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Türkei: Juraprofessorin meint, Transparenz spiele in der Politik keine Rolle

Kategorien: Türkei, Bürgermedien, Meinungsfreiheit, Politik, Regierung

Die türkische Tageszeitung Today's Zaman hat İştar Gözaydın interviewt, eine Professorin für Jura und Politik an der Doğuş Universität in Istanbul. Sie hat sich intensiv mit türkischem Recht sowie mit Gesellschaft und Politik befasst und ist eine der Gründerinnen der Menschenrechtsorganisation Helsinki Citizens’ Assembly. In dem Interview [1] [en] stellt Gözaydın unter anderem fest, dass türkische Bürger dem Rechtssystem ihres Landes nicht besonders vertrauen und dass soziale sowie moralische Normen auf persönlichen Beziehungen basieren und daher einseitig sind. Außerdem sagte sie, dass es einfach keine Vorstellung von Transparenz gäbe, die zur türkischen Politik passen würde oder von ihr akzeptiert sei. Die erfahrene Professorin erklärt:

It is true that the Turkish people have a sense of a mighty state. This applies to the legal domain as well as matters of political participation. For many years, reference has been made to the weakness of civil society. […] In Turkey, civil society attempts to benefit from the state. There is a political culture that seeks the preservation of advantages rather than creating a structure separate from the state. This is also because of how we understand and define the state. There are two approaches to the problem of state in the literature: The European system referring to state power and public power and the Anglo-American structure in which a contract is made between the state and individuals. Moving away from the “mighty state” approach to the idea that “I pay tax, so the state has to be accountable for its acts” is not an easy process of change. It concerns a variety of different factors, including human psychology, mentality and morality.

Es stimmt, dass die Menschen in der Türkei einen Sinn für einen mächtigen Staat haben. Dies gilt sowohl für den rechtlichen Bereich als auch für Themen der politischen Partizipation. Seit vielen Jahren wird die Schwäche der Zivilgesellschaft thematisiert. […] In der Türkei versucht die Zivilgesellschaft vom Staat zu profitieren. Es gibt eine politische Kultur, die stärker an der Bewahrung gewisser Vorteile interessiert ist als daran, eine vom Staat unabhängige Struktur zu schaffen. Das liegt auch daran, wie wir den Staat verstehen und wie wir ihn definieren. In der entsprechenden Literatur gibt es zwei Denkansätze zur Lösung dieses Problems: Das europäische System, das sich auf die Staatsmacht und auf die Macht der öffentlichen Meinung bezieht, sowie die angloamerikanischen Strukturen, in denen es feste Vereinbarungen zwischen dem Staat und seinen Bürgern gibt. Sich von dem “mächtigen Staates” zu verabschieden und sich der Idee “ich bezahle Steuern, sodass der Staat für seine Aktivitäten rechenschaftspflichtig ist” zuzuwenden, ist kein einfacher Veränderungsprozess. Es geht um ein breites Spektrum verschiedener Faktoren, einschließlich der Psychologie des Menschen, seiner Mentalität und seiner Moral.