In den letzten Monaten wurde das kirgisische Internet von Diskussionen über die Notlage von Wanderarbeiterinnen überschwemmt, die in Russland arbeiten. Empörte Diskussionen in inländischen und internationalen Netzwerken entbrannten besonders durch ‘patriotische’ Videos, in denen männliche kirgisische Wanderarbeiter ihre weiblichen Landsleute befragen und sogar dafür schlagen, dass sie sich mit Bürgern anderer Länder abgeben. Der Auslöser für die Diskussionen war eine Serie von Artikeln, die über die russischen, kirgisischen und englischen Dienste der Website Radio Free Europe/Radio Liberty (RFE/RL) veröffentlicht wurden.
Im März 2012 erschien ein Videoclip auf dem kirgisischen Videohost Blive.kg, in dem eine Gruppe kirgisischer Männer ein Mädchen kirgisischer Herkunft verhören und sie beschuldigen, unmoralisch gehandelt zu haben, weil sie mit jungen Männern anderer Nationalitäten geredet hatte. Blive.kg hat das Video anschließend entfernt. Zwischen März und Juni haben die Blogger und Journalisten von RFE/RL und vor allem die kirgisische Journalistin Eleanora Beishenbek kyzy, ausführlich über das Thema berichtet. Ihre Anstrengungen gipfelten in einem Artikel [en] mit dem Titel ‘Kirgisische Wanderarbeiterinnen in ‘patriotischen’ Videos brutal angegriffen’, der einer der am meisten gelesenen Artikel der Seite im Mai war.
Einem der Blogger von RFE/RL, Amar Alibaev, zufolge gibt es andere Webseiten, die zahlreiche ähnliche Videos beinhalten, auf denen Männer, die ihre Gesichter verstecken, kirgisische Frauen beleidigen.
Wie Alibaev bemerkt [ru]:
После волны бурных реакций со стороны общественности на этот видеоролик, я с неприятным удивлением обнаружил,что в интернете есть достаточно видеороликов,где молодые люди из Кыргызстана в агрессивной форме издеваются над нашими девушками-мигрантками в России в силу наличия у них отношений с мужчинами других национальностей
Einem anderen Artikel zufolge zeigt [ru] ein Video eine Gruppe von Männern, die ein Mädchen dazu zwingen ihren Namen zu sagen und die Zuschauer über ihren Wohnsitz in Kirgisistan und Russland zu informieren. Andere Videos sind noch bösartiger: Mädchen werden zusammengeschlagen und mit Messern und Elektroschockern bedroht.
Unter dem Artikel “Nationalisten besprechen kirgisische Mädchen” schreibt [ru] ein anonymer User aus Kirgisistan:
Позор этих ублюдков,как они воспитали своих отморозков!?Патриотизм заключается не в насилии людей,тем более женщин,девушек.Итак жизнь девушки искалечена,вдобавок еще одно.Таких “патриотов надо”жестоко наказывать.А что если на месте этой бедняги оказалась бы сестра этих “патриотов”? Почему наши девушки не имеют права на свободу выбора? Кто эти “патриоты”,чтобы совершать правосудие?Это просто напросто невоспитанные,отсталые и падшие люди!!!Позор и еще раз позор!Изверги.
Die entsetzlichen Taten dieser “Patrioten” haben sowohl zuhause als auch im Ausland Aufmerksamkeit auf sich gezogen. Der Artikel über diese Situation wurde auf Radio Free Europe veröffentlicht, und viele Leser haben ihr Missfallen über die Taten der “Patrioten” geäußert. George aus den Vereinigten Staaten schrieb [en]:
If this was done to my sister or daughter, there would be blood spilt. This is the 21st century, time for the 13th century mentality to go. The actions of these men is criminal, and needs to be delt with as such. They have dishonored themselves and their country with their actions. Have proven themselves to be cowards.
Ein anonymer Kommentator reflektierte [en]:
“poor, insignificant, powerless fellows whose only purported illusion of power is humiliating a defenseless and helpless woman. Shame!”
In Kirgisistan hat der Begriff ‘Patriot’ viele Konnotationen; er wird mit jemandem assoziiert der bereit ist, die kirgisische Sprache zu verbreiten, für den Umweltschutz des Landes einzutreten oder die nationale Ehre auf eine andere Weise zu verteidigen. Während also die meisten kirgisischen Netzbürger sich einig waren, dass das Verhalten der ‘Patrioten’ bei weitem nicht ‘patriotisch’ waren, verteidigten andere ihre Handlungen, indem sie behaupteten, dass die in den Videos gezeigten Opfer Vertreter amoralischer Lebensstile seien, die oftmals Prostitution mit sich bringen würde und daher eine ‘Schande’ für die Nation darstellten.
Als Reaktion auf Alibaevs Blog schrieb [ru] Shumkar:
“Хочется отметить, что подержка этих джигитов диктуется вовсе не национализмом а пониманием мотивов действий этих людей. Давайте обратимся к истории древнего мира возмем древний Рим там упадок моральных принципов повлек за собой разрушение государства, Веками народы сохранялись храня целомудрие ограждая от растления своих единоплемеников так что те кто осуждает тех кто переживает и борется за моральное здоровье народа не думают о будушем народа и о мнении окружаюших народов которые видят позорные моменты создают мнение о кыргызах как о людях не имеюших стыда и чести”
Nach der ersten Welle der schockierenden Videos hat das Parlament eine Diskussion über ein Gesetz begonnen, das es Mädchen unter 22 Jahren verbieten soll, das Land alleine zu verlassen. Viele finden diesen Gesetzesvorschlag unnötig beschränkend, sodass die Initiative eingefroren wurde. Währenddessen unterstützen viele der in Russland wohnenden Wanderarbeiter die Patrioten und sind der Meinung, dass diese Art der Bestrafung der kirgisischen Mädchen eine angemessene Art ist ihnen beizubringen sich anständig zu verhalten.
Ein Kommentator, Nurbek (ein kirgisischer Name) aus Sahalin, Russland, schrieb [ru]:
Я бы говорил, правильно делают эти парни! Дело в том, что виноваты наши девушки…далее… гуляет со всеми и делает вид, что она мусульманка! Не которые ищут работу и как обычно переспят хозяином и другими! А не котором вообще слов нет! Уважайте наших жигитов и они будут, уважат вас и за вами… я тоже поймал пару девушки наших! и подхожу этим парням (не киргиз) и допрашиваю, они говорят что мы предложили а она без отказ!!! После этого вы вините наших жигитов?! Да есть хорошие девушки который уважают своих кыргызов, но, этого мало и очень очень …
Die Patrioten nutzen die Tatsache aus, dass die jungen Mädchen wohl kaum Anklage gegen sie erheben werden, aus Angst, dass ihre Verwandten von ihrer misslichen Lage erfahren und sich schämen. Es ist nicht bekannt, ob die Bewegung, von der man glaubt [ru], dass sie Zellen in Moskau, Sankt Petersburg, Novosibirsk und anderen russischen Städten hat, politische Unterstützung in Kirgisistan erfährt, doch der ‘patriotische’ Politiker Kamchibek Tashiev zögerte nicht, die männlichen Wanderarbeiter scharf zu kritisieren, als er von dem russischsprachigen Dienst von RFE/RL interviewt wurde.
Er drängt [ru] die russischen Behörden, die Täter der Angriffe in den Videos ihrer gerechten Strafe zuzuführen:
Никто не имеет права ограничивать свободу личности, запугивать и издеваться над кыргызскими девушками, что является не защитой чести, а позором. По этому поводу трудно что-то сказать об их действиях. Но в любом случае это является преступлением. К сожалению, среди мигрантов встречаются граждане, которые ведут неподобающий образ жизни. Но это не значит, что по отношению к ним можно проявлять насилие. Эту проблему можно разрешить объяснениями, поддержкой, а также путем защиты
Selbst wenn die “Patrioten” gefasst und zur Rechenschaft gezogen werden, werden kirgisische Frauen in Russland eine verletzliche Gruppe bleiben. Einem Bericht von RFE/RL zufolge zeigen [ru] Statistiken, dass zwischen 30 und 40 Prozent der kirgisischen Wanderarbeiter in Russland Frauen sind, im Vergleich zu 16% der usbekischen und 12% der tadschikischen Wanderarbeiter. Dazu kommt, dass viele dieser Frauen jung und unverheiratet sind und alleine durch das Land reisen. Von allen zentralasiatischen Wanderarbeitern in Russland haben die kirgisischen Wanderarbeiter das jüngste Durchschnittsalter.