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China: Haben soziale Medien die Regierung in der Bo-Xilai-Saga herausgefordert?

Kategorien: Ostasien, China, Bürgermedien, Ideen, Internationale Beziehungen, Medien & Journalismus, Meinungsfreiheit, Menschenrechte, Politik, Regierung, Technologie

Dieser Beitrag ist Teil unseres Dossiers Internationale Beziehungen & Sicherheit [1].
[Alle Links in diesem Artikel führen zu englischsprachigen Webseiten.]

Bo Xilai wird dargestellt als Ikarus, dem Charakter aus der griechischen Mythologie, der sich mit selbstgemachten Wachsflügeln der Sonne gefährlich näherte. Quelle: Beijing Cream. [2]

Bo Xilai wird dargestellt als Ikarus, dem Charakter aus der griechischen Mythologie, der sich mit selbstgemachten Wachsflügeln der Sonne gefährlich näherte. Quelle: Beijing Cream.

Politische Machtkämpfe, Mord, Korruption, sowie Spionage und diplomatische Konflikte – die Absetzung Bo Xilais aus der Führungsspitze der Kommunistischen Partei Chinas (KP) entfaltet sich als facettenreiches Ereignis. Die Affäre um Bo Xilai ist zudem ein gutes Beispiel für die störende Rolle, die soziale Netzwerke in der heutigen chinesischen Gesellschaft spielen. Trotz verschärfter Internetzensur haben Diskussionen in diesen Netzwerken [3] für internationale Aufmerksamkeit gesorgt.

In Anbetracht der für Oktober 2012 geplanten Neubesetzung des Spitzengremiums [4] [pdf] der KP besetzt die Bo-Xilai-Affäre die Titelseiten lokaler und internationaler Medien. Es wird weitgehend argumentiert, dass soziale Medien es der Regierung unmöglich gemacht haben die Geschichte zu begraben. Allerdings ist es bewiesen, dass auch die Regierung die sozialen Netzwerke zu ihrem Vorteil genutzt haben soll. Hat die Regierung also wirklich versucht Bo Xilais Geschichte zu verheimlichen? Haben soziale Netzwerke tatsächlich die Kontrolle der Regierung in Sachen Informationsfreiheit herausgefordert? Die fehlende Transparenz in der chinesischen Politik verhindert eine Antwort auf diese Fragen zu finden, aber sie sind ein Gedanke wert.

Fassen wir zusammen, wie soziale Netzwerke eine Offenlegung des Falles erzwungen und die Kontrolle der Regierung herausgefordert haben.

Februar 2012

1. Die ersten Gerüchte werden verbreitet

Wang-Lijun, der Vizebürgermeister und Polizeichef der Provinz Chonqing wird entmachtet. Trotz Zensur [5] vermehren sich auf chinesischen Mikroblogs die Spekulationen über seinen Verbleib. Die Gerüchte besagen, dass Wang in das US-Konsulat geflohen sei und dort politisches Asyl gesucht hat, nachdem er bei dem lokalen und prominenten Parteisekretär Bo Xilai in Ungnade gefallen war, der eine einflussreiche Führungsposition anstrebt. Möglicherweise denunziert Wang Bo Xilais Verwicklung an dem Mord des britischen Geschäftsmannes Neil Heywood [6].

2. Eine Erholungstherapie

Ein offizielles Statement auf der twitterähnlichen Internetseite Sina Weibo [7] gibt bekannt, dass Wang vorübergehend von seinem Amt abgelöst wurde und sich einer Art “Erholungstherapie” [8] unterziehen würde. Letzteres wurde schlagartig zum Internethype in China.

3. Wo sind die Zensoren?

Unterdessen bestätigt die chinesische Regierung auf der Seite Sina Weibo die Gerüchte, dass Wang das US-Konsulat betreten hat. Die Zensoren gestatten nicht nur das Diskutieren, sie treiben diese noch weiter an – ein verdächtiges Verhalten, finden Internetnutzer. Der Blogger Blogger C. Custer [9] von ChinaGeeks schreibt darüber:

Momentan befindet sich Wang gleich zweimal auf der Liste der Trending Topics […] die Suche nach Informationen zu der Person Wang Lijun bleibt unzensiert. Es ist also offensichtlich, dass Sina diese Affäre nicht verbergen will, daher stellt sich die Frage ob möglicherweise jemand bei Sina versucht den Ruf Bo Xilais zu zerstören?

März 2012

4. Erste Gerüchte werden bestätigt

Die offizielle Nachrichtenagentur Xinhua kündigt gleich zwei Veränderungen an, Wang sei dauerhaft von seiner Position abgelöst worden [10], und Zhang Dejiang würde Bo Xilai als Parteisekretär der Provinz Chonqing ersetzen [11]. Ein anderer Bericht bestätigt, dass Wang im US-Konsulat politisches Asyl gesucht hat.

5. Die zweite Welle an Gerüchten trifft ein

Inmitten der angespannten öffentlichen Diskussionen um Bo Xilais Parteiausschluss verbreiten sich online erneut Gerüchte [12] über einen angeblichen Putsch in Peking und eine Konfrontation zwischen dem Präsidenten Hu Jintao und Premier Wen auf der einen Seite, und ein Unterstützer Bos, Zhou Yongkang, auf der anderen.

6. Putschgerüchte verschärfen die Internetzensur

Mikrobloggingdienste wie Sina Weibo und Tencent Weibo [13] sperren gezielt Suchmaschinen [14]. Einige Tage nach dieser Sperrung greift die Regierung hart gegen die Internet-Gemeinde durch [15]. Sechs Menschen werden verhaftet und 16 Internetseiten geschlossen, weil sie „online Gerüchte verbreitet haben, die die öffentliche Ordnung beeinträchtige, die gesellschaftliche Stabilität gefährde und deshalb eine Bestrafung verdienten“ berichtete die Nachrichtenagentur Xinhua [16].

Im selben Bericht wird verkündigt, dass Sina Weibo und Tencent Weibo „kritisiert und angemessen bestraft worden sind“, die beiden Internetdienste untersagen für drei Tage das Kommentieren der Posts.

April 2012

7. Die Gerüchte werden wahr

Am 10.April veröffentlichte die Nachrichtenagentur Xinhua zwei separate Meldungen: Bo Xilais Entlassung aus seinem Amt [17] im Zentralkomitee der KP – Gründe dafür waren „ernsthafte disziplinäre Verstoße“; die zweite Meldung betrifft die angebliche Verwicklung seiner Frau [18] an dem Mord des britischen Geschäftsmannes Neil Heywood, als Motiv werden „ökonomische Interessen“ genannt.

Netizens sind verblüfft. Die Gerüchte [19] der letzten Monate, die ausschließlich im Netz zu finden waren, landen plötzlich auf den Titelseiten aller offiziellen Zeitungen. Jing Gao von Ministry of Tofu [20] schreibt:

Weibo-Nutzer Zhang Xingsheng schrieb: „Wir hatten die Anweisungen von ganz oben befolgt nie Gerüchte zu glauben oder diese zu verbreiten. Aber heute scheinen die Gerüchte wahr zu sein, und ich bin verwirrt! Glauben oder nicht glauben? Das ist die Frage“

Die 550 Millionen Nutzer chinesischer Mikroblogs [21] sind Zeuge der schleierhaften Informationsstrategie der chinesischen Regierung geworden. Online entstandene Gerüchte werden über Nacht für wahr befunden, von denselben offiziellen Medien bestätigt, die diese Gerüchte anfänglich zensiert und als Gefahr für die öffentliche Ordnung dargelegt hatten.

8. Politischer Machtkampf und Korruption

Die Regierung beharrt [22] standhaft darauf, dass der Abstieg Bo Xilais ein Kampf gegen die Korruption sei und nichts mit einem politischen Machtkampf zu tun hätte. Während Details über das finanzielle Vermögen der Xilais an die Öffentlichkeit gelangen, erhitzen sich die Gemüter [23] über die ungerechtfertigte Bereicherung der Parteioffiziere.

Die wachsende Debatte über Korruption in der Partei hat sensiblere Themen wie innenpolitische Machtkämpfe in den Berichterstattungen zur Seite gedrängt [24].
Jing Gao reflektiert darüber [20]:

Aber eine Sache steht fest. Als noch keine sozialen Medien existierten war die Regierung den Menschen nie eine Erklärung schuldig. […] Heutzutage nutzen mehrere Millionen Chinesen aktiv die Seite Sina Weibo, da kann die kleinsten politischen Gerüchte von Tausenden gehört werden, bevor die Internetpolizei eingreift.

Soziale Medien spielen in China eine wichtige Rolle in öffentlichen Diskussionen indem sie systematisch Vertuschungsversuche aufdecken. Es ist jedoch offensichtlich, dass die chinesische Regierung eine enorme Finesse in ihrem Umgang mit der Zensur bewiesen hat, dem Verbreiten und Blockieren von Informationen zu ihrem eigenen Vorteil, um eine öffentliche Meinung zu kreieren. Am Ende stellt sich die Frage, wer gewinnt wirklich? Haben es die sozialen Netzwerke tatsächlich geschafft, die Position der Regierung in Sachen Informationsfreiheit herauszufordern?

ISN logo [25]Dieser Beitrag und dessen Übersetzung ins Spanische, Arabische und Französische werden durch das International Security Network (ISN) als Teil einer Partnerschaft beauftragt, die nach Bürgerstimmen zu Internationalen Beziehungen und Sicherheitsthemen sucht. Besucht auch das ISN Blog [25] um weitere Artikel zu lesen.