Russlands Hashtag-Aktivismus in der Ukraine

kashtagtweets

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Der sogenannte “Hashtag-Aktivismus” hat sich zu einem wichtigen Merkmal politischer Diskussionen bei Twitter entwickelt. Während viele Experten die Wirksamkeit dieses Internetphänomens infrage stellen und es sogar als “Feierabendaktivismus“ abwerten, ist es wohl kaum zu bestreiten, dass Kampagnen wie #BringBackOurGirls [de] bei besonderen Themen durchaus öffentliche Aufmerksamkeit gewinnen. Jetzt wollen russische Aktivisten daraus Kapital schlagen, indem sie sich wegen der Festnahme zweier russischer Journalisten dieses westlichen Kästchendenkens bedienen. Diese Ausdrucksweise des Onlineaktivismus soll nun [auch in Russland] ähnlich hohe Wellen schlagen und für öffentliche Empörung sorgen.

Der regierungsfreundliche Fernsehsender LifeNews startete die Kampagne #SaveOurGuys, nachdem die ukrainische Nationalgarde am 18. Mai 2014 zwei Reporter festnahm: Marat Saischenko und Oleg Sidjakin. Der ukrainische Rat für nationale Sicherheit und Verteidigung beschuldigte die beiden Männer, in der Ostukraine eine “terroristische Gruppierung” (in den Augen anderer sind es “Separatisten”) aktiv unterstützt zu haben. In einem auf YouTube veröffentlichten Video [ru], das die Festnahme von Saischenko und Sidjakin zeigt, sind die beiden Reporter neben einem Flugabwehrgeschütz festgesetzt worden, das nach einem Bericht von Soldaten in ihrem Fahrzeug entdeckt worden ist. 

Ashot Gabreljanow, der Geschäftsführer von LifeNews, twitterte den allerersten Hashtag #SaveOurGuys:

Journalisten des Kanals LifeNews werden immer noch von Soldaten in der Ukraine festgehalten. Helft uns, darauf aufmerksam zu machen. Teilt den Hashtag so oft Ihr könnt! #SaveOurGuys

Die Nutzer haben darauf reagiert und diesen Hashtag seit dem 18. Mai mehr als 58.000 mal getwittert. Allein am ersten Tag dieser Aktion waren es fast 30.000 Tweets. Um ein Gefühl für die Größenordnung zu bekommen: #BringBackOurGirls schaffte in den vergangenen 30 Tagen mehr als 3,6 Millionen Tweets. Für den 19. Mai sind etwas mehr als 40.000 statistisch erfasst worden. Angesichts ihrer Popularität sollte es niemanden überraschen, dass Hashtag-Kampagnen künftig nicht allein auf Journalisten und Bürgerrechtler begrenzt sein werden. Michelle Obama hat sich für #BringBackOurGirls in ganz hervorragender Weise eingebracht und das Twitterprofil des russischen Außenmininsteriums zeigte ein Foto [seines offiziellen Emblems], das den Hashtag #SaveOurGuys präsentiert.

Während die Kampagne #SaveOurGuys im russischsprachigen Internet [RuNet] recht erfolgreich war, hat sie es nicht geschafft, bis in die Nachrichten der westlichen Medien vorzudringen. Nach wie vor steht dort größtenteils die Kritik an der Verfolgung von Berichterstattern durch prorussische Separatisten im Mittelpunkt, insbesondere die viertägige Haft des für VICE News arbeitenden Journalisten Simon Ostrowsky. Während das US-Außenministerium formal die Freilassung der LifeNews-Reporter verlangte, äußerte dessen Sprecherin Jen Psaki, im russischen Internet ein beliebtes Ziel der Entrüstung, öffentlich Zweifel an Saischenkos und Sidjakins Status als “Journalisten“.

Ein Plakat, das auf der gegenüberliegenden Straßenseite der US-Botschaft in Moskau hängt und auf dem steht: “Wir lassen unsere Leute nicht hängen”. 21. Mai 2014, Twitter.

Die Wahrnehmung, dass Amerika beim Thema Pressefreiheit mit zweierlei Maß misst, erklärt gut, warum LifeNews seine in den sozialen Medien geführte Kampagne nach westlichem Muster organisiert. #SaveOurGuys sieht nicht gerade danach aus, wirklich auf das Dilemma dieser beiden Journalisten aufmerksam machen zu wollen. Es geht wohl vielmehr darum, den Westen, also Europa und die Vereinigten Staaten, der Heuchelei zu überführen. (Diese Stoßrichtung passt hervorragend zu den Vorurteilen, die in der Redaktion von LifeNews gepflegt werden.) Der Versuch, den Westen bloßzustellen, war am 21. Mai vielleicht am deutlichsten zu erkennen, als jemand auf der gegenüberliegenden Straßenseite der Moskauer US-Botschaft ein übergroßes Plakat [ru] anbrachte, das den Hashtag und ein Bild der zwei festgehaltenen Journalisten von LifeNews zeigt. Viele westliche Medien reduzierten das Thema (sofern sie überhaupt darüber berichteten) auf die Frage nach dem tatsächlichen journalistischen Status von Saischenko und Sidjakin. Dagegen stellten die regierungsfreundlichen Medien Russlands die Angelegenheit als ein furchtbares Versäumnis der Vereinigten Staaten dar, die aus “nicht nachvollziehbaren Gründen” damit fortfahren würden, eine “illegale Militärregierung” zu unterstützen, die die Pressefreiheit mit Füßen tritt. 

Zieht man diese unterschiedlichen Weltanschauungen in Betracht, ist es kein Wunder, dass die #SaveOurGuys Kampagne im Westen nur wenig Resonanz fand, aber bei RT, LifeNews, NTV und anderen russischen Medien ein Ausmaß an Empörung hervorrief, das zu einem immer weiter angeheizten Selbstläufer wurde. Die Bestrebungen von LifeNews, die internationale Entrüstung über die Verschleppung von mehr als 276 Schülerinnen in Nigeria auf die Festnahme zweier russischer Journalisten umzulenken, die in der Ukraine mit Flugabwehrgeschützen erwischt worden sind, hat in der restlichen Welt allem Anschein nach nichts gebracht. Die #SaveOurGuys Kampagne ist beispielhaft für eine bestimmte Form des russischen Aktivismus. Was woanders sehr vertraut wirkt, sieht [in Russland] viel zu sehr nach einer tolpatschigen Wiederaneignung aus, als dass es irgendwo außerhalb des RuNet interessieren würde.

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