Spanien: Katalonien, ein neuer Staat in Europa?
Dieser Artikel ist Teil unseres Dossiers zum Thema Europa in der Krise.
Der Nationalfeiertag Kataloniens, La Diada Nacional, wird jedes Jahr am 11. September begangen, um der Niederlage der katalanischen Truppen 1714 während des spanischen Erbfolgekriegs zu gedenken. In Folge dessen wurde ein strenger Zentralismus in Spanien eingeführt und somit das Ende der politischen Autonomie Kataloniens besiegelt. In diesem Jahr standen die Feierlichkeiten im Zeichen eines historischen Wiedererwachens des Unabhängigkeitsgefühls, eine Tatsache, die sich in der Blogosphäre und den sozialen Netzwerken bereits immer deutlicher abgezeichnet hatte.
Die weitreichenden Folgen der weltweiten Wirtschaftskrise in Spanien und die neuen Pläne der Regierung hinsichtlich eines strikteren Zentralismus stellen die angespannte Beziehung zwischen Spanien und Katalonien auf eine harte Probe. Eine Meinungsumfrage vom Juni 2012 [ca] zeigt das 34 % der Befragten die Unabhängigkeit Kataloniens befürworten, 28.7 % ein föderales Spanien bevorzugen und 24.5 % regionale Autonomien (den Status quo) beibehalten wollen. Nur 5.7 % sind für einen spanischen Zentralstaat (6.3 % haben keine Antwort gegeben).
Anlässlich des Feiertages organisierte die Bürgerplattform Assemblea Nacional Catalana [en] (Asamblea Nacional Catalana, oder ANC, gegründet 2009) am 11. September unter dem offensichtlich separatistischen Slogan ‘Katalonien: ein neuer Staat in Europa’ eine Großkundgebung in Barcelona. Mit großer Beteiligung [en] wurde gerechnet.

“Cataluña, nuevo estado de Europa” (Katalonien, neuer Stadt in Europa). Plakat zur Großkundgebung am 11. September.
Ein Sturm in den sozialen Medien
Auf Twitter wurden unzählige Hashtags verwendet, die sich für die Unabhängigkeit Kataloniens aussprechen, und immer neue erschienen. In den letzten Wochen verwiesen die Hashtags direkt auf die Demonstration des ANC am Nationalfeiertag darunter unter anderem #11s2012 [ca], #11setembre2012 [ca], #marxaANC [ca] y #11sCAT9estat [ca].
Unlängst folgte eine Webplattform [ca], um alle Aktivitäten auf Twitter und Instagram zu kanalisieren, die mit den Aktivitäten am Diada Nacional zusammenhingen (auch auf englisch verfügbar), sowie #1balco1estelada [ca], eine Sammlung von Fotos der Nutzer [ca], die die Flagge der katalanischen Separatisten oder der Estelada, die von den Balkons hingen, zeigen.
Die Organisation Catalans al Món [ca] stellte für Katalanen, die weit weg wohnen und nicht nach Barcelona kommen konnten, eine Plattform zur Verfügung, um virtuell [ca] an den Demonstrationen teilnehmen zu können.
Verschiedene soziale und politische Krisen in Katalonien, sowie die stets belastete Beziehung zur spanischen Regierung waren Themen in den sozialen Netzwerken und im Internet während der letzten Monate. Im Folgenden eine kurze Zusammenfassung der aktuellen Polemiken, Debatten und Internetaktivitäten, die sich aus dem Konflikt zwischen Barcelona und Madrid ableiten.
Finanzkrise
Die Wirtschaftskrise beflügelte verschiedene Diskussionen und Initiativen im Internet. Die Twitter-Accounts @StopEspoli [ca] und @DèficitFiscal [ca] verfolgen die Entwicklung des Haushaltsdefizits in Katalonien [en] mit Blick auf Madrid (das heißt, den Unterschied zwischen dem Beitrag, den der katalanischen Steuerzahler an den Staat zahlt und den Investitionen des Staates in Katalonien).
Wähler und Aktivisten, die die Unabhängigkeit befürworten, tendieren dazu, das prekäre hohe Defizit als Hauptursache für die schwere Finanzkrise auszumachen. (Nach umfassenden Verhandlungen über den Vorschlag der wirtschaftlichen Eigenständigkeit Kataloniens musste die Regionalregierung die spanische Zentralregierung um wirtschaftliche Unterstützung [ca] bitten)
Hashtags wie #espolifiscal (Steuerraub) [ca] oder #espanyaensroba (Spanien raubt uns aus) [ca] dominieren die Diskussionen auf Twitter. Die Website espolimetre.cat (“Robómetro”) [ca] berechnet in Echtzeit das Haushaltsdefizit und steht auf Katalanisch, Spanisch, Englisch, Deutsch, Französisch und Italienisch zur Verfügung. Angesichts der Komplexität und Einzigartigkeit der Finanzkrise in Katalonien kann dieser Artikel nicht alle Zusammenhänge ausführlich erklären, daher empfiehlt sich ein Blick in den folgenden Artikel [en], den der Wirtschaftsexperte Xavier Sala-i-Martin auf seinem Blog veröffentlicht hat.
Eine der bekanntesten und erfolgreichsten Bürgerinitiativen, die in den letzten Monaten entstanden ist, ist die Bewegung ‘No quiero pagar’ (Ich möchte nicht zahlen), die sich dank des Hashtags #novullpagar [ca] wie ein Lauffeuer verbreitet. Alles begann im März 2012, als der Autofahrer Josep Casadellà i Turon [ca] ein Video von sich aufnahm, in dem er sich weigert, die Maut für die Autobahn AP-7 zu bezahlen, und damit gegen die unverhältnismäßige Privatisierung der Autobahnen in Katalonien im Vergleich zu dem Rest Spaniens protestiert.
Auf dem YouTube-Kanal von Novullpagar [ca], genau so wie auf Twitter, finden sich Videos von Nutzern, die ihre eigenen Aktionen des zivilen Ungehorsames auf den katalanischen Autobahnen filmen. Innerhalb der Bürgerbewegung hat sich schnell eine kohäsive Führung gebildet, die, in Vorbereitung auf die Diada, eine Aktion organisierte [ca], was wie sie hoffen eine große #novullpagar [ca] wird, denn diese Autobahnen finanzieren Infrastrukturprojekte in Spanien und füllen die Taschen der Politiker.
Kommunale Aktionen und militärische Bedrohung
Am 3. September haben die Gemeinden San Pedro de Torelló und Calldetenes [en] sich zu “territorios catalanes libres” (Freie Katalanische Gebiete) erklärt [ca] mit dem Ziel, Druck auf die katalanische Regierung auszuüben, damit diese die Unabhängigkeit aggressiv vorantreibt.
Wenige Tage zuvor, am 31. August, drohte Francisco Alamán Castro, Oberst der spanischen Armee, mit einer militärischen Intervention [ca], falls Katalonien seine Unabhängigkeit erkläre. Seine Ankündigungen, die er während eines Interviews mit der politisch weit rechtes stehenden Onlinezeitung Alerta Digital äußerte, lösten hitzige Diskussionen in der Blogosphäre aus. Viele forderten unter dem Hashtag #DenúnciaAlamán [ca] seine Amtsniederlegung und eine intensive Debatte [ca] drehte sich um den Artikel 8.1 der spanischen Verfassung von 1978, der besagt, das es die Aufgabe der Armee sei, die Souveränität Spaniens zu garantieren, seine territoriale Integrität zu verteidigen und die Verfassungsordnung zu gewähren.
‘Antikatalanismus’ im Internet
Seit einigen Monaten verfolgt die Initiative @Apuntem [ca] einen zunehmend feindseligeren anti-katalanischen Diskurs. Obwohl die genannten Nutzer nur eine Randgruppe sind, mit einigen wenigen Followern, vertreten sie mit ihrer Häufigkeit und (teils offener Gewalt) Intensität der markanten Tweets eine Kultur des offenen Hasses gegenüber den katalanischen Volk an den Tag, die alarmierend ist.
Ein bedeutender Fall ist der von Àlex Fàbregas [en], katalanischer Olympionik, der im Juli verkündete, er fühle sich mehr als Katalane denn Spanier und nehme nur für Spanien an den Olympischen Spielen teil, da er keine andere Möglichkeit habe (Es gibt ein spanisches Gesetz, das Athleten bestraft, die sich weigern, sich dem olympischen Team anzuschließen). Eine Flut an gewaltsamen Kommentaren erreichte Fàbregas — darunter auch Morddrohungen — und zwangen den Athleten seinen Twitter-Account zu schließen. Nutzer solidarisierten sich mit dem Sportler und kreierten als Reaktion den Hashtag #TotsSomÀlexFàbregas (Wir sind alle Àlex Fàbregas) [ca].
Erklärungsversuche der katalanischen Perspektive
In den letzten Monaten konnten die katalanischen Bürger verstärkt, den Kontext Kataloniens auf internationaler Ebene im Gegensatz zum dominierenden Diskurs aus Madrid erklären, wo im Allgemeinen die ausländischen Korrespondenten leben. Der englischsprachige Blog Col·lectiu Emma wurde als Antwort auf das verzerrte Bild über das katalanische Volk in der internationalen Presse gegründet.
Während der Feiern zum Nationalfeiertag veröffentlichte Col·lectiu Emma einen Essay in sechs Sprachen, um den sozialen Kontext Kataloniens den europäischen Nachbarn zu erklären. Auf Twitter wurden englische Hashtags zur Unterstützung der Unabhängigkeitsbestrebungen genutzt, wie zum Beispiel #Cataloniaisnotspain [Katalonien ist nicht Spanien] oder #FreedomForCatalonia [Freiheit für Katalonien]. Ersterer wurde von den Aktivisten auf Twitter genutzt, um eine Twitter-Aktion am 10. September zu organisieren [ca].
Dieser Artikel ist Teil unseres Dossiers zum Thema Europa in der Krise.
Diese Hashtags führen vorwiegend zu katalanischen Tweets, falls nicht anders angegeben:
- #IndependènciaJa (Unabhängigkeit jetzt)
- #tenimpressa (Wir haben es eilig)
- #AdéuEspanya (Tschüss Spanien)
- #FreedomForCatalonia (Freiheit für Katalonien) [en]
- #somimparables (Wir sind unaufhaltbar)
- #jasommajoria (Wir sind schon die Mehrheit)
- #marxem (Auf geht's)
- #totsjunts (Alle zusammen)
- #DiemProu (Wir sagen Schluss)
- #Cataloniaisnotspain (Katalonien ist nicht Spanien) [en]
- #NiUnPasEnrere (Keinen Schritt zurück)
- #EstatCatalà (Katalanischer Staat)
- #guanyarem (Wir werden siegen)
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