Wo die Parodie endet und die Politik beginnt: Komiker stellen sich zur Wahl

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Homens da Luta on Optimus Alive music festival, 2011. Photo by José Goulão on Flickr (CC BY-NC-ND 2.0)

“Homens da Luta” auf dem Optimus Alive Musikfestival, 2011. Foto von José Goulão auf Flickr (CC BY-NC-ND 2.0)

Die bekannte Comedy- und Musikgruppe Homens da Luta (Männer des Kampfes) aus Portugal hat ihre Facebookseite mit mehr als einer halben Million Follower zum Onlineinstrument einer Wahlkampagne für die diesjährigen Kommunalwahlen verwandelt.

Die Gruppe hat es mit ihrer improvisierten Comedy und musikalischen Straßenperformances zu den Protesten gegen die Sparpolitik, die seit Anfang 2011 im Land stattgefunden haben, zu einem beachtlichen Bekanntheitsgrad gebracht und hat später, nach einem Auftritt beim Eurovision Song Contest 2011, noch weiteren Aufschwung erhalten. In ihren Auftritten parodieren sie Revolutionsparolen, ironisieren historische Persönlichkeiten und verwenden dabei den Begriff “Kampf” so oft es geht.

Jetzt kandidiert einer der beiden Brüder, die die Band leiten, Nuno Duarte oder “Jel”, dessen Spitzname auch als “Haargel” gelesen werden kann, als Bürgermeisterkandidat für Cascais, eine der reichsten Gemeinden Portugals und eine Küstenstadt nur rund 30 Kilometer von Lissabon entfernt.

Während die Band in Portugal die Massen mobilisiert und unterhält, ist für manche Kritiker wie João Silva Jordão der “falsche Widerstand” von Homens da Luta [pt] ein Symbol für “den Zerfall der politischen Klasse” und einer der Faktoren, die dazu beigetragen haben, dass “die Portugiesen in einem verwirrenden Zustand der Apathie” verblieben sind:

Um desses factores é precisamente a tendência para ridicularizar todos os que tentam ativamente questionar o sistema, e sobretudo, os que mostram raiva e verdadeira indignação contra um sistema político, financeiro e económico que é estruturalmente desenhado para manter a população subjugada e confusa. E o exponente maior desta tendência são, em Portugal, os ‘Homens da Luta’.

Einer dieser Faktoren ist die Tendenz, genau diejenigen lächerlich zu machen, die aktiv versuchen, das System in Frage zu stellen und insbesondere diejenigen, die echte Verärgerung und Empörung einem politischen, wirtschaftlichen und finanziellen System gegenüber zeigen, das strukturell darauf ausgelegt ist, die Bevölkerung in einem unterdrückten und verwirrten Zustand zu halten. Und die bedeutendsten Vertreter dieses Trends sind, in Portugal, die “Männer des Kampfes”.

Demokratie, parodiert

In the Mexican city of Xalapa, a cat candidate, Candigato (Candicat), didn't make it to the mayor's seat last June, but he gathered more than 160 thousands likes on his Facebook page.

In der mexikanischen Stadt Xalapa hat es ein Katzenkandidat, El Candigato Morris, im letzten Juni nicht auf den Bürgermeistersessel geschafft, hat dafür aber mehr als 160,000 “Likes” auf seiner Facebookseite bekommen.

Die Tendenz von exzentrischen Persönlichkeiten, sich zur Wahl zu stellen, ist nicht neu, aber ihr Erfolg mag durch die sozialen Medien beschleunigt werden.

Nehmen wir zum Beispiel den italienischen Komiker Beppe Grillo [de] und seine Partei, die Fünf-Sterne-Bewegung, die er 2009 gegründet hat und die 2013 bei den Parlamentswahlen 25,55 Prozent der Stimmen für die Abgeordnetenkammer erhalten hat. Oder Jón Gnarr[de], ein bekannter Komiker aus Island mit mehr als 72.000 Followern auf Facebook, der 2010 zum Bürgermeister der Hauptstadt Reykjavík gewählt wurde. Das humorvolle Kampagnenvideo der von ihm gegründeten Partei, The Best Party, hat sich auf YouTube wie ein Lauffeuer verbreitet.

In Brasilien haben 2012 mehr als 50 Clowns für die Kommunalwahlen kandidiert. Diesem Phänomen folgte die Wahl des beliebten Clown-Musikers Tiririca auf einen Sitz im Kongress mit “mehr Stimmen als jeder andere Kandidat bei den Wahlen von [2010]”, wie die BBC berichtete. Sein Name wurde weltweit zu einem Trendthema [pt] auf Twitter und das Video seiner Wahlkampagne wurde auf YouTube mehr als 6,8 Millionen Mal gesehen. Er setzte auf Twitter (@tiririca2222, heute mit 209.414 Followern) und Facebook (heute ca. 61.000), um seine politischen Slogans zu verbreiten, wie zum Beispiel:

O que é que faz um Deputado Federal? Na realidade eu não sei. Mas vote em mim que eu te conto. Vote no Tiririca, pior do que tá não fica.

Was macht ein Abgeordneter? Ehrlich, ich weiß es nicht. Aber wählen Sie mich und ich werde es für Sie herausfinden! Wählen Sie Tiririca, es kann nicht schlimmer werden.

Ein gemeinsames Merkmal dieser besonders komischen Kandidaten ist ihr großer Erfolg in den sozialen Medien -sogar noch bevor sie zu normalen politischen Akteuren werden. In der Tat ist es so, daß ihre Popularität im Netz oft von Parteien als attraktiv empfunden wird, sodass diese sie im Gegenzug dazu einladen, gemeinsam zu kandidieren, wie es bei Homens da Luta und dem Angebot der Portugiesischen Arbeiterpartei (PTP, auf Portugiesisch) der Fall war.

Ein Post auf der Webseite Plox spricht von diesem Phänomen [pt] in Brasilien und betont dabei die Zugehörigkeit Tiriricas zur Republikanischen Partei so:

pois um bom candidato é um “puxador” que além de se eleger poderá render mais cadeiras legislativas para a legenda e, assim, ajudar a eleger colegas do partido. O Partido Republicano (PR), de Tiririca, é uma das siglas mais incentivadoras do humor na política.

da ein guter Kandidat ein “Anzieher” ist, der außer sich selbst wählen zu lassen auch mehr Sitze in der gesetzgebenden Versammlung für die Fraktion erzielen und so seinen Parteikollegen zur Wahl verhelfen kann. Die Republikanische Partei (PR) von Tiririca ist eines der Parteikürzel, das Humor in der Politik am meisten fördert.

Gesellschaft des Spektakels 2.0

Brasilienanalysten zufolge, die von der BBC zitiert werden, spiegelt der Anstieg der Popularität dieser Art von prominenten Wahlkandidaten unter Umständen die Enttäuschung gegenüber herkömmlichen Politikern wider. Tatsache ist, dass politische Prozesse heutzutage von hitzigen Kampagnen angefacht werden und in den neuen Agoras [de] der heutigen über-vernetzten Welt stattfinden: in den Social Media.

Das Thema wurde in einem Seminar angesprochen, das von der Cásper Líbero Fakultät in São Paulo zum Thema “Kommunikation und Politik in der Gesellschaft des Spektakels” organisiert wurde (bezugnehmend auf Guy Debords Die Gesellschaft des Spektakels [de] (1967), eine Kritik an der Gesellschaft als bloße passive Zuschauer “die von spektakulären Bildern betäubt werden”).

Im Seminar Wahlkampagnen und politische Prozesse in der Gesellschaft des Spektakels [pt] von 2012 argumentierte [pt] der Wissenschaftler Synésio Cônsolo Filho, dass:

nas redes sociais virtuais a comunicação assume um caráter imagético, marcado pelo entretenimento e dispersão de ideias

Kommunikation in virtuellen sozialen Netzwerken eine abbildende Rolle spielt, gekennzeichnet von Unterhaltung und der Verbreitung von Ideen

Der Blogger Marcelo Ariel aus Santos im Staat von São Paulo stellte auch eine Verbindung [pt] zwischen der Spektakularisierung des Wahlprozesses und des Wahlergebnisses in seiner Region her:

Nenhum dos candidatos discutiu a fundo o ‘mito da governabilidade’, modos de neutralizar o tráfico de influência e o clientelismo, de superar a ‘política de eventos’ e o pior, cada um dos candidatos se apresentou como um evento em si mesmo.

Keiner der Kandidaten hat tiefgründig Themen wie den ‘Mythos der Regierbarkeit’, die Wege zur Neutralisation der Einflussnahme und der Gönnerschaft und Möglichkeiten zur Überwindung der ‘Politik der Events’ diskutiert und – noch schlimmer- jeder Kandidat/in hat sich selbst als Event dargestellt.

Dennoch sind in Portugal die Homens da Luta, oder Cascais na Linha (Cascais auf der Linie, oder in Ordnung- ein Wortspiel) etwas nüchterner geworden, nachdem ihre Facebookseite umbenannt wurde, um dem Wahlmotto der unabhängigen Kandidatur gerecht zu werden, und sie tun, was sie können, um ihre Wähler zu überzeugen, ohne dabei die heitere Stimmung zu vergessen. Kurzmeldungen auf ihrer Facebookseite ernten oft Hunderte von Reaktionen. Sie gestalten Kurzvideos, in denen sie ihre Ideen für die Stadt vorstellen und vermischen dabei Humor mit konkreten Vorschlägen, wobei sie versprechen, diese in die Tat umzusetzen, sobald sie gewählt werden.

Die Wahl wird am 29. September 2013 in Portugal stattfinden. Ca. 1.500 Kandidaten stehen für 308 Stadtbezirke zur Wahl.

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