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Klage gegen das ägyptische Innenministerium: Stoppt die Zensur sozialer Netzwerke

Kategorien: Nahost & Nordafrika, Ägypten, Bürgermedien, Internetaktivismus, Menschenrechte, Politik, Protest, Regierung, Technologie, GV Advocacy

afte

Am 17. Juni 2014 reichten Menschenrechtsgruppen und besorgte Bürgerinnen und Bürger eine Klage beim Verwaltungsgericht ein. Sie fordern, dass ein Beschluss des ägyptischen Innenministeriums zurückgenommen wird, der eine Ausschreibung zur Beschaffung von Software vorsieht, die es ermöglicht, soziale Netzwerke über das Internet zu zensieren sowie die Aktivitäten der Nutzerinnen und Nutzer dieser Netzwerke zu überwachen und zwar sowohl allgemein hinsichtlich des Meinungs- und Informationsaustausches als auch insbesondere hinsichtlich der Gespräche, der Nachrichten und Unterhaltungen, die geführt werden. Der Rechtsstreit läuft unter der Nummer 63055/68.

Die Organisationen, die diese Erklärung – in schärfsten Worten – unterzeichnet haben, verurteilen diese Maßnahmen als ungesetzlich und verfassungswidrig und dabei sei das Innenministerium dieser Verfassung ja verpflichtet. Zu den Maßnahmen gehört das Ausspionieren der Bürgerinnen und Bürger, ihre vollständige Zensur, für die es weder einen richterlichen Beschluss noch eine auf dem Gesetz gründende Rechtfertigung gäbe. Sie stellten eine massive Verletzung der unveräußerlichen Rechte und der Freiheiten aller dar, die die ägyptische Verfassung garantiere. Dazu gehören das Recht auf freie Meinungsäußerung, auf freien Informationsaustausch, das Recht auf Privatsphäre und das Recht auf Sicherheit.

Der Innenminister hatte unter dem Akteneintrag 22-2013/2014 die Beschaffung von Gütern ausgeschrieben, die als “Systeme zur Erfassung der öffentlichen Meinung” bezeichnet werden. Sie sollen im Rahmen des “Projekts zur Überwachung der Sicherheitsrisiken, die aus sozialen Netzwerken hervorgehen” Anwendung finden. Die Zeitung Elwatan veröffentlichte am 1. Juni 2014 eine Kopie der Vertragsbedingungen dieser Ausschreibungen auf ihrer Webseite. Der lückenhafte Scan der Seiten des Ausschreibungsdokuments, den die Zeitung öffentlich machte, beschreibt die technischen Vorgaben für ein System, das in die Strategie des Innenministeriums integriert werden soll, “um zu überwachen, Listen zu erstellen, zu analysieren und darüber hinaus [Maßnahmen] auszuführen, zu unterstützen, zu konfrontieren” und eine Reihe “destruktiven Gedankenguts” zu entkräften. In den Vertragsbedingungen nennt das Innenministerium Beispiele für “destruktives Gedankengut”:

 ازدراء الأديان والتشكيك فيها، وإثارة النعرات الإقليمية، والدينية، والعرقية، والعقائدية، والطبقية، بالإضافة إلى نشر الإشاعات المغرضة، وتحريف الحقائق بسوء نية، وتلفيق التهم، والتشهير والإساءة للسمعة، والسخرية المهينة واللاذعة، والقذف والسب […] استخدام الألفاظ النابية والعبارات الجارحة، والدعوة إلى الخروج على الثوابت المجتمعية، وتشجيع التطرف، والعنف والتمرد، والحشد للتظاهر والاعتصام، والإضراب غير القانوني، والإباحية والانحلال، والفسق والفجور، والتعريف بطرق تصنيع المتفجرات، وبتكتيكات الاعتداء، وإثارة القلاقل وأعمال الشغب، والدعوة للتطبيع مع الأعداء، والالتفاف على استراتيجية الدولة في هذا الخصوص، وتصيد الزلات، وتتبع العورات، واجتزاء كلام من سياقه للإساءة لمن صرح به، ونشر الخرافات،بالإضافة إلى الادعاء بحدوث معجزات”.

Respektlosigkeit und Argwohn gegenüber den Religionen, Anstachelung zu regionalen, religiösen, ethnischen, ideologischen und gesellschaftlich bedingten Unruhen, Verbreiten tendenziöser Gerüchte, bewusstes Verdrehen von Wahrheiten, Erfinden von Anschuldigungen, Diffamierung und Rufschädigung, beleidigender Sarkasmus und scharfe Kritik, Verleumdung und Beschimpfung […], das Benutzen von obszönen und verletzenden Ausdrücken, Aufruf zu Rebellion gegen die Pfeiler der Gesellschaft, Förderung von Extremismus, Gewalt und Revolte, Versammlung zu Demonstrationen und Kundgebungen, gesetzeswidrige Streiks, Pornografie und Verdorbenheit, Sittenlosigkeit und Promiskuität, Anleitung zur Herstellung von Explosionsmitteln und Angriffstechniken, Anstachelung zu Unruhen und Tumulten, Aufruf zur Normalisierung [der Beziehungen] mit den Feinden und das Umgehen der Strategie des Staats diesbezüglich, Suche nach Fehltritten und Hinterherjagen von Genitalen, das Herausnehmen von Gesagtem aus dem jeweiligen Kontext um dem Redner zu schaden, Verbreiten von Falschmeldungen und das Glaubenmachen von Wundern.

Die unterzeichnenden Organisationen gehen davon aus, dass die Beschaffung des geforderten Systems nicht nur die Privatsphäre von Millionen von Internetnutzerinnen und Nutzern bedroht, dadurch dass es versucht, private Telekommunikationsdienste wie Viber oder Whatsapp zu zensieren. Sondern es verletzt auch die öffentlichen Freiheiten dadurch, dass es zunehmend versucht, zu durchsuchen, was Individuen über soziale Netzwerke austauschen, was in der heutigen Welt zu einem Teil der Öffentlichkeit einer gesunden, freien und demokratischen Gesellschaft geworden ist.

Außerdem bedeutet die bloße Existenz eines solchen Systems eine gefährliche Verletzung der Grundlagen des Rechts, wie es in der Strafprozessordnung und internationalen Standards niedergeschrieben ist. Es erlaubt der Exekutive – wie im Innenministerium – die Gewalt über die Judikative und die Legislative. Wichtiger noch, es stellt eine Einschränkung der Rechte und Freiheiten von Millionen von Menschen dar, was sowohl unnötig als auch unangemessen ist in Relation zu jedweder rechten Intention, die dieses Projekt haben mag.

Das Sicherstellen der Privatsphäre in der Öffentlichkeit ist notwendig für ein stabiles und freies politisches Leben. Sie zu verletzen zeugt von einem totalitärem System. Das Innenministerium sollte sich an das Gesetz halten, zu dessen Durchsetzung es selber dient, anstatt es zu brechen aufgrund vager Beschuldigungen wie “Aufruf zu Rebellion gegen die Pfeiler der Gesellschaft” oder sinnloser Vergehen, die von der Polizei kaum geahndet werden können wie “Sarkasmus”, “Suche nach Fehltritten” oder “Verbreiten von Falschmeldungen”.

Die unterzeichnenden Organisationen fordern von den ägyptischen Behörden, dass sie dieses Vorhaben unverzüglich einstellen und ihren internationalen Verpflichtungen nachkommen, wie das Bewahren und Stärken der Menschenrechte, unter anderem dem Recht auf Privatsphäre, auf Informationsaustausch und der freien Meinungsäußerung, die in den Artikeln 17, 18 und 19 des Internationalen Pakts über bürgerliche und politische Rechte [1] spezifiziert sind.

Die unterzeichnenden Organisationen rufen mit dieser Erklärung alle, die von einer Zensur der sozialen Netzwerke betroffen sind, auf, der ersten Sitzung vor dem Verwaltungsgericht beizuwohnen und sich der Klage zum Schutz der Grundrechte auf Privatsphäre und freie Meinungsäußerung anzuschließen.

Die Unterzeichnenden:
1. Association of Freedom of Thought and Expression (AFTE)
2. Arab Digital Expression Foundation (ADEF)
3. Egyptian Initiative for Personal Rights (EIPR)
4. Cairo Institute for Human Rights Studies (CIHRS)
5. Hisham Mubarak Law Center (HMLC)
6. Arabic Network for Human Rights Information
7. Egyptian Foundation for the Advancement of Children Conditions
8. Centre for Egyptian Women Legal Assistance
9. New Woman Foundation
10. El Nadeem Center for Rehabilitation of Victims of Violence

Folgende Dokumente liegen der Klage zugrunde:
Konditionen der Ausschreibung zur Beschaffung [2] des Überwachungssystems [ar]
Konditionen der Ausschreibung zur Beschaffung [3] des Überwachungssystems [en]
Scan der Ausschreibung zur Beschaffung [4], der von Elwatan veröffentlicht wurde [ar]
Anklageschrift gegen das Innenministerium [5] wegen der digitalen Überwachung [ar]