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Aserbaidschan: Enthüllungsjournalistin trotzt Erpressungsversuch

Kategorien: Zentralasien & Kaukasus, Aserbaidschan, Bürgermedien, Frauen & Gender, Medien & Journalismus, Meinungsfreiheit, Menschenrechte, Politik, Regierung

Dieser Beitrag ist Teil unseres Dossiers Eurovision Aserbaidschan 2012 [1].

[Alle Links sind auf Englisch, sofern nicht anders angegeben.]

Laut Freedom House ist die Lage in Aserbaidschan immer noch “katastrophal”, was die Meinungsfreiheit angeht [2]. Die Machthaber “verhaften weiterhin Journalisten und Blogger mit abweichenden Meinungen”. Doch wie eine unverhohlene Kritikerin der Regierung diesen Monat wieder feststellen musste, gibt es auch andere Methoden, Journalisten und Enthüllungsreporter zum Schweigen zu bringen.

Chadija Ismailowa, die für das Bakuer Büro von Radio Free Europe arbeitet, hat in der ölreichen Ex-Sowjetrepublik schon oft Korruptionsfälle auf hoher Ebene aufgedeckt. Nun hat sie einen anonymen Brief erhalten, in dem sich neben mit versteckter Kamera aufgenommenen Fotos auch ein Schreiben befand, das sie aufforderte, ihre Arbeit als Journalistin einzustellen – sonst würde ein intimes Video von ihr veröffentlicht werden.

Doch anstatt sich diesem Erpressungsversuch zu beugen, antwortete Ismailowa offen darauf, und zwar mit einer auf Aserbaidschanisch und Englisch verfassten Mitteilung auf Facebook [3]:

Darin steht, wenn ich nicht aufhöre zu arbeiten, werde ich furchtbar blamiert werden. Diese Drohung überrascht mich nicht. Ich arbeite schon lange als Enthüllungsjournalistin und habe auch Nachforschungen über die geheimen Geschäfte von Präsident Iham Alijews Familie angestellt, Korruptionfsfälle auf höchster Ebene nachgewiesen und die Offshore-Aktivitäten von Mitgliedern des Regierungsclans offengelegt.

Derzeit arbeite ich an mehreren Enthüllungsberichten. Ich habe den Regierungsbehörden Anfragen über die Geschäfte des Regierungsclans geschickt.

[…]

Ich möchte nochmals betonen, dass dies nicht das erste Mal ist, dass Journalisten auf diese Weise erpresst werden. Die Gründe für diese Erpressungen sind der Öffentlichkeit wohlbekannt. Es geht darum, Menschen, die kein Blatt vor den Mund nehmen, zum Schweigen zu bringen. Hinter diesen Taten stehen schwerwiegende Verbrechen.

Auch auf einem nur im Internet verfügbaren unabhängigen Fernsehsender äußerte sich Ismailowa klar und deutlich. “Diese Praxis [der Einschüchterung von Journalisten] muss aufhören,” so wird sie von RFE/RL zitiert [4]. “[…] Und ich denke, das Mindeste, was ich tun kann, ist weiterzumachen und mich zur Wehr zu setzen.”

Als das intime Video trotzdem veröffentlicht wurde, nahm die Unterstützung für die angegriffene Journalistin zu. Unter anderem sprachen sich Abgeordnete des Europäischen Parlaments für sie aus [5], ebenso wie die angesehene aserbaidschanische Pressefotografin Rena Effendi [6]:

[…] Ich habe eine bestürzende Nachricht von einer meiner Kolleginnen erhalten, der Enthüllungsjournalistin Chadija Ismailowa, die heute von der Regierung erpresst wurde. Chadija Ismailowa ist eine hochkarätige Journalistin, sehr professionell und absolut unbestechlich! Seit Jahren stellt sie Nachforschungen über die Korruption in Regierungskreisen an, ein Thema, das niemand sonst in Aserbaidschan so eingehend zu behandeln wagt wie sie. Um ehrlich zu sein, wenn ich an den grauenvollen Zustand der Zivilgesellschaft in Aserbaidschan denke, mache ich mir Sorgen um Chadijas Sicherheit. Ich hoffe, dass ihr nichts passiert und dass sie ihre wichtige Arbeit fortsetzen wird. Bitte helft alle mit, diese Angelegenheit bekannt zu machen […]

Und genau das tat [7] Emin Milli, einer der beiden “Eselblogger” [weil sie in einem Video als Esel verkleidet die Regierung parodiert hatten, A.d.Ü.], die unter Auflagen aus dem Gefängnis entlassen wurden [8], nachdem sie in einem von internationalen Organisationen als politisch motiviert eingestuften Prozess verurteilt worden waren.

Chadija Ismailowa, eine der mutigsten und professionellsten Journalistinnen in Aserbaidschan, ist von dem autoritären System dieses Landes erpresst worden. In den letzten Jahren hat sie Nachforschungen über die dubiosen Geschäfte der Präsidentenfamilie angestellt. Dies ist ein Tabuthema in Aserbaidschan, über das viele Journalisten und Bürger nicht einmal offen zu sprechen wagen.

[…] In einer von Wikileaks veröffentlichten Depesche berichten amerikanische Diplomaten, der Präsident von Aserbaidschan habe Ismailowa bei einem Treffen als “STAATSFEINDIN” bezeichnet. Es ist wichtig, dass die internationale Gemeinschaft und Journalisten in der ganzen Welt sie jetzt unterstützen, diesen schändlichen Erpressungsversuch verurteilen und Präsident Ilham Alijew persönlich dazu auffordern, ihre Sicherheit in Aserbaidschan zu garantieren.

Die aserbaidschanische Regierung streitet jede Beteiligung an dem Erpressungsversuch ab, doch Blogs wie das South Caucasus Diary lassen sich davon nicht überzeugen [9]:

Der aktuelle Fall kam keineswegs überraschend. Am 23. Februar 2012 hat die beliebte Dokumentarfilmreihe “Filthy Rich” [“Stinkreich”] von CNBC eine Folge über den durch zwielichtige Geschäfte reich gewordenen aserbaidschanischen Präsidenten Ilham Alijew und dessen Familie ausgestrahlt. Unter den Journalisten, die bei der Vorbereitung des Films und dem Sammeln von Beweismaterial geholfen haben, war auch Chadija Ismailowa.
[…]
Muss man sich da noch fragen, wer das Video in Auftrag gegeben hat?

Eine aserbaidschanische Jugendgruppe hat sogar mit einer Warnung an Eurovision-Touristen reagiert: Sie sollten in Hotelzimmern oder Ferienwohnungen keinen Geschlechtsverkehr haben [10] [ru], da sie heimlich gefilmt werden könnten. Auch der umstrittene aserbaidschanische Autor Ali Akbar kommentierte die Angelegenheit [11] [az] und stellte einen Bezug zu einem ähnlichen Vorfall mit einem anderen Journalisten her.

İqtidar yenə öz sevimli məşğuliyyətinə qayıdıb. Çoxdandır bizə porno göstərmirdilər. Səhv etmirəmsə axırıncı dəfə oteldə masturbasiyaya tamaşa etmişdik. İndi də Xədicə İsmayılovanın yataq otağını çəkib yayıblar. Xədicənin atılan dırnağı belə ola bilməyəcək adamlar, bu video ilə onu nüfuzdan sala biləcəklərini düşünürlər. Zırt!

[…]

[…] biz tabuları qırmadıqca, mentalitetin dalından yağlı bir təpik ilişdirmədikcə, əxlaqçılığa yox demədikcə, bu psevdodəyərlərlə möhtəkirlik edən rejimə məğlub olacağıq. […] zırrama paradiqmalarla yaşayan millət, əsla və əsla azad ola bilməz. Nə qədər çox “eyibdür” desək, bir o qədər əziləcəyik, çünki vuayerist rejim hamımıza bir ağızdan “eyibdür” dedirdəcək […]

Die Regierung geht wieder ihrer Lieblingsaufgabe nach; sie hatte uns schon länger keine Pornografie mehr gezeigt. Wenn ich mich recht erinnere, haben wir uns das letzte Mal Selbstbefriedigung in einem Hotel angesehen. Und jetzt haben sie Chadija Ismailowas Schlafzimmer gefilmt. Leute, die einen Dreck wert sind im Vergleich zu Chadija, glauben, sie auf diese Weise herabsetzen zu können. Niemals!

[…]

[…] solange wir nicht mit Tabus brechen, diese Mentalität abschütteln, uns diesen Moralvorstellungen verweigern, werden wir uns weiterhin einem Regime fügen, das sich auf Pseudowerte stützt. […] ein Land, das mit einem falschen Bezugssystem lebt, wird niemals frei sein. Wir können noch so oft sagen “es ist eine Schande”, dieses voyeuristische Regime besiegt uns doch, denn es bringt uns dazu, alle zusammen zu sagen, dass es eine Schande ist.

Blogger Turhan beteiligte sich ebenfalls an der Diskussion [12] [az] und verwies sarkastisch darauf, dass er das Bild eines unantastbaren örtlichen Politikers auf seinem T-Shirt trage.

Hər kəsi bir cür şəxsi intim həyatı var. İntim həyatın olması ayıb deyil. Amma bu intim həyatı gizlincə çəkib yaymaq şərəfsizlikdi. Camaatın yatağına girmək düzgün deyil!

Mən bilirəm ki, mənim də videom adiyyatı qurumlarda var. Amma bu videonu heç zaman yaya bilməyəcəklər. Çünki məlum hadisə zamanı T-shirt-imin qabağında və arxasında bir nəfərin şəkili gülümsəyir

Jeder von uns hat ein intimes Privatleben, das ist keine Schande. Aber es ist schändlich, das intime Privatleben einer Person heimlich zu filmen und dann zu veröffentlichen. Man schleicht sich nicht in die Schlafzimmer anderer Leute!

Ich weiß, dass gewisse Behörden auch Videos von mir besitzen. Aber sie werden diese Videos niemals verbreiten können, denn während der fraglichen Aktivitäten trage ich ein T-Shirt, auf dem vorne und hinten eine gewisse Person mit einem breiten Lächeln im Gesicht abgebildet ist.

Die aserbaidschanische Regierung hat versprochen, die für das Video Verantwortlichen zu finden und vor Gericht zu bringen, doch Kritiker weisen darauf hin, dass die Ermittlungen zum Mord an dem Journalisten Elmar Husseinow [13] im März 2005 bis jetzt noch keinerlei Ergebnisse gebracht haben. “Dies ist ein verabscheuungswürdiger Versuch, eine Journalistin, die gerade Korruptionsfälle auf höchster Regierungebene untersucht, in Verruf zu bringen,” erklärte John Dalhuisen [14], stellvertretender Direktor von Amnesty International für die Region Europa und Zentralasien.

“Die Beteiligung staatlicher Presseorgane an dieser erbärmlichen Schmutzkampagne kommt einer behördlich genehmigten Erpressung gleich und wirft ein sehr schlechtes Licht auf die politischen Führungskräfte des Landes, die vorgeben, die für den Eurovision Song Contest anreisenden Journalisten aus über 40 Ländern willkommen zu heißen,” fügte das Komitee zum Schutz von Journalisten am 14. März [15] hinzu. Unterdessen wurde hier [16] eine Petition zugunsten von Chadija Ismailowa gestartet.

Dieser Beitrag ist Teil unseres Dossiers Eurovision Aserbaidschan 2012 [1].