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Russland: Umweltschützer nach Probenentnahme angegriffen

Kategorien: Ost- und Zentraleuropa, Russland, Bürgermedien, Gesundheit, Politik, Umwelt, Wirtschaft & Handel, RuNet Echo

Umweltschutz ist in Russland ein gefährliches Feld geworden – zumindest dort, wo industrielle Verschmutzung betroffen ist. Das liegt daran, dass Umweltschutz oft mit den örtlichen geschäftlichen Interessen kollidiert. Dies führt meist zu gewalttätigen Reaktionen. Ein Beispiel: Am 9. Mai wurde in Pervouralsk (ca. 40 km entfernt von Jekaterinburg, im Ural), eine Stadt mittlerer Größe, die stark industriell geprägt ist, ein Umweltschützer von Unbekannten angegriffen und schwer verletzt. Der Blogger, Stepan Tschernosubov, geht davon aus, dass der Angriff ein Gegenschlag sein sollte. Er hatte die Öffentlichkeit darauf aufmerksam gemacht, dass ein örtlicher Chrom-Hersteller Abwasser in den malerischen Tschussowaja-Fluss (siehe Archivfoto unten) leitet.

Ein Fels im Tschussowaja-Fluss. Eine Farbaufnahme von Prokudin-Gorsky von 1912. Public domain. Wikimedia Commons. [1]

Ein Fels im Tschussowaja-Fluss. Eine Farbaufnahme von Prokudin-Gorsky [2] von 1912. Public domain. Wikimedia Commons.

Am 4. Mai erhielt Tschernosubov einen Hinweis auf eine illegale Abwasserzuleitung, die den Fluss blutrot färbte. Er fuhr hin, um sich das anzuschauen und Fotos zu machen. Was er fand, war ein leckendes Rohr. Aus diesem floss orangener Chemieschlamm in einen nahegelegenen Teich, welcher in den Fluss überlief. Tschernosubov beschrieb [3] [ru] diese Erfahrung in seinem LiveJournal-Blog:

Ощущается стойкий химический запах, в носоглотке возникли болезненные ощущения. […] А источник заполнения этого хим озера, как выяснилось, – сгнившая труба. Возможно её прорвало в праздники, но скорее всего она всегда была такой.

Ich spürte einen starken chemischen Geruch, der in meiner Nase und meinem Hals schmerzte. […] Wie sich herausstellte, war die Ursache für diesen Chemie-See ein defektes Rohr. Vielleicht ging die Leitung während der Ferienzeit kaputt, vielleicht war sie aber auch schon immer so.

[3]

Chemische orangene Flüssigkeit, die in einen nahen See beim Tschussowaja-Fluss fließt. Ein Foto von Tschernosubovs Blog.

Tschernosubovs Post wurde von dem lokalen Umweltschüzter Alexander Anikin bei Echo Moskwy verlinkt [4] [ru]. Die betroffene Fabrik, “Russian Chrome 1915 [5] [ru],” war über diese “Werbung” nicht sehr erfreut. Als Tschernosubov am nächsten Tag in Begleitung einer Gruppe Umweltaktivisten aus Jekaterinburg an der verschmutzten Stelle ankam, um Wasserproben zu nehmen, trafen sie fort auf einen privaten Sicherheitsdienst, der die Gruppe daran hindern wollte, in die Nähe des Wassers zu kommen [6] [ru]:

Die Umweltschützer, die Wasserproben entnehmen wollten, und Sicherheitskräfte stehen sich gegenüber. YouTube-screenshot, 23.05.2013. [7]

Die Umweltschützer, die Wasserproben entnehmen wollten, und Sicherheitskräfte stehen sich gegenüber. YouTube-screenshot, 23.05.2013.

Как и предполагали, они стали препятствовать сбору проб воды. […] Впоследствии при попытке оказать на нас физическое воздействие, чтобы отобрать взятые пробы, люди, позиционирующие себя сотрудниками охраны завода “Русский Хром 1915″ были остановлены моим предупреждением о возможном разливе собранных проб на их руки, лицо и тело.

Wie wir vermutet hatten, hinderten sie uns daran, Proben zu entnehmen. […] Später versuchten diese Leute (die von sich behaupteten, vom Sicherheitsdienst der Fabrik “Russian Chrome 1915″ zu sein), die Proben mit physischer Gewalt an sich zu bringen. Sie gaben erst auf, als ich drohte, das Wasser über ihre Hände, Gesicht und Körper zu schütten.

Die örtliche Polizei nahm daraufhin Tschernosubov und seine Begleiter fest, da der Chef des privaten Sicherheitsdienstes die Gruppe wegen “Diebstahl” der Wasserproben angezeigt hatte. Die Behörden ließen jedoch kurze Zeit später alle wieder frei. In dem gleichen Beitrag [6] [ru] beschrieb Tschernosubov, dass einer seiner Mitstreiter von einem örtlichen Zeitungsjournalisten darum gebeten wurde, die Umweltverschmutzung bei “Russian Chrome” nicht zu veröffentlichen. Dies könnte dem Bürgermeister von Pervouralsk schaden, der offenbar Verbindungen zu der Fabrik habe. Hier ist der Bericht [5][ru] der Fabrik selber über die Ereignisse vom 5. Mai:

[…] неустановленные лица в количестве 5 человек пытались проникнуть на территорию станции нейтрализации промышленных стоков ЗАО «Русский хром 1915». При себе имели бутыли, наполненные неизвестной жидкостью.

[…] Fünf Unbekannte versuchten, sich Zugang zu verschaffen zu der Abwasseraufbereitungsanlage von “Russian Chrome 1915.” Sie trugen Flaschen mit einer unbekannten Flüssigkeit mit sich.

Tschernosubovs Probleme hörten damit jedoch nicht auf. Am 9. Mai, wenige Tage nachdem er die Verschmutzung bei der örtlichen Polizeibehörde angezeigt [8] [ru] und so die ganze Sache ins Rollen gebracht hatte, bemerkte Tschernosubov bei einem Stadtbummel mit seiner Frau, dass er von mindestens vier Männern beobachtet wurde. (Seltsamerweise konnte er einen der Männer als einen Mitarbeiter des örtlichen Verbands von “Stadt ohne Drogen”, der Aktivistengruppe gegen Drogen von Evgeniy Roizman mit Sitz in Jekaterinburg, identifizieren.) Tschernosubov ging auf einen der Männer zu und fragte, warum sie ihm nachgingen. Was danach geschah [9] [ru] ist unglaublich:

В ответ он нанёс мне удар в лицо, затем появились ещё двое, которые подбежав заломали мне руки. В это время первый, […] начал наносить целенаправленные удары мне в голову. Когда я вырвался и нанёс ему удар, меня повалили и стали бить ногами те двое, которые держали мне руки. […] На очередную попытку встать один из нападавших достал пистолет и ударил мне рукоятью в голову. Я временно потерял сознание. […] По итогу я имею разбитую голову, зашитую двумя швами и выбитые верхние передние зубы.

Als Antwort schlug er mir ins Gesicht. Dann kamen zwei weitere Männer und zerrten meine Arme hinter meinen Rücken. Gleichzeitig begann der Erste […], meinen Kopf mit den Fäusten zu traktieren. Als es mir gelang, mich zu befreien und ihn schlug, warfen die beiden Männer, die mich hielten, zu Boden und traten auf mich ein. […] Ich versuchte wiederaufzustehen, aber einer der Angreifer zog eine Pistole und schlug mir mit dem dem Griff an den Kopf. Ich wurde kurz ohnmächtig […] Jetzt ist mein Kopf angeschwollen, ich wurde mit zwei Stichen genäht und meine oberen Schneidezähne sind auch weg.

Tschernosubov im Krankenhaus, nach dem Angriff. YouTube-Screenshot. 23.Mai 2013. [10]

Tschernosubov im Krankenhaus, nach dem Angriff. YouTube-Screenshot. 23.Mai 2013.

Als die örtliche Polizei zu der Schlägerei hinzukam, wies sich einer der drei Angreifer mit einer Polizeimarke aus, erzählt Tschernosubov, und die drei Männer wurden nicht festgenommen. Tschernosubov ist sich sicher, dass dieser Angriff eine Reaktion auf seinen Bericht über “Russian Chrome” war. Wenn dies tatsächlich der Fall war, war der Übergriff nutzlos; inzwischen ist die Katze aus dem Sack. Am 10. Mai nahmen Aktivisten von Greenpeace Russland eigene Proben aus dem Fluss und stellten fest, [11] [ru] dass der Chrom-Gehalt im Wasser 100 mal über der “maximal erlaubten Menge” lag. Natürlich ist dies nur eine einmalige Probe gewesen. Es war jedoch nicht das erste Mal, dass “Russian Chrome” mit Umweltverschmutzung [12] [ru] in Verbindung gebracht wird, aber das Unternehmen macht einfach ungestraft weiter. Vielleicht war nun der Übergriff auf Tschernosubov der berühmte Tropfen, der das Fass zum Überlaufen brachte, und endlich wird jemand bestraft werden. Selbst in diesem bestmöglichen Fall fällt es schwer, Tschernosubovs Erlebnisse als etwas anderes als einen Pyrrhussieg für russische Blogger und Aktivisten zu betrachten.