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Syrien: Der Aufstand mit den Augen der syrischen Frauen

Kategorien: Nahost & Nordafrika, Syrien, Bürgermedien, Frauen & Gender, Kriege & Konflikte, Menschenrechte, Politik, Protest

Alle Links in diesem Artikel führen, soweit nicht anders gekennzeichnet, zu englischsprachigen Webseiten.

Dieser Beitrag wurde zuvor von Syria Untold [1] veröffentlicht.

Der 15. März ist der Jahrestag des bekannten Aufstands [2] gegen die Gewaltherrschaft in Syrien. Einige Tage vor diesem Datum im Jahr 2011 demonstrierten bereits syrische Bürger vor den Botschaften Tunesiens, Libyens und Ägyptens, um die Mobilmachung, die sich seit Ende 2010 in der Region ausbreitete, zu unterstützen. Männer und Frauen standen ihren Nachbarn solidarisch zur Seite, da die Syrer ihre Kämpfe sehr gut nachempfinden konnten. Nach drei Jahren Aufstand schaut Syria Untold [3] auf Syrien mit den Augen dreier Frauen, die sich aktiv für Gerechtigkeit und Freiheit in ihrem Land einsetzen.

Banner from the campaign for the release of Syrian activist Razan Ghazzawi: "The regime does not fear those imprisoned, but those who do not forget them." Source: Syria Planet

Banner der Kampagne zur Freilassung der syrischen Aktivistin Razan Ghazzawi: “Das Regime fürchtet nicht die, die inhaftiert sind, sondern diejenigen, die diese nicht vergessen.” Quelle: Syria Planet

 

Ein Aufstand der Frauen?

Schon früh während des Aufstands haben Frauen Hand in Hand mit den Männern gearbeitet und Proteste sowie andere Initativen des zivilen Widerstands organisiert. Marwa Ghamian [4]war eine der ersten, die am 15. März 2011 verhaftet wurden, weil sie in der Öffentlichkeit während einer Demonstration im Hamidiya-Markt in Damaskus Freiheit gefordert hatte.

Jahrzehntelang waren freie Meinungsäußerung und Versammlungsfreiheit im Land verboten, so dass es keine Möglichkeit gab, sich in freie und unabhängige Diskussionen über irgendein Thema einbringen zu können, auch nicht über die Themen, die Frauen betreffen. “Mit Beginn des Aufstands habe ich gespürt, dass es einen Raum für persönliche und öffentliche Freiheit gibt, den ich nie zuvor in meinem Leben erfahren hatte,” erzählt Khawla Dunia. “Ich konnte meine Stimme erheben, das Wort ergreifen und meine Rechte in den Straßen von Damaskus und überall sonst einfordern.” 

“Das war so für Frauen mit unterschiedlichem Bildungsstand und aus verschiedenen sozialen Millieus, die auf allen Ebenen der Proteste vertreten waren,” ergänzt Razan Ghazzawi. 

Wenn auch Frauen während der friedlichen Phase des Aufstands eine Schlüsselrolle gespielt haben, waren sie weniger am bewaffneten Kampf beteiligt. “Als die Militarisierung um sich griff, spielten Frauen eine erheblich geringere Rolle und wurden weitesgehend auf humanitäre Hilfe beschränkt,” stellt Yara Nassir fest.

In den Gebieten, über die das Regime keine Gewalt hat, reicht die Teilhabe der Frauen von sehr aktiv bis sporadisch. Das hängt davon ab, wer das Gebiet kontrolliert. Die Machtverhältnisse in den Städten und Dörfern und ob eine zivile oder moderat islamische oder aber eine al-Qaida nahestehende Gruppe herrscht, machen einen großen Unterschied für die Bewegungsfreiheit der Frauen und ihre Möglichkeiten in Aktion zu treten.

Der Unterdrückung durch das Regime und neuer Zumutungen ausgesetzt

“Syrische Frauen werden weiterhin eingekeilt zwischen der Unterdrückung durch das Regime einerseits, und neuer Zumutungen andererseits,” fügt Nassir hinzu. “Die Situation ist dramatisch, da in den Gebieten, die vom Regime kontrolliert werden, Frauen weiterhin leiden, während sie in den befreiten Zonen aus den öffentlichen Bereichen verdrängt und von Entscheidungsprozessen ausgeschlossen werden. Frauen suchen immer noch einen zivilen Raum, in dem sie sich frei entwickeln und ausdrücken können. Dass die Revolution Frauenrechte nicht in ihrem Innersten mit eingeschlossen hat, ist Teil des Problems. Gleichberechtigung der Geschlechter stand nicht im Zentrum der Bewegung für einen Wandel.”

Die Einstellung muss sich ändern, stimmt Dunia zu. Das sei es eigentlich gewesen, was die Syrer auf die Straße gebracht habe. Aber unter den gegebenen Umständen sei es diesem Wandel nicht erlaubt gewesen, einzutreten.

“Oft werde ich an den Checkpoints wegen meiner Kleidung befragt, wo meine Familie sei und ob ich verheiratet bin oder nicht, Fragen, die Männer niemals gestellt bekommen,” betont Ghazzawi. “Als könnte ich mich nicht frei für mein eigenes Land einsetzen, dem Land, dessen Pass ich besitze.” Sie wirft ihren Mitstreitern vor, sowohl denen im bewaffneten als auch denen im friedlichen Widerstand, dass sie sich nicht gegen die Behandlung aussprechen, die Aktivistinnen in einigen befreiten Gebieten erfahren. “Von keinem meiner Kameraden habe ich bislang gehört, dass er öffentlich die Restriktionen für Frauen verurteilt,” beschwert sie sich.

Nassir hat in den befreiten Gebieten andere Erfahrungen gemacht: “Die gesamte Zeit über, die ich hier war, habe ich nie meinen Kopf bedeckt und ich wurde nicht ein einziges Mal darauf angesprochen, weder von der Bevölkerung noch von einem Soldaten.”

Hinsichtlich der verschiedenen Quellen, von denen Gewalt ausgeht, sind sich die Aktivistinnen einig, dass die Regierung letztlich verantwortlich sei für die Misstände im Land. “Es ist falsch, die Gewalt durch das Regime mit der Gewalt durch die Opposition zu vergleichen. Das Regime nimmt die Gesamtbevölkerung zum Ziel und führt Massenverhaftungen durch, foltert und tötet,” sagt Ghazzawi. 

Heute sehen sich Frauen gefangen zwischen dem Kampf gegen das Regime und anderen tagtäglichen Bedrohungen, wie beispielsweise durch extremistische Gruppierungen, die das Machtvakuum in den befreiten Gebieten füllen und Frauenrechte einfrieren. Außerdem fragen viele, ob es überhaupt der richtige Zeitpunkt sei, dies zu diskutieren. Das sei doch Luxus angesichts des Todes, des Hungers und der Entbehrungen vor Ort. Aber es gehe nicht nur um Frauenrechte, sagt Dunia, sondern um die Forderung nach Gerechtigkeit, Gleichheit und Bürgerrecht, was seit März 2011 Syrer auf die Straße gebracht habe.

Dieser Beitrag wurde zuvor bei Syria Untold [1] veröffentlicht.