerken, dass sie damit Leben retten.

Der Hauptgrund für Selbstmord sind unbehandelte Depressionen. Man kann eine Depression behandeln und somit einen Selbstmord verhindern. Hilfe kann man von der Telefonseelsorge für Selbstmordgefährdete und für emotionale Krisen, bekommen. Um eine Suizidpräventions-Helpline im eigenen Land zu finden besucht man die Seite: Befrienders.org [12]