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Arabische Welt: Kommunikationstechnologie in Zeiten der Revolution

Kategorien: Nahost & Nordafrika, Ägypten, Syrien, Bürgermedien, Internetaktivismus, Technologie

Alle Links in diesem Artikel führen, sofern nicht anders gekennzeichnet, zu englischsprachigen Webseiten.

Die arabischen Aufstände haben eine Debatte [1] über die Rolle der sozialen Netzwerke und mobilen Kommunikationstechnologien und ihren Beitrag zum Wandel [2] ausgelöst. Zu welchem Ergebnis man auch kommen mag – Aktivisten verwenden ein breites Spektrum neuer Technologien. In diesem Beitrag werden wir einige betrachten.

Die eigene Verhaftung mitteilen

Seit Beginn der arabischen Aufstände sind viele Blogger und Aktivisten verhaftet [3] worden. Allein in Syrien wurden in den vergangenen Monaten Rima Dali [4], Safana Baqleh [5], Ali Mahmoud Othman [6] und Razan Ghazzawi [7] verhaftet. Maikel Nabil Sanad [8], Alaa Abd El Fattah [9] und Amr Gharbeya [10] sind nur einige Namen von vielen, die in Ägypten inhaftiert wurden. Von Ländern wie Tunesien und Bahrain ist dabei noch gar nicht die Rede, oder von Vorfällen, bei denen Bloggern [11] oder Aktivisten [12] die Einreise nach Ägypten verweigert und sie am Flughafen von Kairo zum Verhör festgehalten worden sind.

Einige dieser Blogger und Aktivisten wurden später wieder entlassen; doch während ihrer Verhaftung hatten viele keine Zeit, ihren Anwalt und ihre Familie zu benachrichtigen. In dieser Situation spielt die Kommunikationstechnologie eine Rolle. Ramy Raoof [13], ein Mitarbeiter von Global Voices Advocacy, hat vor einiger Zeit über eine dieser technischen Lösungen berichtet: Etmasakt [14].

@RamyRaoof [15]: Unser Freund Mohamed Hussien(@7aloli [16]) hat diese Applikation http://bit.ly/Etmasakt [17] entwickelt, um Personen zu alarmieren, wenn du verhaftet wirst. #Egypt #Android

Etmasakt [18]

Mit Hilfe von Etmasakt können Kurzmitteilungen an mehrere Nummern (von der Familie, dem Anwalt, von Aktivisten etc.) sowie dein Standort bei der Verhaftung gleichzeitig versendet werden.

„Etmasakt“ ist Arabisch und bedeutet „ich wurde verhaftet”. Orlando Elkabeer hat in seinem Blog die Applikation beschrieben [19] [ar]; sie kann, wie gesagt, eine SMS an mehrere Nummern zusammen mit der genauen Standortbestimmung – anhand des GPS des Telefons – mit einem Klick versenden:

التطبيق يمكنك في حالة القبض عليك من ارسال رسالة لعدة أرقام تخبرهم فيها أنه قد تم القبض عليك ويرسل عنوانك بدقة بضغطة زر واحدة
Die Applikation erlaubt das Versenden einer SMS an Mehrfachnummern, die den Empfänger mit nur einem Klick über deine Verhaftung informiert und deinen Standort an sie sendet.

Etmasakt ist aber die nicht einzige Applikation dieser Art. Außerdem gibt es “Byt2ebed 3alia [20]” und “I'm Getting Arrested [21]“; letztere scheint älter zu sein, aber eine größere Anwenderbasis zu haben. Dass es verschiedene Applikationen gibt, die im Grunde das Gleiche leisten, lässt darauf schließen, dass ein klarer Bedarf dafür besteht.

Live Video-Übertragung

Nichts ist schlimmer, als einen wichtigen Vorfall mit der eigenen Kamera aufzunehmen und dann von den Sicherheitskräften verhaftet zu werden, die aber deine Kamera zerstören oder dich zumindest zwingen, deine Speicherkarte zu löschen. Deshalb ist Bambuser [22] ein häufig genutztes tool unter Aktivisten. Mit dieser schwedischen Applikation für Mobiltelefone kann man filmen und die Videos direkt vom Mobiltelefon aus hochladen, sie funktioniert, als hätte man eine Video-Übertragungsstation in der Hosentasche.

Viele Syrer haben Bambuser genutzt, bevor die syrische Regierung die Anwendung blockierte. Im Februar berichtete der Service auf seinem eigenen Blog [23], dass er in Syrien blockiert wurde:

Im Verlauf der vergangenen Wochen stieg die Anzahl der Bambuser-Übertragungen aus Syrien an mit harten Bildern von Bombardierungen, Opfern, Zerstörung und schrecklichen Zuständen in Feldlazaretten in Syrien.

Einige Live-Bilder, wie z.B. das von der Zerstörung der Ölleitung in Homs, wurden von großen TV-Sendern wie CNN, BBC, Al-Jazeera und SkyNews verwendet.

Wir glauben, dieses Bildmaterial war der Auslöser dafür, dass die syrische Regierung den Zugang zu bambuser.com gesperrt und die Möglichkeit unterbunden hat, live Videos mit Mobiltelefonen auf syrische 3G zu übertragen.

In Ägypten hat Tarek Shalaby seine eigene Verhaftung via Bambuser [24] mitgeteilt, und Aktivisten planten, diesen Dienst zur Beobachtung der Parlamentswahlen einzusetzen [25] – zumal dies internationalen Beobachtern nicht gestattet war. Während der ersten Tage der ägyptischen Revolution hatte die Regierung beschlossen, neben anderen Diensten auch Bambuser zu sperren [26], bevor sie die Entscheidung trafen, zwei Tage später das Internet gänzlich abzuschalten [27].

Andere Tools

Nancy Messieh von The Next Web hat ein Arsenal der wesentlichen mobilen Apps für Aktivisten [28] zusammengestellt. Die Non-Profit-Organisation Movements.org [29], die sich zum Ziel gesetzt hat, digitale Graswurzel-Aktivisten zu identifizieren, miteinander in Kontakt zu bringen und zu unterstützen und die für die Anwendung neuer Kommunikationstechnologien eintritt, führt Dutzende von Applikationen [30] auf, von der Open- Source-Textbearbeitung und Software für Audio- und Video-Bearbeitung bis hin zu Software für Entzifferung und Tunneling (der Konvertierung und Übertragung von Kommunikationsprotokollen).

Es gibt auch andere Applikationen, die weniger nützlich sind, wie etwa diese [31], die eine Bilddokumentation der ägyptischen Revolution versucht und die Fotos, die gemacht worden sind, in einer Bildergalerie auf das Mobiltelefon bringt.

Die Kehrseite der Automatisierung

Trotz der Nützlichkeit der oben genannten Applikationen kann die technologische Automatisierung auch ein Problem sein. Vor einem Monat erhielt der Aktivist Hossam El Hamalawy [32] eine Kurzmitteilung von Mostafa Sheshtawy [33], er sei verhaftet worden:

@3arabawy [34]: Leute, vor ein paar Min erhielt ich Textnachricht von @msheshtawy dass er verhaftet wurde. Ich habe ihn angerufen, er hat aber nicht geantwortet.

Man machte sich Sorgen um Mostafa Sheshtawy, bis sich später herausstellte, dass die Nachricht versehentlich abgeschickt worden war:

@msheshtawy [35]: Mir gehts gut Leute. Bin nicht verhaftet oder so. Hatte mein Telefon nicht bei mir. Tut mir leid Leute.

@msheshtawy [36]: Jemand hat auf das App geklickt, während ich geschlafen habe. Blöder Witz, wer immer das war, den mach ich fertig. Tut mit echt leid.

Und letztendlich verwenden auch Diktatoren, genau wie Aktivisten und Bürger, die neuen Technologien. Autoritäre Regime in der arabischen Welt bekommen reichlich Hilfe von amerikanischen Firmen [37], wenn es um Zensur und Bespitzelung von Demonstranten geht, die sich für Demokratie einsetzen. Letzten Endes ist die Technologie ein zweischneidiges Schwert; jede Seite nutzt sie für ihre eigenen Zwecke.