Ukraine: Wiederholt Putin die Fehler von Milošević?

Images remixed by Kevin Rothrock.

Fotomontage von Kevin Rothrock.

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Seit Russlands Annexion der Krim heben einige westliche Nachrichtenmagazine [en] die Gemeinsamkeiten zwischen Putin und dem früheren serbischen Präsidenten Slobodan Milošević hervor. Beide, Putin und Milošević, so der rote Faden, hätten in ihren Nachbarländern für Spannungen gesorgt, indem sie ihren Feinden Faschismus vorwarfen. Die von Milošević verfolgte Taktik der Spaltung habe zu Krieg und Völkermord geführt und in einem Prozess in Den Haag sein Ende gefunden [dem Sitz des Internationalen Strafgerichtshofs].

Am 17. Juni  warf der ostukrainische Militärkommandant der Separatisten Putin vor, die Fehler von Milošević zu wiederholen. Allerdings nicht in dem naheliegenden Sinn. Igor Girkin, besser bekannt als Strelkow, das übersetzt soviel wie “Kanone” oder “Ballermann” heißt, warnte Putin davor, in seiner Unterstützung der Separatisten nicht konsequent genug zu sein. Halbherziges Handeln (wie das von Milošević) könnte auch Putin nach Den Haag bringen, warnt Strelkow. 

Strelkow und die anderen Gestalten der abtrünnigen Regierung in Donezk und Lugansk haben zum wiederholten Male an den Kreml appelliert, die Separatisten im Kampf gegen den “Anti-Terror-Einsatz” der Ukraine auch offiziell militärisch zu unterstützen. Moskaus Abneigung gegen eine regelrechte Invasion außerhalb der Krim hält die paramilitärischen Gruppen der sogenannten Region “Neurussland” in einem geopolitischen und rechtlichen Zwischenstadium gefangen. In seinem Frust über diese Situation zieht Strelkow gegen Putin vom Leder und vergleicht ihn mit Milošević:

Что касается моих вчерашних заявлений, то еще раз хочу подчеркнуть: нисколько не преувеличил и не преуменьшил серьезность ситуации. Все тщательно взвесил: каждое слово, сказанное и написанное.

Всерьез полагаю (и имею к тому основания), что мы имеем дело не с откровенным “сливом” Новороссии президентом РФ, а с системным саботажем на уровне олигархата и высшего чиновничества. Потому как для Путина разгром юго-востока объективно смертельно опасен и как для лидера России, и просто как для человека – он означает безвозвратное начало “пути Милошевича” (“сдавшего” некогда в похожих обстоятельствах Боснию и Краину, а потом добитого в Косово и закономерно-показательно “уморенного” в Гааге).

Im Hinblick auf meine gestrige Stellungnahme möchte ich erneut betonen, dass ich die gegenwärtige Situation weder übertrieben noch kleingeredet habe. Es war alles sorgfältig abgewogen. Jedes Wort, das ich ausgesprochen oder aufgeschrieben habe.

Ich glaube ernsthaft daran (und zwar nicht ohne Grund), dass wir es nicht damit zu tun haben, dass Russlands Präsident das “neue Russland” vorsätzlich verrät. Es geht vielmehr um eine systematische Sabotage durch Oligarchen und Spitzenbeamte. [Ich spreche es aus], weil das Scheitern des Südostens [der Ukraine] für Putin zweifellos schicksalhaft wäre, sowohl in seiner Eigenschaft als russischer Regierungschef als auch menschlich. Dies würde einen unumkehrbaren Schritt auf dem abwärts führenden “Weg von Milošević” bedeuten (der einmal unter denselben Umständen Bosnien und die serbische Krajina “eroberte”; später ging beides im Kosovo auf und natürlich “endete” das Ganze für ihn bezeichnenderweise in Den Haag).

Strelkows Stellungnahme unterstützt eine Weltsicht, wie sie in der Redewendung “wenn Stalin das wüsste” [en] zum Ausdruck kommt. Darin spiegelt sich die vergebliche Hoffnung, dass die mittlere Ebene der Regierung und nicht etwa der Staatschef selber an den Problemen des Landes schuld ist. Eine Wahnvorstellung, die für Generationen die Einstellung der Russen gegenüber dem Kreml beeinflusst hat.

In einem Beitrag für LiveJournal hat Andrej Egorow Strelkows Kommentare über die in Putins Umfeld mutmaßlich verborgenen Saboteure analysiert: 

Мрачный сценарий рисует Игорь Стрелков. Но в какой-то альтернативной реальности вполне осуществимый. Известное мнение, что “Царь хороший, а бояре плохие” в очередной раз прозвучало от главы ополчения Донбасса.

Igor Strelkow malt Schreckgespenster an die Wand. Aber es ist durchaus nachvollziehbar in der Welt, in der er lebt. Die altbekannte Meinung, nämlich “Der Zar ist gut, nur die Bojaren sind schlecht” ist vom Anführer der Donbass-Milizen wiederbelebt worden. [Bojaren, de].

Egorow brachte den Vergleich mit Milošević gedanklich in eine andere Richtung, indem er zwischen Serbiens früherem Anführer und Strelkow eine Parallele zog: Er deutete an, dass beide Männer dummerweise ihren Glauben an Russland aufgegeben hätten.

Übersetzung: Slobodan Milošević. Von allen verlassen und betrogen glaubte er, für eine Hilfe durch seiner russischen Brüder sei es zu spät.

In den Kommentaren zu einem von Pawel Gubarew [de], dem Governeur der “Volksrepublik Donbass”, bei Facebook veröffentlichten Bericht steht: Es ist völlig klar, dass die zunehmende Desillusionierung hinsichtlich der russischen Unterstützung für die Separatistenarmee der Ostukraine bei einigen Leuten das Vertrauen zu Putin ziemlich strapaziert, während das Vertrauen der anderen unbeirrt bleibt.

Похоже много кто в РФ предал Президента

Es sieht so aus, dass einige Leute in Russland den Präsidenten verraten haben.

ввп слил Новороссию и это факт … бесполезно отрицать очевидное прикидываясь понимающими хитрые планы путина…их просто нет для Новороссии… а следом он сольёт и Россию…нужно смотреть правде в глаза…да в принципе Россия и сейчас оккупирована олигархами близкими ввп… он один из них а не герой одиночка борющийся за Россию…

WWP [Wladimir W. Putin] hat das “neue Russland” verraten und das ist eine Tatsache… Es ist nutzlos, das Offensichtliche zu leugnen, während man vorgibt, Putins listige Pläne zu durchschauen…  Derartige Pläne gibt es nicht… und er setzt seinen Verrat an Russland fort… Ihr müsst der Wahrheit ins Auge sehen… Ja, im Grunde ist Russland jetzt von den Oligarchen im Umfeld von WWP besetz … Er ist einer von ihnen und keineswegs ein einsamer Held, der für Russland kämpft.

Seit Strelkows Kommentaren zu Milošević hat Putin sich anscheinend sogar noch weiter von den Separatisten distanziert. In der vergangenen Woche, bevor er zu einem Treffen mit europäischen Spitzenpolitikern nach Österreich flog, drängte Putin das russische Parlament, Russlands Genehmigung zur Entsendung von Truppen in die Ukraine zu widerrufen. Gleichzeitig hat Alexander Borodai – der Regierungschef der Donezker Rebellen – einem mehrere Wochen umfassenden Waffenstillstand zugestimmt. (Wie gut jede Konfliktpartei das Ruhen der Waffen tatsächlich respektiert, ist auch eine Frage der öffentlichen Diskussion). 

Strelkow hat im Internet eine beträchtliche Anzahl von Unterstützern gewonnen. Das ist zum Teil auf Alexander Dugin [de] zurückzuführen, einem Soziologen der staatlichen Moskauer Universität und ein ausgesprochener Ideologe des Eurasianismus. (Der in der vergangenen Woche von seinem Arbeitgeber hinausgeworfen, aber letztendlich doch nicht gefeuert worden ist. Dabei ging es um einen Blogbeitrag, der die Ermordung bestimmter unerwünschter Personen in der Ukraine befürwortet hatte.) Dugin und seine Schüler sind unglaubliche Internetstrategen und in den sozialen Medien sehr geschickt darin, öffentliche Unterstützungen zusammenzutrommeln. Ihren Glauben, dass die Geopolitik ein neues Russisches Reich erfordert, verfolgen sie voller Inbrunst. In den letzten Monaten hat Dugin Strelkow unterstützt und zum Kampf gegen Moskaus “sechste Kolonne” aufgerufen, womit er die Bürokraten im Kreml meinte, von denen er glaubt, sie hätten den Sieg des “neuen Russlands” behindert. 

2 Kommentare

  • Auch ich war und bin es heute noch der Meinung,das Putin bzw Russland seinen Brüdern im Donez mehr Hilfe zuteil hätte kommen müssen.Man fühlt sich dort Alleingelassen und ist stark deprimiert.Putin sollte ganz schnell seine Politik dazu andern,damit dort nicht alles Umsonst war.Denke man immer an die Tausende Opfer welche für ihre Ideale gefallen sind.

    • maz hess

      Putin ist ein Mann der Energieindustrie (Gas, Öl, Nuklear etc.). Mit der Besetzung der Krim hat er sich 100% des riesigen Gasvorkommens der Ukraine angeeignet. Mit Donetzk und Lugansk hat er sich 90% des riesigen Kohlenvorkommens der Ukraine angeeignet. Die Ideale Putins heissen: Geld. Er hat jetzt schon alles was er wollte. Die Menschen sind Kollateralschäden. Sehr geehrter Herr Dieter Scheuer machen Sie daher keine Sorgen, denn er wird diese Vermögenswerte nicht mehr herausgeben.

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