Dieser Beitrag ist Teil unseres Dossiers SlutWalks 2011.
Am 31. Juli 2011 veranstaltete Delhi endlich seine eigene Version des SlutWalk unter dem Namen ‘Besharmi Morcha’ [en], um die Veranstaltung an den indischen Kontext anzupassen.
Die Massenmedien waren vollständig vertreten, vielleicht in der Erwartung, dass etwas Sensationelles geschehen würde. Aber nichts dergleichen passierte. Nach all den Diskussionen und Debatten, die in sozialen Medien über die Veranstaltung getobt hatten, war das, was an jenem Morgen passierte, eine ziemlich stille Angelegenheit, und einigen Beobachtern zufolge gab es zwischendurch mehr Medienleute als Teilnehmer. Das führte offensichtlich dazu, dass einige Journalisten ihre Kollegen um Stellungnahme baten. Auf ihrem persönlichen Blog Akhond of Swat schreibt [en] die Journalistin/Bloggerin Nilanjana Roy:
Der wirklich gefährliche Teil des Slutwalks Delhi ist es, den Kameras und Mikrofonen auszuweichen, die dir ins Gesicht geschoben werden. Als es anfing, war das Verhältnis von Medien zu aam junta (gewöhnliche Leute/Teilnehmer) 3:1, was dazu führte, dass ein Reporter versuchte, eine jüngere Kollegin eines anderen Magazins zu einem Interview zu überreden. “Du marschierst auch, oder? Sag etwas als Frau, na?” Die jüngere Reporterin lehnt ab.
(Mehr Bilder finden Sie in diesem Beitrag auf Youth Ki Awaaz [en])
Schließlich liefen etwa 500 bis 700 Leute bei dem SlutWalk mit. (Die Zahlen war in jedem Fall besser als die aus Bhopal, wo einige Tage zuvor nur etwa 50 Teilnehmer [en] für den Marsch aufgetaucht waren, obwohl mehr als 5.000 Leute auf Facebook ihre Unterstützung der Sache verkündet hatten.)
Blogger reagierten mit gemischten Gefühlen auf die Veranstaltung in Delhi. Auf ihrem Blog Diary of a White Indian Housewife [Tagebuch einer weißen indischen Hausfrau] schreibt [en] die Bloggerin Sharell
Ich habe mir wirklich Sorgen darüber gemacht, was passieren könnte, wenn indische Frauen dem Beispiel von Frauen aus anderen Teilen der Welt folgen und in freizügiger Kleidung rumlaufen würden. Was für eine Botschaft würde das aussenden? Und könnte man darauf vertrauen, dass die Männer, die bei der Veranstaltung anwesend sind, sich benehmen?
Ich hätte mir allerdings keine Sorgen machen müssen, denn der zahme Name der Veranstaltung (Beshami Morcha bedeutet in etwa Schamlose Versammlung) war bezeichnend für den weiteren Verlauf. Im Gegensatz zu SlutWalks in anderen Ländern war kaum eine knapp bekleidete indische Frau sichtbar. Stattdessen sah man viele, die in kurtis und salwaar kameeze gekleidet waren. Freiwillige erklärten, dass es der Plan war, den “Fokus von der Kleidung weg auf den Zweck zu richten”.
Einige Netzbürger merkten an, dass die geringe Teilnehmerzahl in Delhi vielleicht etwas mit der Tatsache zu tun hatte, dass Zeitungen von einer polizeilichen Verfügung berichtet hatten [en], die den Marsch nicht erlaubt hatte. (Da Delhi und besonders die für den Marsch vorgesehene Avenue Jantar Mantar zur Zeit ein Brennpunkt für Demonstrationen ist, wurde die Dauer und Länge des Marsches tatsächlich von der Polizei gekürzt, sodass die Veranstaltung schließlich zu einem kurzen Gang um den Block wurde.)
Andere waren der Meinung, dass die Presse mehr hätte tun müssen [en], um Thema, Datum und Zeit des Marsches bekannt zu machen. Wieder andere diskutieren darüber, ob die mangelnde öffentliche Unterstützung [en] daher kam, dass ein großer Teil der Frauen sich nicht mit der Semantik und/oder der Symbolik der Kampagne identifizieren konnten, und dass deshalb so ein Marsch an einem Ort wie Delhi vielleicht nicht das richtige Mittel für eine Kampagne gegen sexuelle Belästigung sei. Viele Beobachter haben in der Tat angemerkt, dass, anders als in anderen Ländern, in Bhopal und Delhi beinahe mehr Männer als Frauen bei den Märschen anwesend waren. Während manche Netzbürger das als einen willkommenen Schritt ansahen, waren manche etwas verwirrt [en] von diesem verzogenen Verhältnis. Die bekannte feministische Autorin Taslima Nasreen twitterte:
@taslimanasreen: Es ist gut, dass Männer den #slutwalk in Delhi angeführt haben. Die Beteiligung der Männer an der Beendigung der sexuellen Gewalt gegen Frauen ist sehr wichtig.
Anshul Tewari von YouthKiAwaaz.com fing die Sichtweise von Trishla Singh, der Medienkoordinatorin von SlutWalk Delhi, ein. Sie sprach in diesem Video [en] über die Wichtigkeit des SlutWalk in Indien und erläuterte die Bedeutung des Wortes “slut” (Schlampe):
Viele Blogger waren empört über einen Teil der Reportage der Massenmedien, in der der Fokus auf Fotos von einigen Ausländern gerichtet war, die Tanktops trugen und/oder bauchfrei herumliefen.
Sharell kommentierte [en]:
Die ausländischen Teilnehmer sind in ihrem gewohnt freizügigen Stil gekleidet. Und die indischen Medien nutzt das aus, indem sie die Bilder von ihnen am häufigsten veröffentlichen, mit traditionell gekleideten indischen Frauen, die ruhig hinter ihnen laufen.
Einige Tweets wiederholten diese Stimmung. Zum Beispiel:
@womensweb Die Berichterstattung der indischen Medien über #slutwalk ist das, was “enttäuscht”, nicht die Kleidung, die getragen wurde.
In einem Artikel namens Indians, Foreigners And The SlutWalk Legacy [en] [Inder, Ausländer, und das Erbe des SlutWalk], der in dem Onlinemagazin NRI [en] veröffentlicht wurde, fragt der Schriftsteller Barnaby Haszard Morris: “Haben schamlose Ausländer und zurückhaltende Inder Delhis Besharmi Morcha (aka SlutWalk) ruiniert?” Barnaby fragt sich [en] über diese “verdrehte” Darstellung der Besharmi Morcha:
Mit Männern als der lautesten Stimmen, ausländischen Frauen in freizügiger Kleidung als am meisten veröffentlichte Bilder, und indischen Frauen in saris und salwar-kameez, die ruhig hinterherlaufen… hat [der Marsch] weniger zum Kampf gegen sexuelle Belästigung indischer Frauen beigetragen, als dass er den Eindruck vermittelte, dass ausländische Frauen überall, jederzeit und mit jedem zum Handeln bereit sind… Der aam aadmi (Normalbürger) könnte den Eindruck kriegen, dass indische Frauen konservativ und mütterlich bleiben, während ausländische Frauen zu allem bereit sind und sich auch entsprechend anziehen.
Einige dieser Blogger waren der Meinung, dass es einem Teil der Massenmedien durch den Fokus auf die ‘provokative’ Kleidung, oder das Fehlen derselben, möglicherweise nicht gelungen war, das Wesentliche des Besharmi Morcha einzufangen. Andere widersprachen dieser Meinung jedoch und sagten, dass das ‘Herumreiten auf der Kleidung’ notwendig sei [en], da dies die häufigste Entschuldigung von Sexualstraftätern ist, um die Opfer zu beschuldigen.
Die Meinung war auch bezüglich der Auswirkung auf den Besharmi Morcha gespalten. Einige waren der Meinung, dass es keine Auswirkung habe, zum Teil wegen des Status’ der Organisatoren als “konservative Rebellen”. Die Autoren Makepeace Sitlhou und Urvashi Sarkar verglichen diese zahme Version des Protestes mit den heftigeren Protesten [en] der Frauen in Manipur im Jahr 2004, und kommentierten [en], dass der Delhi Slutwalk, aka Besharmi Morcha, mit seinem selbst auferlegten Bedürfnis, das “Verärgern von Leuten zu vermeiden” wenig Slut, noch weniger Marsch und keine Nachricht besaß. Andere waren etwas enthusiastischer. Sie sahen im SlutWalk einen positiven Schritt in die richtige Richtung. Christine Pemberton, die an der Veranstaltung teilnahm, schreibt [en] in dem Blogmagazin Commentarista [en]:
Es ist klar, dass niemand ernsthaft erwartet, die Mentalität einer Stadt zu verändern, aber allein die Tatsache, dass Hunderte Frauen (einige mit Babies oder Kindern), Omas und sogar Männer an einem brütend heißen Sonntagmorgen erschienen sind, um zu marschieren und gegen sexuelle Belästigung zu demonstrieren, zeigt, dass etwas in Bewegung kommt.
Obwohl der Gender Matters|India Blog die Veranstaltung einen “ambitionierten Marsch mit wenig Reichweite” nannte, betonte er auch [en]:
Das Fazit von Delhis Besharmi Morcha ist, dass Studenten aktiv Bewusstsein für sexuelle Aggressionen gegen Frauen gezeigt haben.
Barnaby hat einen Rat für beide Seiten der Debatte. Er sagt [en]:
Die Organisatoren könnten von diesem Eröffnungsmarsch lernen und 2012 stärker, besser koordiniert, besser beworben zurückkommen. Kritiker von diesem Besharmi Morcha müssen ihn als eine erste Druckentlassung ansehen und sich das endgültige Urteil noch mindestens ein paar Jahre aufheben. Die soziale Norm, die hier herausgefordert wird – Respektlosigkeit und institutionalisierte Belästigung von Frauen – ist eine starke Sichtweise, die jahrhundertelange Dynamik hinter sich hat. Ebenso wie die amerikanische Bürgerrechtsbewegung in der USA während des 20. Jahrhunderts oder die Wahlrechtsbewegung in den 1890ern in Neuseeland wird diese Veränderung Zeit brauchen. Sie wird auch Beharrlichkeit brauchen, nicht nur von den Organisatoren, sondern auch von unterstützenden Beobachtern, die auf den Erfolg der Bewegung hoffen.
Dieser Beitrag ist Teil unseres Dossiers SlutWalks 2011.