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Japan: Hakenmura, das Dorf der Zeitarbeiter

Kategorien: Bürgermedien

Über 300 Menschen verbrachten die Nächte zwischen Neujahr und dem 5. Januar in einem Zeltlager im Hibiya Park [1] [en] in der Stadtmitte Tokios, genannt 年越し派遣村 [2] [ja] (toshikoshi hakenmura oder wörtlich „Neujahrsdorf für Zeitarbeiter“). Die Menschen in Hakenmura waren Zeitarbeiter (派遣社員, haken shain): Japanische Männer und Frauen unterschiedlichsten Alters mit Arbeitserfahrung in verschiedenen Bereichen, denen die Zeitarbeitsverträge in den letzten Monaten gekündigt worden waren (es gibt Schätzungen, nach denen zwischen Oktober vergangenen und März dieses Jahres 85012 Zeitarbeiter gekündigt wurden und noch werden [3] [en]), teils wegen der Weltwirtschaftskrise [4] [en], und teils wegen der schlechten Organisation [5] [en] des Rechtssystems, das für Zeitarbeit gilt [6] [ja].

Die oben genannten Gründe sind die am meisten von den traditionellen japanischen Medien erwähnten. Manche Blogger haben andere hervorgehoben und darauf hingewiesen, dass die hohe Kommission von Unternehmen an die Zeitarbeitsfirmen auch berücksichtigt werden sollte. Zum Beispiel erklärt der Blogger Idaten Tasuke [7](韋駄天太助) [ja] die prekären Bedingungen, auf die sich die Zeitarbeit gründet und betont dabei, dass die japanischen Medien mit Fingern auf das Sozialsystem zeigen, ohne an andere Faktoren zu denken, die grundlegend sind um das Thema der entlassenen Zeitarbeiter zu verstehen:

毎日メディアで派遣切りのニュースが報道されています。

切実な問題なのでしっかり報道して欲しいと思うが、自分より若い世代が住む場所も失い路上生活に身を落としてしまうのを見ているのは辛い。

しかしながら、メディアは問題にしっかり切り込んでいるのかと疑問も感じる。

Jeden Tag berichten die Medien über die Entlassung von Zeitarbeitern. Da es ein dringendes Problem ist, möchte ich, dass sie ordentlich darüber berichten – es ist schwer, Menschen mit anzusehen, die jünger sind als ich, und ohne Dach über dem Kopf auf das Niveau des Lebens auf der Straße herabsinken. Ich habe aber einige Zweifel, ob die Medien das Problem ernsthaft angehen.

[…]

メディアに違和感を感じるのは派遣契約を解除した企業に批判的だが(それはそれで良いのですけど)、何故に派遣会社の責任を問わないのか?

(私の接した情報が偏っているだけですかね?)

企業は派遣会社と契約しているのであって、派遣社員のAさんとは何の契約もしていない。

Aさんに時給何円払うかを決めるのは派遣会社であり、企業は派遣会社との契約で派遣会社に時間極めの人材派遣費用を払います。

Der Grund für mein ungutes Gefühl den Medien gegenüber ist, dass, obwohl sie sehr kritisch sind gegenüber den Unternehmen, die die Verträge gekündigt haben (wo ich ihrer Meinung bin), ich mich darüber wundere, warum sie nicht auch nach der Verantwortung der Zeitarbeitsfirmen fragen?

(Ist das vielleicht nur der Fall bei den Quellen, die ich untersucht habe?)

Die Unternehmen haben einen Vertrag mit diesen Zeitarbeitsfirmen, aber sie haben keinen Vertrag mit den einzelnen Zeitarbeitern.

Die Zeitarbeitsfirma entscheidet, wieviel Herr A. pro Stunde bezahlt bekommt, und das Unternehmen zahlt der Zeitarbeitsfirma Ausgaben für Personal für die geleistete Arbeitszeit, nach einem Vertrag mit dieser Zeitarbeitsfirma.

[…]

派遣会社はそれだけ取って、何をしてくれたかと言えば、派遣社員を企業に送っただけです。

[…]

派遣会社が何かトレーニングして送ってくれるかと言えば、そんなものはない。

これだけで(?)、派遣社員が企業に派遣されている限り、毎日(寝ていても?)売上が上がるシステムになっています。

企業が派遣社員を切るなと言われれば、じゃあ派遣社員を頼まないよという話になります。

ボロイ商売、いや、収益性の高いビジネスモデルの派遣会社が批判を受けないのは何故なのか?

派遣社員は安いから使っているのではなく(決して安くない)、ストレートに言えばいつでも契約を切れるから使っているのです。

Die Einnahmen der Zeitarbeitsfirmen beschränken sich darauf und um es einfach zu sagen, tatsächlich schicken sie nur Zeitarbeiter zu den Firmen.

[…]

Ohne jegliche vorhergehende Ausbildung oder sonstwas.

Ohne dass sie mehr als das (?) machen, wächst, solange Zeitarbeiter in die Unternehmen geschickt werden, ihr Umsatz von Tag zu Tag (selbst wenn sie schlafen). Das ist das System.
Wenn man den Firmen sagt, sie dürften Zeitarbeiter nicht feuern, dann werden sie einfach keine Zeitarbeiter mehr anfordern.

Warum also wird dieses Bonanza-Geschäft — eine hochlukratives Geschäftsmodell — überhaupt nicht kritisiert?

Der Grund ist, weil Zeitarbeiter angestellt werden ist nicht, weil sie billig sind (das sind sie nämlich ganz und gar nicht), sondern, offen gesagt, weil ihr Vertrag jederzeit gekündigt werden kann.

[…]

景気の良い時は、この奇妙な三角関係(?)はうまく機能します。

今回の問題は、同時期に大量に契約が解除され、派遣会社が派遣社員に次の派遣先を紹介できないという状況だからです。

セーフティネットを強く求められべきは、企業側ではなく派遣会社だと思うのですが、私の接したメディアは派遣先企業の社会的責任を問う声ばかりです。

Solange das Geschäft floriert, funktioniert dieses heikle Dreieck [Unternehmen / Zeitarbeitsfirma / Zeitarbeiter] gut.

Jetzt aber gab es Probleme, weil viele Verträge gleichzeitig gekündigt wurden, und die Zeitarbeitsfirmen diese Arbeitnehmer nicht in andere Firmen entsenden können.

Ich denke, dass wenn es eine große Nachfrage nach einem Sicherheitsnetz gibt, dann muss man das von den Zeitarbeitsfirmen verlangen, nicht von den Unternehmen. Aber die Stimmen, die ich aus den Medien gehört habe, haben nur die soziale Verantwortung der Zeitarbeitsfirmen hinterfragt.

Ähnlich zweifelt auch Shino Kichi [8] [ja] an der Art der in letzter Zeit aufgekommenen Debatte zum Thema „Zeitarbeiter“ und begründet seine Anmerkungen mit seiner Erfahrung als Zeitarbeiter:

派遣の問題であまり話題になってるのを見たことがないんですが、派遣会社が取ってる手数料って相当高い気がするんですよ。

トヨタやキャノンはどうか知りませんが、僕が派遣社員をスタッフとして採用したときは35%~40%くらい取られてました。[…]

これを低くすることって議論されないんでしょうか。

Das ist das erste Mal, dass ich das Thema der „Zeitarbeiter“ so in der Diskussion sehe. Ich habe das Gefühl, dass die Kommission für die Zeitarbeitsfirmen ziemlich hoch ist.

Ich weiß nicht Bescheid über die Fälle Toyota oder Canon, aber als ich als Zeitarbeiter angestellt wurde, bekam die Zeitarbeitsfirma 35-40% [des Geldes, das das Unternehmen für die Anstellung eines Zeitarbeiters bezahlt]. […] Warum diskutiert man nicht über diese Abzüge [vom Arbeitslohn] ?

Die Nacht auf den 1. Januar 2009 in Hakenmura

Der Blogger bei Canada de Nihongo [9] (カナダで日本語) [ja] nimmt die Berichte über das Leben im Dorf Hakenmura während der Feiertage zum Anlass, die politische Verantwortung all derer zu betonen, die all das geschehen ließen.

予想通り、日比谷公園の「年越し派遣村」には、想定していた人数の倍の300人の派遣切りされた労働者が集まったそうだ。200人分の食事しか用意していないということだったので、足りるのかなと不安に思っていたら、やはり、日比谷公園の施設はパンク状態となり、政府は、近くにある厚生労働省の講堂を解放せざるを得なくなったそうだ。

Wie erwartet, versammelten sich 300 Menschen, deren Zeitarbeitsverträge gekündigt worden waren, im Hibiya Park zum Neujahrsfest: das waren doppelt soviele wie gedacht. Essen war für 200 Menschen vorbereitet, [die Organisatoren] merkten dass sie nicht genug hatten, und tatsächlich, dass der Platz im Hibiya Park an seine Grenzen geriet, schien die Regierung dazu zu zwingen, eine Versammlungshalle des nahegelegenen Ministeriums für Gesundheit und Arbeit zu öffnen.

[…]

今回も、対応の遅れが目立った政府だが、黙っていたら、厚生労働省が「年越し派遣村」のために講堂を解放するどころか何の対策も取ろうとしなかっただろう。与党の政策の失敗で犠牲になった労働者なのに、派遣切りなんて他人事と思っている政府や与党の下心がよくわかる出来事だった。

Die späte Antwort der Regierung stand in diesem Fall noch aus, aber wenn sie stillgehalten hätte, zweifle ich im Gegenteil daran, dass das Ministerium für Gesundheit und Arbeit wohl irgendwelche Maßnahmen ergriffen hätte. Obwohl die Zeitarbeiter Opfer der desaströsen Politik der Partei an der Macht [der Liberaldemokratischen Partei [10]] sind, war es ein gutes Beispiel, das zeigte, wie die regierende Partei insgeheim das „Entlassen von Zeitarbeitern“ als Problem Anderer ansieht.

Im „Neujahrsdorf für Zeitarbeiter“ halfen 200 Freiwillige bei der Organisation der Gemeinschaft, beim Verteilen von Essen an die Flüchtlinge oder dabei, für sie eine Übernachtungsmöglichkeit zu finden, usw. Einer dieser Freiwilligen hielt diese Tage in einem Tagebuch (mit vielen Bildern) fest unter Tone Nikki [11] (とね日記) [ja]. Am 2. Januar [12] [ja] skizzierte er seine persönlichen Eindrücke in Bezug auf die Berichterstattung über das Dorf in den japanischen Medien.

今日は民主党の菅直人さんもお見えになり、かなり長い時間を使って村民と直接話をしたり、メディアのインタビューに答えていた。[…] メディアは菅さんや「派遣村の村長」の湯浅さんなど有名人の撮影がメインだ。もっと村民や「委員」、ボランティアの状況をレポートすればよいのにと思った。カメラマンしか来ておらず、レポーターが来ていないからだと僕は思った。

Heute kam Herr Naoto Kan [13] von der Minshutô [14] [Demokratischen Partei Japans] [ins Dorf] und er verbrachte dort viele Stunden. Er sprach direkt mit den Flüchtlingen, gab der Presse Interviews, usw. […] Das Interesse der Medien war hauptsächlich auf Herrn Kan und Herrn Yuasa (den Chef des Dorfes) und andere Persönlichkeiten gerichtet. Ich meine, dass sie viel mehr über die Flüchtlinge berichten hätten sollen und über die „Mitglieder des Komitees“, sowie über die Arbeit der Freiwilligen. Der Grund dafür war vielleicht, dass nur Kameraleute kamen – es waren keine Reporter anwesend.

Weiter hinten im Tagebucheintrag dieses Tages berichtet der Freiwillige über eine Unterhaltung mit einem jungen Mann, einem Freund von Herrn T. (einen Flüchtling, um den er sich gekümmerte), der ihm die harte Lage der Menschen in Schwierigkeiten erklärte, besonders der der Frauen.

Tさんの知り合いの青年(30歳くらい?)とも話をした、派遣切りされかけた後、交渉の末に仕事に戻れたそうだが、彼はネットカフェ難民経験者である。彼によると若い女性にも同じ状況の人はたくさんいるそうで、その多くが性風俗産業に流れるか個人営業しているということだ。そしてそういう商売ができない人は明け方のマクドナルドやネットカフェにたくさんいるということだ。そこまでするんだったら親元に戻ったほうがいいのにと僕が言うと、彼は「戻れない人たちばかりなんですよ。ほとんどの女性がいろいろな事情を持っているから。」と教えてくれた。絶句。。。それじゃ逃げ場がない。

Ich sprach auch mit einem jungen Kerl (um die 30?), einem Bekannten von Herrn T. Nachdem er gekündigt wurde, und nach einigem Verhandeln, konnte er wohl seine Arbeit wiederbekommen, aber er erlebte trotzdem was es heißt, ein Internet-Café-Flüchtling [15] [en] zu sein. Wie Herr T. berichtet, sind viele junge Frauen in derselben Situation; viele von ihnen landen in der Sex-Industrie oder betreiben ihr eigenes Geschäft. Die Frauen, die solch eine Arbeit nicht tun können, verbringen ihre Nächte in McDonalds-Restaurants oder in Internet-Cafés. Und als ich sagte, diese Frauen sollten in ihre Familie zurückkehren, anstatt so ein Leben zu führen, erklärte er mir „Sie sind Menschen, die nicht zurück können. Die meisten haben Angelegenheiten [in ihrem persönlichen Hintergrund, die sie daran hindern zurückzukehren]“ ” Ich wurde ganz still… In diesem Fall haben sie keinen Ausweg.
Der Flickr-Benutzer Photowalker [16] hat viele interessante Fotos von Hakenmura und den Zeitarbeitern auf sein Account hochgeladen.