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Jen Psaki, Staatsfeind Nummer 1 in Russlands Internet

Kategorien: Ost- und Zentraleuropa, Russland, Ukraine, USA, Aktuelle Meldungen, Bürgermedien, Humor, Internationale Beziehungen, Kriege & Konflikte, Politik, RuNet Echo
Is US State Dept Spokesperson Jen Psaki Russia's new Enemy No. 1? Images mixed by Kevin Rothrock.

Ist die Sprecherin des US-Außenministeriums, Jen Psaki, Russlands neuer Feind Nr. 1? Fotomontage von Kevin Rothrock.

Russische Internetnutzer lieben es, sich über amerikanische Politiker lustig zu machen. In den vergangenen Jahren war Präsident Barack Obama zweifellos das beliebteste Ziel des RuNet [russisches Internet]. Aber jetzt gibt es in der US-Regierung eine neue Person, die eine Welle des Spotts über sich ergehen lassen muss. Russlands neuestes Opfer ist nicht Außenminister John Kerry, der sich monatelang mit seinem russischen Gegenüber, Sergej Lawrow, wegen der Spannungen in der Ukraine herumgestritten hat. Auch Senator John McCain ist es nicht; der Falke, der auf Kiews Unabhängigkeitsplatz Demonstrierende um sich versammelt hatte. Die Wahl fällt nicht einmal auf US-Vizepräsident Joe Biden, dessen Sohn ein Mandat im Aufsichtsrat des größten privaten ukrainischen Gasunternehmens angenommen hat. 

Es ist eine weit weniger bemerkenswerte Persönlichkeit: Die Pressesprecherin des US-Außenministeriums, Jen Psaki [1] [en].

Als die ukrainische Krise ihren Anfang nahm, hat Psaki die Hauptlast des Antiamerikanismus im RuNet auf sich genommen, indem sie in zahlreichen, digital bearbeiteten, Bildern [2][ru] und Videos [3][ru] als Motiv herhalten musste. Psaki erlangte für ihre täglichen Pressekonferenzen traurige Berühmtheit: Sie offenbarte gewisse Kenntnislücken, verhedderte sich in wirren Erklärungen und reagierte auf die Fragen einer Korrespondentin von Russia Today (RT [4]) [de] äußerst gereizt [5] [en]. Auf der Webseite von RT zeigt eine Sammlung von Videoausschnitten [6] [en] Psakis “peinlichste Fehlschläge”. Dort werden Aufnahmen aus ihren Pressekonferenzen gezeigt, die bei den Internetznutzern für Spott und Kritik gesorgt hatten.

Zwei der von RT dokumentierten Zwischenfälle erfreuen sich im Internet besonderer Beliebtheit. Am 12. Mai brandmarkte [7] [en] Psaki die Praxis des “Wahlkarussells [8]” [en] beim Referendum der Separatisten in Donezk und Lugansk. Als ein Reporter sie darum bat, diesen Begriff zu erklären, war Psaki jedoch nicht dazu fähig. (Russen sind verständlicherweise mit dieser Form des Wahlbetrugs vertrauter, worüber bei den Parlamentswahlen des Jahres 2011 ausführlich berichtet wurde).

Die westlichen Medien haben Psakis Ausrutscher weitgehend ignoriert, aber russische Nachrichtenagenturen werten die Geschichte als Beweis für die Unfähigkeit der US-Regierung.

Am 10. April [9] [en ]hatte Psaki sich versprochen und sofort korrigiert, als sie Energieströme in Europa beschreiben wollte. 

And what that means is there are flows of gas, of natural gas I should say, that go through, from Western Europe through Ukraine to Russia, and we—or I’m sorry, the other way—from Russia through Ukraine to Western Europe.

Und das bedeutet, es gibt Gasströme, also genauer gesagt Erdgas, das von Westeuropa durch die Ukraine nach Russland geleitet wird und wir – äh, Entschuldigung, umgekehrt – von Russland durch die Ukraine nach Westeuropa. 

Nochmals, für die russischen Medien war dieser Fauxpas ein willkommener Beweis für die Ignoranz des [amerikanischen] Außenministeriums hinsichtlich der russischen Beziehungen zu Europa.

Im russischen Internet hat Psaki als Person des öffentlichen Lebens ein Eigenleben entwickelt. Ganz unabhängig davon, was Psaki tatsächlich gesagt hat, kursieren frei erfundene Stellungnahmen, die einige Blogger in die Welt gesetzt haben, um zu illustrieren, wie die Pressesprecherin auf bestimmte Nachrichten reagiert haben könnte. Eine dieser Parodien [10] [en] beschreibt Psakis Reaktion auf Russlands Sieg über die Vereinigten Staaten bei den Eishockey-Weltmeisterschaften [11] [de] der Herren 2014. 

Этот матч не имел ничего общего с настоящим хоккеем. В 21 веке нельзя играть в хоккей так, как будто на дворе век 20-й. Имперские амбиции сборной России наглядно продемонстрированы в самих методах ведения игры, как это было в худшие годы существования СССР.

Mit richtigem Eishockey hatte dieses Spiel nichts zu tun. Im 21. Jahrhundert kann man Hockey nicht so spielen als wäre man noch im 20. Jahrhundert. Das russische Team demonstrierte seine imperialistischen Ambitionen in einer völlig unverfrorenen Art und Weise, ganz wie in den finstersten Zeiten der UdSSR. 

Mehrere russische Medienhäuser haben diese Stellungnahme nachgedruckt [12][en] und dabei versäumten sie es manchmal, darauf aufmerksam zu machen, dass der Text frei erfunden ist.

Andere haben behauptet, dass Psaki von europäischer Geografie keine Ahnung hat. 

[13]

In the event of a Belarusian invasion of Ukraine, the 6th US Fleet will immediately be deployed to the shores of Belarus.

Falls Weißrussland in die Ukraine einmaschiert, wird die 6. US-Flotte sofort an den Stränden Weißrusslands landen. 

“Psaki” ist für alles zum stigmatisierenden Sammelbegriff geworden, was den Russen an der US-amerikanischen Außenpolitik missfällt (besonders Amerikas Verwicklungen in der Ukraine). Und Russlands “Psaki-Manie” wächst und wächst. Am 2. Juni veröffentlichte die Kreml-treue Webseite Odnako einen Blogbeitrag mit dem Titel “Schöne neue Welt, oder das Psaki-Problem [14]” [ru]. In diesem Text zitierte der Autor den Dichter Wladimir Majakowski [15] [de], einen Vertreter des Futurismus, um dadurch zu beteuern, dass Jen Psaki, die “Mutter aller Narren” die absolute Krönung einer sowieso problematischen Sicht des Westens auf das Weltgeschehen ist. An anderen Stellen des Internets gibt es ein neues russisches Verb, es lautet : “psaknut [16]’” [ru] (oder “Psakiing”, abgeleitet von Psaki). Es bedeutet so viel wie “mit dem Anschein der Cleverness etwas Dummes sagen”.

Heute, am 5. Juni, geistern Berichte durch das RuNet, wonach das Außenministerium Jen Psaki gefeuert haben soll und die Position mit ihrer bisherigen Stellvertreterin Marie Harf [17] [en] besetzt werde. Aber anscheinend ist das nicht wahr. Die Gerüchte kamen vermutlich auf, weil Harf am 3. Juni damit begann, die täglichen Pressekonferenzen des Ministeriums zu leiten. Obwohl die Gerüchte falsch sind,  lassen sich Russlands Internetnutzer nicht davon abhalten, Twitter mit Kurznachrichten zu überschwemmen, in denen sie ihre Anteilnahme am Verlust dieser unterhaltsamen Person des öffentlichen Lebens bekunden. Es sind Tausende, die Kurznachrichten mit dem Hashtag “#SavePsaki [18]” [en] verbreitet haben, um aus Spaß so zu tun, als würden sie den Staatsfeind Nummer 1 im RuNet unterstützen. 

Sogar Russlands ständiger Vertreter bei der UN, Witali Tschurkin, hat sich heute einen Spaß daraus gemacht, Reportern zu erzählen [19] [ru], dass er “keine Ahnung habe, wo Psaki abgeblieben ist”, aber er hoffe, “sie werde bald wieder auftauchen”, weil er es “stets sehr interessant finde, ihr zuzuhören”.