Gründe für den wirtschaftlichen Abstieg Madagaskars

Nur noch wenige Wochen bis zur geplanten Wahl in Madagaskar und es stellen sich verschiedene Fragen zur Zukunft des Landes. Im ersten Teil der Serie zur Krise in Madagaskar haben wir die politischen Hindernisse [en] einer langfristigen Lösung der Krise untersucht. Nun werden wir den sozio-ökonomischen Abstieg der Insel vorstellen, die Gründe dafür (die gar nicht einmal so klar sind, wie manche denken), und mögliche Lösungen, die in Betracht gezogen werden sollten.

Le marché de Toliara - via wikimédia CC-NC-BY 3.0

Toliara-Markt – von Wikimedia CC-NC-BY 3.0

Politische Sackgassen und wirtschaftlicher Abstieg

Die politische Krise in Madagaskar und der abrupte wirtschaftliche Absturz des Landes hängen eng zusammen. Dennoch können die vier Jahre politischen Stillstandes nicht die chronische Armut in dem Land erklären. Die Folgen der politischen Krise für die Bevölkerung sind unverkennbar. Madagaskar ist momentan das ärmste Land der Welt; 90 % der Bevölkerung leben von weniger als 2 US-Dollar am Tag. Dieser Prozess findet bereits seit vier Jahren statt und setzt sich fort, zum Nachteil der Bevölkerung, die sich dafür einsetzen, dass die Diskussion von “Wer wird regieren?” zu “Wie kommen wir wieder aus dieser Krise heraus?” umschlägt. Das folgende Video [fr] beschreibt das:

Die Zahlen lügen nicht: Die Folgen der Krise für die madagassische Bevölkerung [fr] sind dramatisch und haben den Großteil der Menschen in die Armut gestürzt. Der Bericht der Weltbank zeigt [fr] die verschiedenen Bereiche, die von der Krise betroffen sind:

Le nombre d'enfants non scolarisés a peut-être augmenté de plus de 600.000. La malnutrition aiguë des enfants reste un problème critique. Dans certaines zones, elle a augmenté de plus de 50%. De nombreux centres de soins de santé ont été fermés [..] les recettes fiscales sont en baisse, la fraude fiscale a augmenté, et la capacité à maintenir le niveau des dépenses globales est remise en cause [..] 60% de la récolte de riz est menacée. La crise politique représente un obstacle à la mise en place d'une réponse appropriée.

Die Zahl der Kinder, die nicht zur Schule gehen, ist gestiegen, ungefähr um 600 000. Akute Unterernährung bei Kindern ist weiterhin ein kritisches Problem, in manchen Gebieten ist sie um 50 % gestiegen. Zahlreiche Gesundheitszentren wurden geschlossen [..], die Steuereinnahmen sinken, die Fälle von Steuerhinterziehung sind gestiegen und es ist fraglich, ob das Ausgabenniveau gehalten werden kann. 60 % der Reisernte sind in Gefahr. Die politische Krise ist ein echtes Hindernis auf dem Weg zu einer passenden Lösung.

Die Krise (und die, die dafür verantwortlich sind) haben sicherlich dem Land geschadet, aber die wahren Gründe für den wirtschaftlichen Abstieg des Landes und die Armut liegen nicht darin. Letztendlich litt das Land schon lange vor 2009 unter Armut.

Die Gründe der Krise und die absehbaren Folgen

Eine Studie [fr] von Mireille Razafindrakoto, François Roubaud und Jean-Michel Waschberger betrachtet ungefähr 50 Jahre wirtschaftliche Entwicklung in Madagaskar und versucht, die Gründe für die aktuellen andauernden wirtschaftlichen Schwierigkeiten herauszufinden. In dem Artikel “L'enigme et le paradoxe” (Das Rätsel und das Paradox) [fr] wird festgestellt, dass es keinen klar zu identifizierenden Gründe für den Abstieg des Landes gibt. Viel mehr sind die Zersplitterung der Klassen und die diffuse Trägheit, sich zu einer für alle offeneren Gesellschaft zu entwickeln, Gründe für die soziale Unzufriedenheit (Hier geht es zur kompletten Studie als PDF) [fr].

Courbe de croissance du PIB de différents pays africains via la présentation publique de l'étude

Das madagassische Rätsel: Abbildung der Entwicklung des BIPs verschiedener afrikanischer Staaten durch die öffentliche Darstellung der Studie

Tatsächlich konzentriert sich die Studie auf die natürliche Tendenz zur Zentralisierung und den Hang bestimmter Autoritäten in der madagassischen Gesellschaft, Macht zu personalisieren. Diese Art der Machterreichung, zusammen mit der wachsenden Abgeschlossenheit der Eliten verglichen mit dem Rest des Landes, hat die Tendenz zu politischer Instabilität und das Infragestellen der Institutionen verstärkt. Die Studie stellt fest [fr]:

Il résulte de ces éléments une coupure abyssale entre les élites et la population. Dans les grandes villes, un tout petit groupe de privilégiés bénéficie de conditions de vie qui les rapprochent des citoyens des pays développés (les “élites globalisées”) alors qu'une immense majorité de la population vit à un niveau de subsistance et reste enfermée dans des trappes de pauvreté. [..]Les paysans malgaches et bien des travailleurs du secteur informel ne sont en effet véritablement « capturés » ni par le système politique – en dépit de la légitimité (ou du soutien de façade) qu’ils accordent a priori au détenteur du Fanjakana, ni par le système économique.[..] Parmi les pays où les mêmes questions ont été posées, Madagascar est celui où la légitimité des institutions (justice, police, administration fiscale) apparaît la plus faible. Cette situation, particulièrement inquiétante, témoigne de l’ampleur de la détérioration de la confiance dans l’Etat.

Daraus folgt ein tiefer Graben zwischen den Eliten und dem Volk. In den großen Städten profitiert eine sehr kleine Gruppe Privilegierter von Lebensbedingungen, die denen der Bürger aus den Industriestaaten ähneln (die “globale Elite”). Der große Teil der Bevölkerung hingegen lebt am Rande des Existenzminimums und bleibt gefangen in der Armutsfalle. [..] Die madagassischen Bauern und Arbeiter im informellen Sektor sind weder “erfasst” durch das politische System – trotz der (angeblichen) Legitimität die sie vorab dem Hüter der Fanjakana (den traditionellen Normen und Werten) verleihen – noch durch das wirtschaftliche System. [..] Unter den Ländern, die mit den gleichen Problemen kämpfen, ist Madagaskar das Land, in dem die Legitimität der Institutionen (Justiz, Polizei, Steuerbehörden) am meisten in Frage gestellt wird. Diese besonders besorgniserregende Situation zeigt das ganze Ausmaß des schwindenden Vertrauens in den Staat.

Eine Studie der amerikanischen Forscherin Charlotte McDonald unterstützt die These, dass die Schere zwischen der Elite und dem Großteil der Bevölkerung weiter auseinander geht. Wenn man sich die madagassischen Bevölkerungszahlen anschaut, wird klar, dass ein großer Teil der Bevölkerung nicht einmal erfasst ist in diesen Berichten. Das kann sich nur negativ auf die Entwicklung [fr] auswirken:

un vaste nombre de Malgaches est inconnu par l’Etat et ces gens sont forcément desservis. Ce n’est pas une exagération de dire que sans un recensement régulier, Madagascar ne pourrait jamais atteindre son potentiel

Der Staat weiß gar nichts über die Existenz zahlreicher Madagassen und diese Menschen werden zwangsläufig unter den Tisch fallen. Es ist keine Übertreibung zu sagen, dass Madagaskar ohne eine anständige Volkszählung seine Möglichkeiten niemals ausschöpfen kann.

Eine Auswirkung der Machtübernahme durch die Elite und die Nichtbeachtung der breiten Bevölkerungsmasse zeigt sich darin, wie Minenprojekte in den letzten Jahren geplant wurden. Jean-Luc Hariniaina und Serge Zafimahova stellen die Hintergründe vor, wie die Mainland Mining Company Ltd in der Region von Mankara Titaneisen [fr] abbaut:

La société MAINLAND a commis d’énormes irrégularités suite aux manquements constatés quant à l’application des Cahiers de Charges Environnementales (CCE) du projet et certainement à certains dispositifs des lois et textes réglementaires malagasy en matière d’environnement et d’exploitation minière [..] Suite à l’implantation de la société MAINLAND, la population de Manakara a tiré la sonnette d’alarme. Il existe une mobilisation du peuple Antemoro dont les pouvoirs traditionnels ou coutumiers et des entités et personnes de bonne volonté à lutter contre les fraudes à l’endroit des richesses du peuple malagasy et de la région de Vatovavy Fito Vinagny. Cette opposition a été déjà adressée aux dirigeants du régime actuel de transition en forme de résolutions écrites. Cependant, elle n’est pas reçu favorablement par les tenants du pouvoir actuel.

Das Unternehmen ist verantwortlich für gravierende Unregelmäßigkeiten infolge der festgestellten Mängel, was die Anwendung der Umweltrichtlinien für das Projekt betrifft und verschiedene madagassische Gesetze und Bestimmungen bezüglich Umweltschutz und Bergbau. Nach MAINLANDS Ansiedelung in der Gegend hat die Bevölkerung von Manakara Alarm geschlagen. Die Menschen werden mobilisiert; die Antemoro-Bevölkerung, die Traditionen pflegt und Gruppen und Organisationen, die sich ernsthaft gegen diesen Betrug an der madagassischen Bevölkerung und der Menschen in der Region Vatovavy Fito Vinagny einsetzen. Dieser Widerstand wurde bereits in Form von schriftlichen Beschlüssen weitergeleitet an die aktuelle Regierung. Das jedoch wird dort nicht gerne gesehen.

Es ist daher wichtig, einen neuen Mechanismus zu installieren, der die regionalen Interessen beachtet. In einer Studie über den Zusammenhang zwischen Armut und Arbeit in Madagaskar stellen Epstein et al. fest, dass der Zugang zu einem sicheren Arbeitsplatz (d. h. keine Schwarzarbeit) einer der Schlüssel [en] zu einer nachhaltigen Entwicklung ist:

The study stresses the impacts on employment and incomes of improved access to credit by households, and by infrastructure investments in key sectors that can improve domestic linkages in the Madagascar economy. The study outlines policies that can be undertaken by the government and central banks, including loan guarantees, direct lending, and asset backed reserve requirements that can make financial assets more directly available to small producers and businesses.

Die Studie betont den Einfluss auf Anstellung und auf Einkommen, dadurch dass Haushalte einfacher Kredite bekommen und infrastrukturelle Investitionen in Schlüsselbreichen getätigt werden, um die Grenzen in der madagassischen Gesellschaft zu überwinden. Die Studie stellt Maßnahmen vor, die die Regierung und Zentralbanken ergreifen können, darunter Bürgschaften, Staatskredite und anlagengestützte Mindestreserveguthaben, um diese auch kleineren Produzenten und Unternehmen zugänglich zu machen.

Eine andere Studie von Mireille Razafindrakoto et al. zeigt auf, dass es wichtig ist, die Verbindung zwischen der Bevölkerung an der Basis und dem Staat, um eine Lösung zu entwickeln. Sie schrieben dazu [fr]:

L'usage de la violence par les factions d'élites assurerait la stabilité de leur pouvoir. Un tel schéma permettrait l'instauration progressive d'un ordre social stable, mais signifierait un abandon du processus démocratique. La seconde voie consiste en revanche à consolider les institutions citoyenne et stimuler la formation de corps intermédiaires pour (r)établir le chaînon manquant entre le sommet de l'Etat et la base [..] Cette seconde voie est selon nous possible, évidemment plus désirable, mais aussi plus difficile à emprunter et surtout nécessite du temps. Elle exige l'instauration d'un nouveau contrat social entre les acteurs en présence sur la scène malgache.

Der Gewalteinsatz der Elite würde deren Macht zementieren. Dieses Vorgehen würde die schrittweise Einführung einer stabilen Gesellschaftsordnung fördern, aber gleichzeitig ein Auflösen der demokratischen Prozesse bedeuten. Die zweite Möglichkeit würde darin bestehen, die Bürgerorganisationen zu stärken und die Bildung sogenannter Zwischeninstitutionen zu fördern, um das fehlende Bindeglied zwischen Staat und der Bevölkerung an der Basis (wieder) aufzubauen [..] Dieser zweite Weg ist in unseren Augen realisierbar, vielmehr sogar erstrebenswert, aber auch viel schwieriger und vor allem länger. Er erfordert einen neuen Gesellschaftsvertrag zwischen den momentanen Akteuren in Madagaskar.

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