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Heute sprach Wladimir Putin bei einem seit langem erwarteten Treffen mit Arkadi Wolosch [de] von Yandex, Dmitri Grischin von Mail.ru und anderen maßgeblichen Vertretern der Internetbranche. Für jeden von ihnen steht eine Menge Geld auf dem Spiel, das sie verlieren könnten, wenn die ständigen Angriffe der Regierung auf das Internet Russlands Konsumenten in die Arme der ausländischen Konkurrenzunternehmen, wie Google, treiben. Das “Forum Internetunternehmertum in Russland” wurde von der Agentur für Strategische Initiativen veranstaltet, einer im Mai 2011 gegründeten [regierungsfreundlichen] Non-Profit-Organisation, die angeblich bürokratische Hemmnisse bei der Unternehmensgründung abbauen soll.
Während Putins dritter Amtszeit als Präsident, die 2012 begann, hat die Regierung einen kontinuierlichen Strom neuer Regulierungen und Gesetze zu verantworten, die allein dem Zweck dienen, Internetfreiheiten zu beschneiden. Im August dieses Jahres tritt eine Reihe von “Anti-Terror”-Gesetzen in Kraft, die Blogger und Webseiten mit einer Menge neuer Verpflichtungen und Restriktionen belastet. Gerüchten zufolge gibt es am russischen Internethorizont weitere Gesetzesvorhaben, die insbesondere für Suchmaschinen, wie Yandex, neue Probleme aufwerfen würden.
Für die Geschäftswelt des RuNet [russisches Internet] sind die Zeiten hart geworden, nachdem Putin Ende April öffentlich verkündete, dass die CIA das Internet kontrolliere. Als er sich darüber beschwerte, dass der Westen russische Internetunternehmen unter Druck setzen würde, büßte der Aktienkurs von Yandex an der [Technologiebörse] Nasdaq 16 Prozent [en] ein.
Im Zuge dieser Entwicklungen und in Anbetracht der Tatsache [en], dass Putin sich seit mehr als zehn Jahren nicht mehr mit den Branchenvertretern des Internets getroffen hat, versprach die heutige Konferenz angriffslustig zu werden. Aber was tatsächlich geschah, war alles andere als das.
Auf dem heutigen Forum stellten die wichtigsten Personen des RuNet dem Präsidenten keine einzige direkte Frage zu den repressiven Internetgesetzen [Global Voices Bericht auf Deutsch], deren Anzahl sich in den letzten Jahren vervielfacht hat. Niemand fragte nach dem Gesetz, das “beliebte Blogger” mit den Massenmedien auf eine Stufe stellt. Kein Mensch thematisierte das Gesetz [Global Voices Bericht auf Deutsch], wonach Webseiten dazu gezwungen sein werden, die Nutzerdaten der jeweils vergangenen sechs Monate auf in Russland stehenden Servern zu speichern, sodass staatliche Vollstreckungsbehörden darauf Zugriff haben. Keine Silbe zu dem Generalstaatsanwalt, der jetzt dazu ermächtigt ist, “extremistische” Webseiten ohne Gerichtsbeschluss sperren zu lassen.
Derjenige, der das sensible Thema der politischen Internetfreiheiten noch am ehesten anzuschneiden versuchte, war Dmitri Grischin von Mail.ru. In ausgesucht höflichen Worten legte er der Regierung nahe, mit den Internetunternehmen intensivere Gespräche zu führen, bevor neue Regulierungen auf den Weg gebracht werden. “Häufig sind die Ideen, die den Regulierungen zugrunde liegen, durchaus vernünftig”, begann er seine Ausführungen, “aber unglücklicherweise passiert es manchmal, dass die Umsetzung, ganz allgemein ausgedrückt, viele Leute erschreckt”. Um dies zu vermeiden regte Grischin eine Art “automatischer Prozedur” an, die eine bessere Form des Gedankenaustausches bieten könne.
In seiner Antwort erklärte Putin, Regulierungen seien in einer “normalen Gesellschaft” unvermeidbar. Er erläuterte dem Publikum, dass die in Russland getätigten Internetgeschäfte mittlerweile so umfangreich wären, dass eine staatliche Aufsicht nicht länger vermieden werden könne. “Jeden Tag geht ein Drittel unserer Bevölkerung ins Internet”, sagte Putin, “und selbstverständlich muss diese Tatsache zum Gegenstand einer wie auch immer gearteten staatlichen Regulierung werden”. Anschließend behauptete der Präsident, dass die Regierung sich mit den maßgeblichen Vertretern der Internetbranche abgestimmt habe, bevor man Schwarzbücher mit Webseiten veröffentlichte, die angeblich kinderpornografisches Material, Informationen zur Förderung von Selbsttötungen, illegale Drogen und Terrorismus verbreitet hätten. “Wir sind zwar alle erwachsen”, bemerkte Putin, aber bitte “denkt an unsere Kinder”.
Auf die Ergebnisse dieses Treffens hat der Markt prompt reagiert [en]. Der Kreml, so scheint es, hat signalisiert, dass er den Aktionären nicht in die Tasche greifen will. Die Aktien von Yandex schossen auf ein Dreimonatshoch und glichen die im April erlittenen Verluste aus. Auch die Aktien der Mail.ru Gruppe erreichten an der Londoner Aktienbörse ihren höchsten Stand seit dem 1. April.
Internetfreiheit ist eine wunderbare Sache, aber anscheinend gibt es nichts, was Investoren mehr besänftigt als Bilder eines lächelnden Wladimir Putin im Kreise zustimmend nickender Geschäftsführer.